Freitag, 9. November
Etappe l: Packen und Öffis zum Airport
Meine standardgepackten Täschlein reichen kaum für dieses Unternehmen. Die Qual des Packens samt Gemütlichkeit überfüllter Busse wird daher zur ersten Etappe erklärt.
Etappe II: Kopenhagen
Ist immer eine Reise wert. Auch nur für ’ne Stunde auf Kastrup.
Etappe III: Hamburg
Trommelwirbel - und...
Etappe IV: Lübeck
Wie sich Stunden später herausstellte, wurde unser Gepäck nicht etwa über Ostsee abgeworfen, sondern bloß nach Lanzarote geflogen. Weil das ja klar ist. Wohin auch sonst.
Wie geplant begeben wir uns weiter zum silbernen Ehewochenende nach Lübeck. Auf der Fahrt beobachten wir ein Phänomen, das wir nur allzugern und in aller Freundlichkeit unseren internationalen (SCHWEDISCHEN!!!) Auto fahrenden Freunden zeigen möchten:
Samstag, 10. November
Wahlsches 25-er Ehewochenende
Der fliegende Koffer war doch nicht auf Lanzarote. Er gilt bis auf weiteres als verschollen. Das heißt, wir müssen ohne die Sachen weiterreisen...
Egal, wie viel oder wenig wir von den Kosten erstattet bekommen, für heute reißt es erstmal ein ordentliches Loch in unser Budget.
Sonntag, 11. November
Etappe V: Zurück nach HH
Nach sehr kurzer Nacht geht es zurück zum Helmut-Schmidt-Flughafen Hamburg.
An der Gepäckermittlung stellt sich heraus, dass der Koffer also doch auf Lanzarote gelandet ist und dort ohne uns Urlaub macht. Man werde ihn aber bald zurück nach Göteborg schicken.
Etappe VI: Athen
... mit nur 55 Minuten Umsteigezeit 😕
Etappe VII: Tel Aviv
We made it. Sicher in Tel Aviv angekommen. Was für viele feine, bunte Zeichen der Geldautomat alle anzeigen kann! Was mögen sie wohl bedeuten? Es ist schon etwas abenteuerlich, in einem Land anzukommen, wo man nie war, dessen Kultur man nicht kennt und Sprache man weder verstehen noch lesen kann, und dann nichts als eine Adresse zu haben, die mehrere Stunden entfernt ist, die man aber auch nicht lesen kann. Genau da müssen wir jetzt also hin.
Etappe VIII: Tiberias
Nun, wir sind jetzt so was wie im Orient, oder? Da muss man mit den Leuten reden, nicht war?! Und sich auf sein Bauchgefühl verlassen. Und wir haben mit vielen geredet, um eine Reisemöglichkeit zum Ziel zu finden, und unser Bauch sprach sein „Nein.“ dazu. Dann schrie uns einer an. Wir haben kein Wort verstanden. Ein alter Hagerer kam aus seinem Kleinbus geschlichen. Englisch unmöglich. Schwedisch auch. Da sprang er fort und holte seinen Freund. Einen Dicken, der nicht lesen konnte. Da haben wir zugeschlagen und einen Deal gemacht.
Hoffentlich.
Doch der Bauch hatte recht. Um 23:30 liegen wir in unseren Betten.
Montag, 12.November
Frühstück um 6:30 😫, gefühlte 4:30. Dort stoßen wir auf den Rest der Truppe. Die hatten nämlich den Luxus, gestern schon schlafen zu können, als wir ankamen.
Etappe IX: Nazareth
Wer hätte gedacht, dass Nazareth ein winziges, völlig unbedeutendes und abgelegenes Bergdorf war, so klein, dass das ganze Dorf heute von einer einzigen Kirche überbaut ist (ok, es ist die größte im ganzen mittleren Osten)? Im Keller der Kirche ist sogar das Fundament des Hauses Marias zu sehen, und die Archäologen sind sich einig, dass es authentisch ist. Allerdings besteht keine Einigkeit, ob der Engel ihr in ihrem Haus oder draußen beim Brunnen begegnet ist.
Wer hätte gedacht, dass Nazareth heute die größte islamische Community Israels hat? Glockentürme und Minarette versetzen die nazarenische Luft um die Wette in Schwingung.
In einem katholischen Zentrum treffen wir eine israelische Professorin, die mit ihrer Familie aus Kanada nach Israel gekehrt ist. In einem äußerst interessanten Vortrag mit langer anschließender Diskussion lernen wir viel über die interreligiöse Beziehung zwischen Juden und Christen.
