Innovative Videoformate im Sport Zwischen Training und Marketing
Prof. Dr. Andreas Hebbel-Seeger | Head of Media School am Campus Hamburg der Hochschule Macromedia & Dr. Frank Vohle | Geschäftsführer der Ghostthinker GmbH
Neue Perspektiven!
Der Einsatz von Video zur Unterstützung von Bildungs- und Trainingszwecken hat eine lange Tradition und vielfältige Funktionen. So spielen unter einem didaktischen Blickwinkel das „Lernen am Modell“, die „Fallanalyse“ oder die „Unterrichts(selbst)reflexion“ mit Video eine zentrale Rolle, um ein situiertes Lernen zu unterstützen. Mit der Jahrtausendwende sind vor allem zwei Aspekte hinzugetreten: Eine Berücksichtigung der „points of viewing“ und, bedingt durch das Internet, neue Möglichkeiten der Distribution, Interaktion, Kommunikation und Kollaboration mit und um das Video. Beide Aspekte verbinden sich mit dem Begriff „ Social Video Learning“, der u.a. in den Whitepapers 1-4 behandelt wurde.
Mit diesem Whitepaper wollen wir neue „Perspektiven“ im wahrsten Sinne des Wortes erschließen: Mit dem Einsatz von Videodrohnen verbindet sich vor allem die „Vogelperspektive“, ein Blick von oben, der hilft, die sportlichen Aktionen auf dem Boden in ein großes Ganzes einzuordnen. Mit 360 Grad-Videos fangen wir einen kugelförmigen Ausschnitt der Wirklichkeit ein und können damit – anders als mit herkömmlichen Videos – in den Perspektiven explorieren. Bindet man ein solches 360-Grad Video in eine spezielle VR-Brille für Smartphones ein, dann wird die dritte Dimension erlebbar, d.h. wir tauchen visuell in das Video ein, was große Potenziale für die Reflexionsarbeit in Training und Bildung bietet.
Dieses Whitepaper zeigt an drei Beispielen aus dem Sport auf, wie man sich den Einsatz von Drohne, 360-Grad Video und VR-Brille vorstellen kann und welche Erfahrungen wir gemacht haben. Es versteht sich als ein Auftakt in ein längerfristiges Entwicklungsprojekt, indem die Partner sich aufmachen, nicht nur neue sondern auch sinnvolle Perspektiven für Bildung- aber auch Marketingzwecke zu finden.
Hinweis: Die in diesen Text über die Plattform "YouTube" eingebundenen 360-Grad-Videos werden (noch) nicht auf allen Endgeräten und Browsern unterstützt. Um die volle Funktionalität nutzen zu können, öffnen Sie die hier verlinkten 360-Grad-Inhalte daher auf iOS-Geräten bitte in der YouTube-App oder auf Mac- und Windowssystem im Firefox- oder Chrome-Browser.

Im Rahmen eines Kooperationsprojektes im Studiengang Medienmanagement, Studienrichtung Sport- und Eventmanagement, am Campus Hamburg der Hochschule Macromedia mit der Ghostthinker GmbH haben wir im Sommersemester 2016 die Nutzung innovativer Medienformate für Training und Marketing am Beispel von 3 ausgewählten Sportarten und unterschiedlichen Zielsetzungen erprobt.

Dabei haben wir uns im Wesentlichen auf den Einsatz von Video-Drohnen und 360-Grad-Kameras konzentriert.

Motocross MX
In Kooperation mit dem Deutschen Motor Sport Bund (DMSB) sind wir das Thema Streckenposten-Aus- und Fortbildung angegangen. Zielsetzung war die Erstellung von Lehr-/Lernmaterialien für die Präsenz- und Fernlehre.

Mit dem Blick von oben mittels Video-Drohne sollte dabei das Geschehen im Raum in seiner strukturellen Verortung abgebildet werden, ...

