Der Hochkönig der Lüfte Unsere Klettertour durch die Südwand des Hochkönigs krönen wir mit einem Abflug: Das garantiert Hochspannung, bis die Schritte nach dem Klippenstart in der Thermik enden. Eine Climb&Fly-Audienz beim Hochkönig und dem Hüttenwirt, der das Matrashaus auf dessen Haupt beherrscht.
Es war Anfang der 80er, da kreiste in den Gedanken von Roman Kurz immer wieder ein Paragleiter. „Wir hatten damals alle gemeint, wir fangen mit dem Fliegen an, dann müssen wir nicht mehr vom Berg hinunter gehen“, erzählt der 56-Jährige, der heute gar nicht erst hinunter muss vom Gipfel. Er bewirtschaftet das Matrashaus, das auf dem Hochkönig thront, seit mittlerweile 18 Jahren. „Im Bekanntenkreis gab’s nach wenigen Jahren aber keinen einzigen mehr, den es mit dem Schirm nicht zumindest einmal hinunter gehaut hat“, setzt er fort, also hat er es auch gelassen. Was wir trinken möchten? Fragt er. Erst das Schnapserl oder erst das Getränk? Beides bekommt hier auf dem Matrashaus jeder Kletterer als Belohnung gratis. Ganz so viele klettern ohnehin nicht über die steile Südwand herauf, als dass es den Wirt in den finanziellen Abgrund treiben würde. Starten wir bitte mit einem Kaffee.
Sechs Stunden zuvor, um halb fünf Uhr früh: Wir setzen beim Parkplatz der Stegmoosalm, etwas unterhalb des Dientner Sattels, den ersten verträumten Schritt aus dem VW-Bus. Auf der Forststraße gehen wir uns warm und liebäugeln nach einer halben Stunde bei der Stegmoosalm mit einer möglichen Landewiese. Grundvoraussetzung: dass uns die Kühe später auch Platz machen. Die gemähte Wiese wird abgespeichert im Kopf – und jetzt den Blick nach vorne richten: die 1000 Meter hohe Südwand lacht uns schon entgegen.
Mit dem Jubiläumsweg (auch Franzlweg genannt) wählen wir eine der längsten, aber dafür leichteren Kletterrouten auf den Hochkönig. Nach eineinhalb Stunden Fußmarsch kramen wir am Einstieg den Klettergurt aus dem Rucksack unseres Wendegurtzeugs.
Das Klettern verläuft mit etwas alpinem Spürsinn und der Hilfe einiger roter Farbmarkierungen wie am Schnürchen.
Da lässt man den Blick auch gerne in die Ferne schweifen.
Die Kletterei im zweiten und dritten Schwierigkeitsrad, kurz und knackig auch mal im vierten, genießen wir wie ein kühles Bier nach einer Tour – beides ist im Fluss.
In der Schlüssel-Seillänge im oberen Wandteil packen wir für die Fünfer-Stelle das Seil aus. Fliegen wollen wir schließlich erst später...
Klettern und die Klippe
Nach vier Stunden genussvollen Kletterns stehen wir auf dem Westgipfel. Eine Viertelstunde trennt uns noch vom Höhepunkt der Berchtesgadener Alpen. Beim Blick hinüber macht sich in der Bauchgegend erstmals ein kribbelndes Gefühl breit. Ein kleines Schneefeld zieht von der Eingangstüre des Matrashauses anfangs noch flach und immer steiler werdend zur Südwand hinunter.
Die Entdeckung der Leichtigkeit
Als wir vor dem Matrashaus unsere Turnsack-großen ultraleichten Flugobjekte von AirDesign aus dem Rucksack packen, unsere UFOs, überlegt der Hüttenwirt Kurz, ob er das Paragleiten doch noch einmal in seine Gedankenwelt aufnimmt. Punkto Sicherheit hat sich mittlerweile sehr viel getan. Und wie klein die Dinger doch sind! 1,6 Kilogramm wiegen unsere Singleskins und eröffnen damit unglaublich viele neue Möglichkeiten in der alpinen Welt. Dazu ein leichter Retter und ein Wendegurtzeug – ergeben vier zusätzliche Kilo im Aufstieg für einen schwerelosen Abstieg. Ein guter Deal.