Am Ende des ersten Tages geht es mir erstaunlich gut.
Ich staune nur den ganzen Tag darüber, wie normal, winzig, unbedeutend und versteckt Jesus eigentlich war, und doch überladen mit Symbolik (Nazareth z. B. bedeutet so viel wie „neuer, lebender Olivenbaumtrieb aus einem toten Stamm“). Jesus zu seiner Zeit persönlich zu treffen war wie ein Sechser im Lotto. Gott hat sich wahrlich nicht promoted. Man musste intensiv suchen, um intensiv zu finden.
Dienstag, 13. November
Etappe X: Am, um und auf dem See Genezareth
Der Tag beginnt mit dem Abstieg vom Arbelberg, der höchsten Erhebung am See. Und weil Jesus auf „den“, nicht irgendeinen Berg ging, könnte es gut sein, dass Petrus eben genau hier Hütten bauen wollen. Viel interessanter sind aber die Höhlen der Zeloten, die an diesem Berg ihren Anfang und ihr Ende fanden.
Ehrlich gesagt sind meine Eindrücke, Gedanken und Gefühle einfach viel zu viele, um sie in so kurzer Zeit, die mir zum Schreiben bleibt, ausdrücken zu können.
Kapernaum, Petrus‘ Haus, arabische Falafel, auf dem See Genezareth fahren, Magdala sehen, mit seiner wunderschönen Synagoge.
Mich stört es immer wieder und immer mehr, wie Modell Konstantin (unsere Voreinstellung zum Thema Gemeinde) den Kern des Evangeliums immer und immer wieder versaut hat. Das gestörte Verhältnis zwischen Christen und Juden wäre nur ein Besispiel. Mich stört, dass die Kirche eine Hure und gleichzeitig meine Mutter ist.
Andererseits wird Jesus so menschlich, nahbar, real. Er war ein völlig normaler Mensch. Und er scheint mir ständig zu sagen: „Das kannst du auch.“
Offenbar sind heute 400 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden. Die Erfahrung, in einem Land zu sein, für das Angriffe und Attentate viel gewöhnlicher sind als bei und, ist sicher auch eine wertvolle. Wir sind aber derzeit am anderen Ende des Landes und fühlen uns trotzdem sicher.
Mittwoch, 14. November
Der Tag beginnt mit der Bergpredigt. Alle Verse.
Etappe XI: Bet She’an
Östlich des Galiläischen Sees geht es Richtung Süden, durch Dekapolis, dem Gebiet der zehn Städte. Wir besuchen die Reste einer dieser römischen Metropolen, eine der größten, mit einer Geschichte, die zurück bis König Saul reicht. Zur römischen Zeit kann man sich leicht vorstellen, wie ein verschwenderischer Sohn in dieses fremde Land zieht, im Handumdrehen sein Geld verspielt hat um dann Schweine hüten zu müssen, die die Römer verspiesen.
Etappe XI: Jordan
Etappe XII: Qumran
Etappe XIII: Totes Meer
Etappe XIV: En Gedi
Das Tal mit der Höhle, in der David einst König Saul verschonte. Die Gegend mit der Oase, in der die schöne Blume aus dem Hohelied wuchs. Der Teil am Toten Meer, an dem einst reihenweise Fischer und Angler stehen werden, wenn der Strom aus Hesekiel 47 hier münden wird.
Donnerstag, 15. November
Etappe XV: Masada
Was ist und mehr wert: Leben oder Ehre? Tod oder Schändung? Bei solchen Fragen komme ich mir wie ein Analphabet vor. Wie wahrscheinlich alle im Wohlstandswesten. Für die Zeloten, die Herodes Festung einfach so eingenommen hatten und drei Jahre lang auf seine Kosten lebten, weil es den Römern nicht gelang, ihre eigene Hochsicherheitsfestung zurückzuerobern, wurde die Frage am Ende dann doch real. In einem Überraschungsschlag konnten die zur Lächerlichkeit gedemütigten Römer in die Festung eindringen, um furchtbare Rache zu üben und ihre Ehre wiederzugewinnen. Doch auch diese Freude stahlen die Zeloten von Ihnen: Sie fanden nur Leichen. In der Synagoge der Festung war entschieden worden, dass jeder Vater erst seine Familie, dann sich selbst zu töten hatte.
