Unser kulinarischer Frühjahrsgruß kombiniert Köstlichkeiten aus Rheinhessen: Spargel und Wein. Doch wer sind die Menschen hinter diesen hochwertigen Produkten? Wir haben zwei alteingesessene Familienbetriebe besucht und durften in den Weinkeller blicken und die Spargelkelle schwingen.
Thomas Hemmes sucht mit seinem Blick die Erdbalken nach feinen Rissen ab. Sie verraten dem Bio-Bauern, wo sich die weißen Spargelköpfe ihren Weg nach oben bahnen. Mit seinen Händen gräbt er die Stelle frei. Treffer! In wenigen Sekunden ist die Spargelpflanze freigelegt und gestochen. Auch wenn Hemmes in der Erntezeit selbst eigentlich nicht mehr auf dem Acker steht – an diesem Aprilmorgen hat er es sich nicht nehmen lassen, mit uns aufs Feld zu fahren und die ersten Spargel-Vorboten der Saison heimzuholen.
Am Rande von Gau-Algesheim bewirtschaftet Hemmes auf rund sechs Hektar Bio-Spargel. Die Familie ist seit vielen Generationen in der rheinhessischen Gemeinde ansässig, baut neben dem Spargel auch Obst und Kürbisse an und betreibt eine Obstbrennerei. Alle Produkte gibt es im eigenen Hofladen zu kaufen. „Wir verkaufen den Spargel nur noch direkt an den Verbraucher“, erklärt der 46-Jährige. „Der Druck von Supermärkten und Discountern mit den absoluten Kampfpreisen ist einfach zu hoch geworden.“
Obst und Gemüse seien heute zu Ramschware verkommen, bedauert er. Dies mache es für einen regionalen Bauern nahezu unmöglich, faire Preise zu gestalten. „Die Leute kaufen, was günstig ist.“ In Meinungsumfragen zeigten viele sich umweltbewusst – im Kaufverhalten spiegele sich das aber leider nicht wider. „Der Verbraucher weiß gar nicht, welche Macht er eigentlich hätte“, sagt Hemmes.
Überzeugungstäter: Bio-Spargel zur natürlichen Zeit
Bio-Anbau betreibt Thomas Hemmes nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern aus persönlicher Überzeugung: „Wenn ich nur auf die Zahlen schaue, müsste ich wieder auf konventionellen Anbau umstellen“, erklärt er, „aber ich habe da eben meine eigene Meinung.“ Zu dieser gehört es auch, einen Teil der Spargelfelder extensiv zu bewirtschaften, also ohne Eingriffe in die Natur. Für den Spargel bedeutet das: Er darf einfach wachsen. Die weiße Spargelpflanze verfärbt sich so durch das Sonnenlicht dunkelgrün bis violett – den Geschmack findet Hemmes intensiver als jenen der originär grünen Spargelsorte.
Dem Bauern ist es außerdem wichtig, die natürliche Saison aufrechtzuerhalten. Während viele Betriebe Thermofolien einsetzen, um den Erntebeginn bis zu vier Wochen nach vorn zu legen, lässt Hemmes seinem Spargel die Zeit, die er braucht. „Jeder will heute noch früher den ersten Spargel“, kritisiert der Gau-Algesheimer, „das ist doch völlig unnatürlich!“ Früher habe man sich auf Erdbeeren und Spargel noch gefreut, heute seien klassische Saisonfrüchte zu Ganzjahresprodukten verkommen. Hemmes verzichtet deshalb auf Thermofolie.
Sein Opa erfand die Spargelfolie
Und dies, obwohl ausgerechnet sein Großvater Karl Lambrich seinerzeit die erste Spargelfolie erfunden hat. Patentieren lassen hat er seine Erfindung damals nicht, dafür hätte er mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Heute wird die schwarz-weiße Folie in der gesamten Landwirtschaft eingesetzt. Sie absorbiert das Sonnenlicht, lässt Pflanzen schneller wachsen und schützt sie vor Ungeziefer. Dass sein Opa den Anbau stark geprägt hat, ist für Hemmes klar: „Man muss mal überlegen, wie viele Hunderttausende Liter Pflanzenschutzmittel dank der Folien nicht gebraucht wurden.“
Den Einsatz der modernen, klarsichtigen Thermofolien, die heute großflächig über die Äcker gespannt werden, sieht der Bauer vor dem Hintergrund von Naturschutz und Insektensterben allerdings kritisch – und weiß seinen Großvater auf seiner Seite: „Er war ein Idealist – ich bin sicher, er wäre den gleichen Weg gegangen wie ich!“ Karl Lambrich konnte seinerzeit den Betrieb dank des Spargels schnell vergrößern. Nach dem Krieg habe er gerade einmal eine Handvoll Felder gehabt, die er dann zum regionalen Großbetrieb ausbaute. Eine derart positive Perspektive sieht Hemmes für seine eigenen Kinder heute nicht mehr: „Die Situation in der Landwirtschaft ist wirklich schwierig. Ich möchte nicht, dass mein Sohn einmal Bauer wird.“
Weingut Immerheiser: Wenn der Vater mit dem Sohne …
Im Weingut Immerheiser hingegen ist die junge Generation schon im Boot. Vater Georg und Sohn Dennis führen den Familienbetrieb gemeinsam und teilen sich die Verantwortung. Etwa zehn Kilometer vom Obsthof Hemmes entfernt liegt Schwabenheim an der Selz. Dort ist Familie Immerheiser seit rund 370 Jahren zu Hause. Genauso lange bewirtschaftet sie den Weinberg. „Es waren immer Söhne da, die den Betrieb weitergeführt haben“, berichtet Georg Immerheiser.