Ob wir auch Windfahnen wollen? Fragt Kurz und kommt mit drei Eisenstangen und jeweils angebundenen Bändchen zurück. Perfekter Service auf 2941 Metern über dem Meer. Dann kraxelt der hilfsbereite Wirt sogar noch auf das Dach und montiert einen großen Windsack, den er üblicherweise für den Hubschrauber anbringt, wenn dieser im Landeanflug mit den nötigsten Lebensmitteln ist. Doch um Himmels Willen...
Der König verliert den Gletscher
„Das mit den Paragleitern hier oben hat vor fünf, sechs Jahren begonnen“, erzählt Kurz. An den Südwänden des Hochkönigs herrscht schon seit jeher reger Flugverkehr. Streckenpiloten drehen hier auf dem Weg nach Bischofshofen immer wieder gerne bis zur Basis auf. Als sich die ersten Paragleiter auf dem Hochkönig versuchten, da seien auch tödliche Unfälle passiert, erzählt der Wirt. Das dürfte auch mit dem Gletscher zusammenhängen, der auf der Nordseite bis auf das kleine Gipfelplateau reichte. Ein teuflisches Kaltluft-Thermik- Gemisch braute sich über dem Gipfel zusammen. „Da gab’s meistens eine größere, wilde Walze.“ Im heißen Sommer 2003 ging der Gletscher dramatisch zurück. Um heute Überbleibsel des nicht mehr ewigen Eises zu erwischen, muss man weit hinter das Gipfelplateau absteigen. Bald wird aber auch der letzte Gletscherrest vergangen sein.
Ein paar Mal im Jahr kommen neuerdings Paragleitpiloten über den Königsjodler-Klettersteig zum Gipfel, weiß Kurz. Gängiger ist der fünfstündige Normalweg vom Arthurhaus. Wir seien die Ersten, soweit er mitbekommen hat, die über die Südwand kletterten und dann fliegen, sagt er. Noch sitzen wir aber in seiner Hütte. „Jetzt ein Schnapserl?“, fragt der Wirt. Ja, bitte. Dem Magen wird etwas Beruhigung gut tun. „Früher haben die Leute ihre Schirme häufiger wieder eingepackt. Mir kommt vor, dass sie heutzutage öfters starten können. Und gleichzeitig sehr vernünftig sind“, sagt Kurz.
Wieder vor der Hüttentüre, es ist kurz nach Mittag: Die Thermik kommt in Fahrt. Zwei Paragleiter kreisen über dem Hochkönig. Dort oben sehen sie noch mehr als die 200 Dreitausender, die wir alleine hier theoretisch zählen könnten – wären unsere Augen nicht auf die Zeiger des Windes gerichtet. Der Windsack hatte zuletzt im Osten zu tun und ist gerade arbeitslos. Nützen wir diese Ruhephase. Wir legen den Schirm aus. Leichtes Lüfterl.
Let’s go! Das UFO steigt spielerisch über meinen Kopf, die Beine laufen, vier Schritte, und ich hebe ab.
Ich lasse mich wegtreiben von den steilen Felsen. Blicke zurück auf unsere Klettertour, kreise und kreische fast vor Glück. Die Tränen der Freude trocknen schnell in der thermischen Luft. Ehe ich mich versehe, hat Andi den Gipfel überhöht, ist so hoch wie die Dreitausender-Gipfel in der Ferne. Was für ein Hochgefühl!
Wir könnten nun an den Südabbrüchen entlang zur riesigen Wiese beim Arthurhaus fliegen, doch das ist uns zu weit weg vom kühlen Bier im Bus nach dieser heißen Tour. Hinauf zum Dientner Sattel? Oder doch zur Stegmoosalm? Die Kühe haben Platz gemacht. Eine gemähte Wiese ist die Landung trotzdem nicht. Bei schwierigen Wind-Verhältnissen landen wir, fallen uns überglücklich in die Arme, blicken 1500 Höhenmeter hinauf zum Hochkönig und verneigen uns. Danke für diese Audienz!
Anmerkung: Diese Geschichte erschien im Thermik-Magazin (Hike&Fly-Special, Oktober 2016)
Credits:
hochzwei.media | Marlies Czerny und Andreas Lattner