Etappe XVI: Judäische Wüste
Durch den Garten Gezemaneh und die Church of Agonie geht’s zu Fuß und ohne Esel durch die Stadtmauer zu unserem Quartier mitten in der Altstadt.
Ich bin erstaunt, wie gut die Reise klappt. Das Zusammensein mit den Studenten klappt wunderbar. Heute meinten sie, „Marcus wäre damals ganz sicher auch ein Zelot gewesen, das würde zu ihm passen.“ Vielleicht haben sie Recht. Es sind sehr lange Tage, Programm von 7-21 Uhr ohne eigene Zeit. Viele Eindrücke, viel zu bearbeiten, sehr viel Bewegung. Das macht zwar müde, aber es ist es wert.
Freitag, 16. November
Etappe XIX ins Alte Testament
Per Zeitreise begeben wir uns ins alte, vorchristliche Jerusalem.
Wir sehen uralte Mauern und Salbungsorte bekannter Könige. Wir bewundern die geniale, vorantike Wasserversorgung. Wir können durch Hiskias Tunnel schreiten, entdecken den Teich Siloah und betrachten Jerusalem aus einer sehr seltenen Perspektive: Von unten!
Jerusalems historische U-Bahnen:
... und zurück ins Neue Testament:
Göran ergreift hier wieder die Gelegenheit, uns ins biblische Jerusalem zu entführen, mit Tempelhändlern und Geldwechslern. Ich finde es höchst interessant, z.B. die Tempelreinigung nicht mehr meiner Phantasie oder der von Filmenachern überlassen zu müssen, sondern genau vor Augen zu haben, wo es geschehen ist und wo ihre Buden standen.
Aufregend ist es aber auch, zu sehen, dass eben genau hier das Pfingstwunder geschah! Und dass die Tempelbäder für die rituellen Waschungen am Pfingsttag für die Taufe vieler der 3000 neuen Gläubigen „zweckentfremdet“ wurden.
Um mir Pfingsten im Geiste besser vorstellen zu können, habe ich mich selbst kurzerhand noch einmal trockengetauft:
Etwas schauerlich sind die riesigen Tempelsteinblöcke, die seit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. unverändert dort herumliegen, die Zerstörung, die Jesus schon zu seiner Zeit vorausgesagt hatte.
Zeit für‘s Mittagessen.
Shabbat Shalom!
Nach diversen Märschen, die ich wegen Regens, müder Knochen und eines ebensolchen Geistes kaum dokumentiert habe, begeben wir uns zum Höhepunkt des Tages: Der Westmauer (meines Erachtens völlig fälschlicherweise als sogenannte „Klage“-Mauer bezeichnet) um dort den Sabbat zu begrüßen.
Während die Juden also auf ihre Weise den Sabbat empfangen, habe ich mein erstes und bislang einziges, außergewöhnliches spirituelles Erlebnis dieser Reise. Nach Eintritt in den nur für Männer reservierten Bereich trenne ich mich von der Gruppe Studenten, um allein zur Mauer zu gehen und zu beten.
Als ich mit der Hand die Mauer berühre, geschieht es. Die Einsicht, dass nichts von alldem magisch ist, aber dass Gott dieses Volk gewählt hat, um den Messias hervorzubringen, durch den die ganze Schöpfung erneuert werden soll. Dass oben über der Kante eben dieser Mauer einst das Allerheiligste stand, das Gott vor der Zeit Christi als Wohnstatt und Schnittstelle zum Menschen wählte. Während meine Hand an der Mauer ruht, spüre ich ein Gewicht auf mir, selbst Gedanken scheinen zu wiegen, alles geht langsam und besonders bedeutungsvoll. Ich fühle mich wie eingeschlossen in einer großen Blase aus Honig, süß und doch schwer, abgeschieden von allem um mich herum. Nur Gott allein scheint mit mir in der Blase sein, besonders nahe. In Zeitlupe bete ich besonders gewichtig und intensiv.
Als erstes bete ich für meine Schwiegertochter Athene.
Dann für ihren Mann, meinen Sohn Ole.
Danach muss ich einfach für Nils und Nadia beten.
Und für meine Frau Karen.
Ich bete für Anna und Andrew.
Was folgt, ist meine Gebetsroutine, die ich jeden Morgen auf Knien bete, mit kleinen Abweichungen und Ergänzungen. Gott scheint mir im Honig zuzunicken. Gebongt. Gebet erhört. Es gibt nichts weiteres zu sagen.
