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Sie ist und bleibt ein Traum Spitzmauer-Ostwand: Den Durchstieg unseres talbeherrschenden Berges haben im Winter erst wenige versucht und noch weniger geschafft: 200 Meter fehlten uns. Wir drehten um, als es gefährlich wurde.

Entschuldigt, lieber Priel und Pyhrgas: Die Spitzmauer ist unser heimatlicher Lieblingsberg. Ein spitzer Berg, ein schicksalsträchtiger, ein spezieller. Er begleitet uns seit den ersten Schritten ins Gebirge. Wie oft haben wir vom Prielschutzhaus nach berauschten Nächten die Sonne in ihrer wunderschönen Wand aufgehen sehen? Wie oft haben wir uns schon hinauf geplagt zum eisernen Edelweiß auf 2442 Meter - über unterschiedlichste Wege und Kletter-Routen? Die Spitzmauer ist ein Traum - und von einer Winterbegehung ihrer Ostwand träumen wir schon seit vielen Jahren.

Spitzmauer und Priel

Der Annäherungsversuch

Vor fünf Jahren hatten es Marlies und Eddi erstmals mit ihrer schönsten Seite versucht - und im untersten Wanddrittel festgestellt: Das wird heute nix. Das wird heuer nichts. Wird das jemals was? Wie müssen die Verhältnisse sein, dass ein Durchstieg für uns Normalsterbliche möglich wird? Die Tatsache, dass wir nicht einmal eine Hand voll Menschen nennen können, die diese Wand im Winter durchstiegen haben (einer hat sie dafür sogar teilweise befahren, Chapeau: Heli Steinmassl), erhöht für uns den Reiz. Ein bisschen Himalaya-Feeling in Hinterstoder - nur ein paar Kilometer entfernt von uns.

2013: No-Go. Rückzug, ehe wir wirklich eingestiegen sind.

Die Jahre verstreichen, schneearme Winter lassen die Idee erst gar nicht aufflackern. Doch die Augen suchen und mustern stets die Spitzmauer, wenn wir in der Pyhrn-Priel-Gegend unterwegs sind (und das ist oft), so wie die Blicke das Matterhorn in den Westalpen gierig suchen (auch das kommt vor).

Alle guten Dinge sind...

Der zweite Versuch! Am Samstag flogen wir mit unseren Skiern und dem Gleitschirm zum Großen Priel aus - und im Zustieg brannte die Sehnsucht wieder lichterloh. Sie stand so mächtig vor uns, die Spitzmauer! Mit richtig viel Schnee in den beiden markanten Rinnen. Welche könnten wir wählen? Wie würden wir darin vorankommen? Welche Verhältnisse antreffen? You never try, you never know...

Ausflug zum Großen Priel. Die Spitzmauer im Fokus.

"Wenn ihr die Spitzmauer versucht, wehe, ihr sagt mir das nicht." Eddis Worte im Ohr, schicken wir ihm die Wandbilder und unseren Plan: Am Montag legen wir los, die Lawinenlage ist bis dahin entschärft. Für dieses Projekt nimmt er sich kurzerhand frei. Mitten in der Nacht starten wir in unseren Tag X. Bei der Klinseralm gegen fünf Uhr früh machen wir Pause. Die Vorfreude ist auf Sinkflug. Wir hinterfragen unseren Plan...

Für diese Route wird man nachtaktiv.

???

Ist das wirklich schlau? Die Temperaturen waren in der Nacht (zu?) hoch - sie lagen um die Nullgrad-Grenze, nur leicht darunter. Der Schnee ist nicht gefroren, was für einen schnellen und sicheren Durchstieg hilfreich bis lebensnotwendig wäre. Wir wissen das. Doch könnte es nach oben hin besser werden? Was erwartet uns dort oben überhaupt? Vielleicht sogar Pulverschnee?

Selten wirft eine Tour so viele Fragezeichen auf. Eine Antwort kann uns niemand geben. Wir gehen weiter. Sonst werden wir über diese Wand im Winterkleid nie mehr erfahren.