Oft hätten sich die Generationen mit technischer und kaufmännischer Ausrichtung im Wechsel gut ergänzt. So auch heute: Georg Immerheiser hat das Weingut vor 45 Jahren übernommen und vieles umgekrempelt. Den Weinverkauf stellte er auf Direktvertrieb um, mit der Gastronomie hat er ein zweites Standbein aufgebaut.
Sohn Dennis entschied sich, den Beruf des Winzers zu erlernen. Nach seiner Ausbildung brachte er viel frischen Wind in den Betrieb und modernisierte die Kellertechnik. Er sorgte dafür, dass die Trauben schonender transportiert und verarbeitet werden. Die Familie investierte zudem in neue Edelstahltanks und stellte bei der Weißweinproduktion auf Kaltvergärung um. „Wenn man den Wein bei der Gärung kühlt, enthält er deutlich mehr Aromen“, erklärt er uns.
Sein Vater fuhr noch mit dem Pferdewagen in den Weinberg
War es schwierig, so viel zu verändern? „Mein Vater war sehr offen für Neues“, meint der 38-Jährige. Bestimmte Dinge wollte Georg Immerheiser beibehalten, dazu zählte etwa die Handlese – für den Vater ein schlichtes Qualitätskriterium. Aber auch er hat die Verbindung von Alt und Jung, von Tradition und Innovation immer als den richtigen Weg für den Familienbetrieb gesehen: „Man muss in die Zukunft blicken und darf nicht auf dem Stand von heute stehen bleiben“, bekräftigt er.
Der 70-Jährige hat schließlich selbst erlebt, wie sehr sich der Familienbetrieb seit seiner Kindheit verändert hat. „Als kleiner Junge bin ich mit meinem Vater noch mit dem Pferdewagen in die Weinberge gefahren“, erinnert er sich mit einem Augenzwinkern. Mit rund 20 Mann sei man damals in den Weinbergen gewesen – „aber in aller Gemütlichkeit, nicht in dieser Hektik wie heute“, betont der Senior. So war die Weinlese ein Erlebnis, das man mit Familie, Freunden und Bekannten geteilt habe: „Es war überall ein Geschnatter da draußen“, lacht der Gastronom. „Wenn du heute in der Weinlese bist, hörst du die Maschinen klappern – das war’s!“
„Früher dauerte die Weinlese aber auch bis zu 14 Wochen“, wirft Sohn Dennis ein und betont den positiven Aspekt der Modernisierung für die Qualität des Weines. Aufgrund der reinen Handlese habe man damals früher beginnen müssen, um die Ernte zu schaffen, erklärt er. Die ersten Trauben, die verarbeitet wurden, waren oft noch grün und voller Säure. Durch die Schlagkraft der Maschinen hätten die Winzer heute ganz andere Möglichkeiten: „Wir lassen die Trauben so lange hängen, wie es geht, damit sie richtig reif sind. Für den Geschmack des Weines ist das optimal.“ Die Weinlese selbst dauert heute nur noch zwei bis drei Wochen.
Ein Riesling dokumentiert die gute Zusammenarbeit
Die exklusiven Weinlinien werden bei Immerheisers noch immer per Hand gelesen. Ansonsten setzt die Familie auf eine Kombination: Per Hand werden faule oder unreife Trauben abgeschnitten, die später nicht in der Flasche landen sollen. Dann kommen die Maschinen zum Einsatz. Als Sohn Dennis seinerzeit diese Art der Vorselektion zur Optimierung des Weines einführte, sorgte er im beschaulichen Schwabenheim für Aufruhr: „Die Nachbarn riefen bestürzt an: Bei euch auf dem Weinberg liegen abgeschnittene Trauben auf dem Boden!“, schmunzelt Vater Georg bei der Erinnerung daran.
Skepsis gegenüber Neuerungen, Ideen und der Erfahrung des Sohnes habe es von Außenstehenden hin und wieder gegeben. Um sie aus der Welt zu räumen, haben Georg und Dennis Immerheiser vor einigen Jahren ein Zeichen gesetzt. Sie legten einen Wein auf, dessen Name Programm ist: Vater & Sohn. „Wir wollten zeigen, dass wir die Erfahrungen des Vaters mit der Innovation des Sohnes verbinden, dass wir uns gut verstehen und uns keiner gegeneinander ausspielen kann“, betonen beide. Auch optisch sticht der Riesling ins Auge: Das Etikett ist als witziger Comicstreifen gestaltet, der Immerheiser senior und junior gemeinsam bei den verschiedenen Stationen der Weinproduktion zeigt. Georg und Dennis Immerheiser ziehen auch heute noch an einem Strang, wie sie klarstellen: „Wir probieren jeden Wein zusammen, bevor er abgefüllt wird.“