...während mit 360-Grad-Videos von idealtypischen Rennsituationen - mit dem Fokus auf das Handeln von Streckenposten - die komplexen Geschehen in ihrer Gesamtheit "eingefangen" und damit insbesondere auch die Entstehung von "Problem-Situationen" zugänglich werden und einen reflexiv-analytischen Zugang befördern sollte.
Die Film-Produktion fand im Kontext der europäischem Motocross-Serie "MX-Masters" im Mai 2016 in Fürstlich-Drehna/Sachsen statt. Dabei wurden gleichermaßen inszenierte Inhalte mit "echten" Renn-Szenen kombiniert.

Die Aufnahmen aus der Luft sowie die 360-Grad-Videos flankierend, wurden für die audio-visuelle Dokumentation auch sog. "Action-Cams" am Körper und am Fahrzeug sowie "klassische" Videokameras hinzugezogen. Dabei ging es uns explizit nicht um einen Vergleich der verschiedenen Systeme, Perspektiven und Formate sondern ganz im Gegenteil darum das additive Potential abzuschätzen: inwieweit befördert ein mehrperspektivischer Zugang die Erfassung und Reflexion eines komplexen (motor-)sportlichen Geschehens?
Fußball
Im zweiten Teilprojekt in Kooperation mit dem Westfälischen Fußballverband (WFLV) standen gleich 3 verschiedene Zielsetzungen für unterschiedliche Anspruchgruppen auf der Agenda.: Im Kontext eines zentralen Lehrgangs sollten die genannten Medienformate für die Reflexion und Auswertungsgespräche zwischen Spielern und Trainern genutzt werden, als Analyse-Medium im Rahmen eines Scoutings dienen sowie schließlich die Eignung als Echtzeit-Unterstützung für die Trainingsbegleitung von außen untersucht werden.

Während 360-Aufnahmen und Bilder aus der Luft gleichermaßen für die ersten beiden Aspekte von Relevanz waren, wurde für die Technologie-gestützte Unterstützung des Trainingsprozesses auf die Übertragung der Drohnen-Bilder in Echtzeit über VR-Brillen gesetzt.

Segelsport
Mögliche Mehrwerte der Nutzung von 360-Grad-Video-Technlogie im Rahmen von Trainingsprozepssen im Segelsport sind wir mit einem Team des Norddeutschen Regatta-Vereins (NRV) angegangen, das auf J-70-Yachten in der 1. Segel-Bundesliga (DSBL) am Start ist.

Im Segeltraining werden üblicherweise individuelle Fertigkeiten und Team-interne Abstimmung in komplexen situativen Zusammenhängen gefordert, in denen gleichermaßen auch taktische Entscheidungen relevant sind.
Der Positionierung der 360-Grad-Kamera an Bord kommt daher eine zentrale Bedeutung zu: Von welcher Position lassen sich welche Inhalte bevorzugt erfassen?

Für eine erste explorative Abschätzung des Potentials von 360-Grad-Aufnahmen haben wir die eigenen Videos den Seglern über VR-Brillen zugänglich gemacht. Bei dem verwendeten Modell (Zeiss VR one) wurden die Inhalte auf einem in die Brille integrierten Smartphone (Apple iPhone 6) ausgespielt. Der 3G-Sensor des Smartphones ist dabei mit der Projektion gekoppelt. D.h. der Bildausschnitt wird durch Bewegungen des Kopfes - analog zum realweltlichen Seh-Erleben - verändert. Darüber hinaus wurden die Segler jeweils auf einem Drehstuhl platziert, so dass beim Betrachten der Inhalte auch Bewegungen um die eigene Körperachse unterstützt wurden.

Die Probanden wurden angehalten mittels der Methode des lauten (Mit-)Denkens (auch "Thinking-Aloud"-Methode) die Rezeption parallel zu kommentieren, während jeweils die Bewegungen und das Gesagte via Video aufgezeichnet wurden.