Die Wand steilt sich auf.

Ein Meter, eine Minute

Mit jedem Höhenmeter wird der Schnee besser. Und es wird steiler. Nahe einer Höhle landen die Skier auf unserem Rücken. Hier hatte Heli Steinmassl vor x-Jahren bei seinem erfolgreichen Wand-Durchstieg biwakiert. Andi geht voraus - und wir glauben an dieser Stelle: Das wird heute wieder nichts. Ein Latschenrücken wird zur anstrengenden Wühlerei. Andi bastelt sich nach oben, knapp an der Grenze zum Unwohl-Sein, eine Minute für einen Meter. Die Sonne zeigt sich währenddessen am Horizont - du auch da?

Dieser Sonnenaufgang ist ein Burner. Feuerrot auch ohne Photoshop.

Wühlmaus. Jeder Meter vorwärts dauert etwa eine Minute. Denn: Jeder zweite Schritt nach vor ist einer zurück.

Wie, du auch da? Hättest dem Wetterbericht doch versprochen, dich erst nach Mittag blicken zu lassen!?

Spurenlese. Bei Andi und Eddi ist's hier knietief, bei Marlies fast hüfttief. Komisch.

Führungswechsel. Geht gut voran!

Easy Going! Die erste Hürde war genommen - und der mittlere Wandteil lässt uns aufatmen. Hier kommen wir richtig gut voran. Voll auf das Stapfen konzentriert, machen wir Meter um Meter. Allmählich tauschen wir die Skistöcke mit den Eisgeräten, montieren die Steigeisen an unsere Skischuhe. Macht Spaß, in dieser Steilwand so gut vorwärts zu kommen!

Hinein in die linke Rinne

Im Sommer eine Klettertour

Wir steuern die linke Ostwandschlucht an - im Sommer eine alpine Kletterei im zweiten bis dritten Schwierigkeitsgrad. In der musste vergangenen Sommer ein Bergsteiger viel zu früh sein junges Leben lassen. Wir versuchen nicht an diese tragische Geschichte zu denken, als der 29-jährige Harald vermutlich durch einen Steinschlag aus der Wand geworfen worden war und den Absturz nicht überlebte. Wir sind in Gedanken trotzdem bei ihm, aber müssen wieder zurück zu uns.

Heute ist die Rinne gefüllt mit Stapfschnee (gut) und teilweise mit Triebschnee (nicht so gut). Vor der ersten Engstelle packen wir unser Seil aus. Andi steigt vor - und stößt für ihn überraschend auf steiles Eis. Die Passage lässt sich super klettern, auch eine Eisschraube setzen. Danach ein Keil in den rechten Fels gelegt, dort ein Felsen freigebuddelt und ein zweiter Keil untergebracht. Doch die Suche nach sicheren Standplätzen gestaltet sich schwierig. Hier ein Keil, da ein Friend - nachkommen und weiter geht's.

Unsere Linie

Nichts. Wie. Weg.

Die Sonne strahlt auch kurz in die Rinne - wir freuen uns ansonsten immer auf sie - nur heute nicht. Kleinere Spindrifts kommen von oben - und wir stehen und klettern hier in der Schusslinie. Gut 100 Meter sind wir im engen Teil der Rinne bereits geklettert, 200 liegen noch vor uns, der Schatten ist zwar zurück gekehrt, aber wir fühlen uns unwohl und wie in einer Mausefalle. Was lauert alles über uns? Was ist, wenn eine Wechte bricht? Uns als Sonnengruß von den umliegenden Steilfelsen große Schneerutscher entgegen donnern? Wir beginnen weiter zu denken - und zu handeln. Nichts. Wie. Weg.

