Der Maler und Bildhauer Gerhard Richter hat der Stadt Münster das Kunstwerk „Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel“ gestiftet, das in der profanierten Dominikanerkirche zu sehen ist. Es besteht aus einem 29 Meter langen Foucaultschen Pendel und vier rechteckigen, sechs Meter hohen Glastafeln. An der Umsetzung dieses spektakulären Projekts waren Physiker, Feinmechaniker und Elektroniker des Fachbereichs Physik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) beteiligt. Sie haben an der Konzeption des Pendels mitgewirkt und den Antrieb dafür gebaut. Begonnen hat die für das WWU-Team nicht alltägliche Zusammenarbeit einige Monate vor der Einweihung des Kunstwerks mit einem Anruf des Kurators Marcus Lütkemeyer und der Frage, ob der Fachbereich Physik den Künstler bei der Realisierung unterstützen könne.
Elf Meter über dem Boden hängt eine von der Universität Regensburg für Testzwecke zur Verfügung gestellte Kugel. Die Halterung ist an einem Dachfenster in der technischen Versuchshalle im Physikalischen Institut der WWU befestigt. Unter dem Pendelkörper steht ein provisorisch zusammengebauter Antrieb auf einem mobilen, kreisrunden Podest. Ringsherum führen Kabel zu verschiedenen Monitoren und einer Stromquelle. Die Eröffnung des Kunstwerks von Gerhard Richter ist in gut vier Monaten. Bevor die Mitarbeiter des Fachbereichs Physik den Pendelantrieb in der Bodenplatte der Dominikanerkirche verbauen konnten, führten sie im Frühjahr 2018 zunächst eine mehrwöchige Testphase durch. Zwar hat das Team solche Antriebe bereits für kleinere Pendel konzipiert, aber dennoch ist dieser Auftrag mit viel Tüftelei verbunden. „In der ehemaligen Kirche gibt es zahlreiche äußere Einflüsse, die sich auf das Foucaultsche Pendel auswirken können. Und ein Pendel mit einer Länge von 29 Metern haben wir noch nie gebaut“, erklärt Dr. Andreas Gorschlüter, Geschäftsführer des Physikalischen Instituts der WWU. Wie lassen sich die Vorstellungen von Gerhard Richter umsetzen? Schließlich soll das Pendel keine Energie verlieren und dauerhaft schwingen. „In unserer Werkstatt können wir schnell reagieren und Dinge noch verändern und anpassen“, sagt Andreas Gorschlüter.
Eine 48 Kilogramm schwere Kugel, die von der NBF GmbH aus Münster aus einem Messingzylinder gefertigt wurde, schwingt mit einem Durchmesser von 22 Zentimetern an einem 29 Meter langen Seil über einer runden, von Gerhard Richter gestalteten Bodenplatte. Elf Sekunden dauert eine Schwingung. Einen Meter unter der Aufhängung ist der sogenannte Charron-Ring angebracht. Das drei Millimeter dicke Edelstahlseil stößt bei jeder Schwingung an diesen Ring. Dadurch werden Taumelbewegungen verhindert, die sich negativ auf das Schwingen auswirken würden.
Der eigens entwickelte elektromagnetische Antrieb hält das Foucaultsche Pendel über eine magnetische Kraft auf einen in der Kugel befindlichen Neodym-Magneten ständig in Bewegung. „Das ist derzeit das stärkste Material, das es auf dem Markt gibt“, betont Dr. Andreas Gorschlüter. Die Magnetspule ist nicht dauerhaft eingeschaltet, sondern wird von einem Mikroprozessor so gesteuert, dass sie immer wieder zur richtigen Zeit eine genau vorgegebene Kraft auf die Kugel ausübt, um das Pendel permanent schwingen zu lassen.
Die Versuchsreihe von Physiker Jean Bernard Léon Foucault
Der französische Physiker Jean Bernard Léon Foucault (1819-1868) wies mit seiner Versuchsreihe im 19. Jahrhundert anschaulich die Erdrotation nach. Zunächst ließ Jean Bernard Léon Foucault ein zwei Meter langes Pendel im Keller seines Hauses über dem Boden schwingen und markierte genau seine Bahn. Es folgten Experimente mit einem zwölf Meter langen Pendel in der Pariser Sternwarte und mit einem 67 Meter langen Pendel im Panthéon, der nationalen Ruhmeshalle der Franzosen und der Grabstätte berühmter französischer Persönlichkeiten. Eine Spitze, die am Pendelkörper angebracht war, zeichnete mit jeder Schwingung eine Spur in eine Sandfläche.
Bei einem schwingenden Pendel bleibt die Schwingungsebene im Raum unverändert. Aufgrund der Erdrotation dreht sich aber der Boden unter der Schwingungsebene des Pendels weg. Für den Betrachter sieht es deshalb so aus, als würde sich die Schwingungsrichtung des Pendels drehen. Eine volle Umdrehung um 360 Grad dauert in Münster etwa 30 Stunden. Am Nordpol braucht es nur 24 Stunden. Die Dauer der Drehung hängt von der Lage des Ortes auf der Erde ab. Am Äquator dreht sich das Pendel gar nicht.
Während das Team um Andreas Gorschlüter durch die Tests das Pendel und dessen Antrieb weiter optimierten, wurde die profanierte Dominikanerkirche umgebaut. Die Orgel aus den 1950er-Jahren verschwand. Auch die 150 grünen Holzstühle und der Altar mit seiner tonnenschweren Steinplatte, der zentral in der Kirche etwas erhöht auf einer Stufe gestanden hat, mussten weichen. In der Vierungskuppel haben Gerüstbauer ein knapp 28 Meter hohes Raumgerüst aufgestellt. Handwerker tauschten Fensterscheiben aus und erneuerten schadhafte Fugen der Bleiverglasung. Die Wände der Kuppel wurden gereinigt und gestrichen. Eine sichtbare Metallkonstruktion in der Kuppel dient als Aufhängung für das Seil. Und dann war es endlich soweit: Am 18. Mai 2018 – rund einen Monat vor der Eröffnung – installierten die WWU-Mitarbeiter den Antrieb endgültig in der Kirche. Dreht sich das Pendel? Um diese Frage beantworten zu können, überwachten die Physiker, Feinmechaniker und Elektroniker ihre Konstruktion abwechselnd im Schichtdienst über Pfingsten.
Die monatelange Tüftelei zahlt sich aus. Der Antrieb des Foucaultschen Pendels funktioniert. Die WWU-Mitarbeiter haben es geschafft. Die feierliche Einweihung des Kunstwerks „Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel“ von Gerhard Richter am 17. Juni 2018 kann kommen. „Bei der Entwicklung dieses Antriebs brauchten wir einiges an Ideen. Insofern ist das auch ein bisschen Kunst“, sagt Andreas Gorschlüter erleichtert. „Das Projekt hat uns viel Spaß gemacht.“ Als bleibende Erinnerung sind die Namen des gesamten Teams in der Kuppel der Dominikanerkirche verewigt, indem sie in der Platte an der Trägerkonstruktion eingraviert wurden. Nur ein Wermutstropfen verbleibt am Ende für Andreas Gorschlüter und das Team: „Unser Antrieb als Teil des Kunstwerks bleibt dem Betrachter verborgen.“
Impressum
Autorin und Redaktion: Pressestelle der WWU Münster, Kathrin Nolte
Videos (Redaktion, Kamera und Schnitt): Pressestelle der WWU Münster, Alice Büsch
Fotos: WWU/Peter Leßmann, Presseamt Münster