Zusammenfassung und Ausblick
Das Thema ist hoch aktuell. VR ist der Technologie-Trend 2016. Samsung als Marktführer bei mobilen Endgeräten setzt in Kooperation mit dem zu Facebook gehörenden Unternehmen Occulus spätestens seit dem World Mobile Congress in Barcelona im Februar diesen Jahres auf die Verknüpfung von 360-Grad-Inhalten und Smartphones. Der Automobilkonzern AUDI visualisiert sein Sponsoring-Engagement im Segelsport über 360-Grad-Videos, welche die Markenwelt des Unternehmens mit der (Segel-)Sportwelt verknüpft:
Wir haben im Rahmen des hier skizzierten Projektes auf den Einsatz von 6 Kameras (GoPro 4) gesetzt, die in einer "Würfel"-Halterung montiert (Freedom 360 Mount) gleichzeitig aufzeichneten. In einen nächsten Schritt mussten die Videos mit einer speziellen Software (Autopano Video Pro) synchronisiert und montiert (sog. "Stitching") sowie mit einer weiteren Software (Autopano Giga) nachbearbeitet werden. In einem letzten Schritt mussten die auf diese Weise erstellten 360-Grad-Videos mit Metadaten versehen werden, um bei einem YouTube-Upload auch als solche erkannt zu werden.

Dieses vergleichsweise aufwendige Verfahren wird inzwischen bereits durch Komplett-Lösungen substituiert, die bei hinreichend guter Bildqualität nicht nur Aufnahme und Montage automatisieren sondern z.T. auch eine Online-Publikation direkt von der Kamera aus anbieten. Für einen Einsatz außerhalb normierter Sportstätten sind manche Modelle bereits staub- und wasserdicht erhältlich (z.B. "Fly360").
Die rasch voran schreitende Trivialisierung der technologischen Entwicklung, in Bezug auf fliegende Kamerasysteme (Video-Drohnen) ebenso wie bei 360-Grad-Kameras, wird insbesondere im Sport, der traditionell mit technologischen Entwicklungen in einer symbiotischen Beziehung steht, indem dieser gleichermaßen Nutznießer wie Treiber ist, die Verbreitung im Wortsinn beflügeln. Wenn aber der Neugierreiz erst verflogen ist, wie bspw. bei den sog. "Action-Cams" bereits deutlich zu beobachten, wird der Weg frei für die Suche nach "echten" Mehrwerten des Mediums selbst, den diese beeinflussenden Variablen sowie schließlich den an den Medien ausgerichteten Nutzungsszenarien in Lern- und Optimierungsprozessen ebenso wie im Marketing.
In diesem Sinn konnten wir mit dem hier zur Rede stehenden Projekt bereits erste Erkenntnisse in dieser Richtung explorieren; sei es in Bezug auf die Kamera-Positionierung und den Bildaufbau:
- 360 Grad-Kameras machen keinen Sinn am Körper aber im 3rd-Person View: Bewegung vor der Kamera - nicht mit der Kamera.
- Trotzdem müssen (nicht zuletzt ob der kleinen Brennweite) 360-Grad-Kameras dicht am "Point-of-Action" sein.
...das Rezeptionsverhalten und die Immersions-steigernde Wirkung von VR-Brillen:
- Auf Grund der Komplexität einer 360-Grad-Aufnahme ist eine intensive Auseinandersetzung durch (häufiges) Wiederholen gekennzeichnet.
- Die Nutzung von VR-Brillen befördert das "Eintauchen" in die virtuelle Welt durch das "Aussperren" der realen Umgebung sowie die native Änderung der Blickrichtung bzw. des projizierten Ausschnitts über die Bewegung von Kopf und Körper.
...oder die Nutzung als Analye- Diagnostik-Werkzeug auf Basis des Rezeptionsverhaltens:
- Aus der Beobachtung der Rezeption eines 360-Grad-Contents lässt sich auf die Expertise des Betrachtets schließen.

Fragen, Anregungen und Kommentare bitte an Prof. Dr. Andreas Hebbel-Seeger, Hochschule Macromedia am Campus Hamburg, Gertrudenstr. 3, 20095 Hamburg, a.hebbel-seeger@macromedia.de & Dr. Frank Vohle, Ghostthinker GmbH, Burbekstraße 37b, 22523 Hamburg, frank.vohle@ghostthinker.de