Der Haken an der Sache

Für einen angenehmen Rückzug ist diese Rinne nicht gemacht. Weder im Sommer noch im Winter. Wir schlagen einen Haken, setzen einen Keil und Friend - und seilen uns daran 50 Meter ab. Andi nimmt das Material mit, er klettert zu uns hinab, wo wir ihn an einem zweiten Felsblock sichern, an dem wir kreativ werden müssen. Hier versenken wir beide Haken mit dem Hammer unseres Eisgeräts - und seilen uns über die Eisstufe aus der Gefahrenzone. Das 60-Meter-Seil und die beiden Haken lassen wir zurück. Ein Materialverlust, mit dem wir leben müssen (und können).

Abseilakt. Unser Seil opfern wir gerne, um heil wieder rauszukommen.

Der weitere Rückzug ist auch nicht geschenkt.

Hier fühlen wir uns wieder sicher - weg aus der Schusslinie.

Sind wir wirklich so weit aufgestiegen? Die Einser-Frage im Rückwärtsgang.

Schöne Aussicht: Der Südgrat verbindet die Spitzmauer mit dem Ostrawitz.

So geht's auch: Marlies stapft in der Spur zurück, Eddi schnallt sich die Skier an. Sein erster Kommentar: "Einmal, nie wieder." Ein paar Tage später sieht das der Herr Skilehrer schon etwas entspannter: "Wow, das verlangte aber sehr viel Konzentration." :-)

Mit Skiern durch die (untere) Ostwand

Es braucht seine Zeit, bis wir tief durchatmen können. Eddi schnallt bereits noch am Seil gesichert seine Skier an - ein wagemutiges Unterfangen. Bis zu 57 Grad dürfte es an dieser Stelle steil gewesen sein. Vom Wohlfühlen ist er so weit weg wie der Nord- vom Südpol. Der untere (nicht mehr ganz so steile) Teil ließ sich halbwegs gut befahren, findet er. Wir blieben auf den Steigeisen und wollten möglichst schnell weg aus der Rinne. Danach ungesichert mitten in der Wand auf die Skier umzusteigen, das hielten wir für keine so gute und effektive Idee.

Wir cruisen durchs Klinserkar.

"Alles gut bei dir?"

Ab der Höhle sind auch wir wieder auf Skiern unterwegs und cruisen über das Klinserkar talwärts. Unser Ursprungsplan wäre gewesen, von der Spitzmauer über die Meisenbergrinne und Dietlhölle zurück nach Hinterstoder zu fahren. Bestimmt eine lässige Abfahrt! Was uns nach der Klinseralm bevorsteht, fällt noch einmal in die Kategorie "mega-mühsam": den Prielschutzhaus-Wanderweg zur Polsterlucke zu befahren. Der besteht aus dichtem Wald, steiler Wand und engem Weg. Kurz macht sich Marlies Sorgen, als sie auf einmal auf einen einzelnen Ski-Bergsteiger stößt. Er robbt auf allen Vieren, legt sich auf seinen Bauch, rutscht auf ihm hinunter, schiebt die Skier vor sich her, macht nur langsam Meter. Ist er verletzt? "Ist bestimmt ein Tscheche", denkt sie sich insgeheim und fragt auf hochdeutsch: "Ist alles okay bei dir? Kann ich dir helfen?"  Die Antwort überrascht: "Na, i bin nua voi goa. Woa heid am Großen Prü." *

* Das ist übrigens nicht tschechisch, sondern eine oberösterreichische-niederösterreichische Mischung für: "Nein, ich bin nur sehr erledigt. Ich war heute auf dem Großen Priel."

Schnaps-Idee

Alle miteinander und mit einem riesigen Erfahrungsschatz reicher kommen wir gut zurück ins Tal. In der gemütlichen Bar "Fleischerei" bestellen wir schon beim Eintreten: "Drei Schnaps bitte." Wir lassen alles sickern und blicken künftig mit anderen Augen auf die Ostwand der Spitzmauer. Unser Tag wird vielleicht noch kommen...

Created By
Marlies Czerny
Appreciate

Credits:

www.hochzwei.media/Andreas Lattner und Marlies Czerny

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