Ich mag noch nicht gehen. Doch als ich die Hand löse, ist die Blase weg und alles ist wie immer. Abgesehen von der Erinnerung an dieses Erlebnis. Ich schlendere über den Tempelplatz. Scharf bewaffnete Soldaten beginnen sich zu formieren. Erst beten sie, dann tanzen sie. Es werden immer mehr. Und noch mehr. Rabbiner feuern sie an, singen vor, tanzen mit. Teilweise tanzen sie sogar mit Touristen. Niemand stört sich am anderen. Der Tempelplatz gilt als Synagoge. Ich mag nicht gehen. Trotz Kälte und Regen. Die Westmauer ist wahrlich eine Freudenmauer.
Sabbat, 17. November
Früh am Morgen besuchen wir Jerusalems größte Synagoge und wohnen einem jüdischen Gottesdienst bei. Der Ministerpräsident, der hier auch hinkommt, war heute entweder verhindert oder er wollte auch mal ausschlafen.
Jüdische Gottesdienste scheinen sehr postmodern zu sein. Gleitzeit, kein steifes Gehabe, alle sind willkommen, Kinder sind dabei und ab 12 sogar einbezogen. Das „Höre Israel! Der Herr, dein Gott ist einer“ war natürlich der Höhepunkt.
Danach hatten wir Sabbat! Frei! Ein paar Studenten mussten zwar Studienbesuche in messianischen Gemeinden machen, doch Karen und ich hatten frei bis zum Abendbrot.
Zuerst genießen wir die aufgestellte Kunst in der Stadt.
Wir „pilgern“ einmal über die ganze Stadtmauer - so weit man eben darf.
Wir gehen die Via Dolorosa, den angeblichen Leidensweg Christi, allerdings falsch herum. Das macht nix, denn Jesus ist hier höchstwahrscheinlich nie blutend und mit Kreuz auf der Schulter gegangen. Im Mittelalter hatte man Pilatus’ Palast falsch lokalisiert, und so schlich sich diese Tradition über 500 Jahre ein.
Etwas nervig empfinde ich die Pilgergruppen, die uns entgegenkommen, und große oder kleine Kreuze schleppen, laut oder leise singen, schweigend oder Ave Marias am laufenden Band herunterleiernd.
Den Geier vollends abzuschießen gelingt aber nur der Grabeskirche. Hier wäre ich fast vom Glauben abgefallen...
Leiter der Lächerlichkeit
Wie schon in Nazareth oder Kapernaum so musste die Kirche ja auch hier ihre Machtgier und territorialen Herrschaftsansprüche mit dem Bau von Kirchen über historischen Stätten vor aller Welt unter Beweis stellen. Golgatha und das (leere) Grab Jesu befinden sich höchstwahrscheinlich tatsächlich in diesem unheiligen Gebäude. Im Rummel der Massen durch graudunkle Gemäuer vermischen sich Gefühle aus Psychothriller und Mittelalterjahrmarkt wie die Gerüche von Räucherwerk und tausend Parfums bekopftuchter Frauen des Ostens. Feuriges Wachs fällt wie langsame Meteroiten bedrohlich von einem Massenkerzenständer auf kalten Steinboden. Es kommt von Kerzenbündeln mit vielen Dochten, die aussehen wie aufgestellte Raketenabschussrampen im Ministurformat. Ein graubärtiger Priester, in seinem Gewand wie ein schwarzes Gespenst knapp über den Boden schwebend, überrempelt Karen - offenbar absichtlich - mit seiner riesigen Holzkiste mit großem Schlitz für viel Mammon. Generell benehmen sich jene Priester wie Lageraufseher, weniger als Gottesmänner. Sollte ich darstellen, wie sich der Gang durch die Schädelstätte anfühlt, so würde ich Millionen unsichtbarer und doch pechschwarzer Geister in Form von fliegenden, spinnenden und kriechenden Insekten malen oder computeranimieren, die verzweifelt versuchen, das größte Ereignis der Geschichte ungeschehen zu machen, indem sie einen historischen Platz belagern und verzweifelt für sich selbst zu beanspruchen versuchen. Denn wahrlich, an diesem Ort hat die größte geistliche Schlacht stattgefunden, die unsere Welt erlebt hat. Und es gab nur einen, eindeutigen Sieger.
Doch die Leiter der Kirche, allesamt Vertreter bedeutender Kirchen der Welt, haben sich erfolgreich einspinnen, einlullen und umsummen lassen. Sie sind in unsichtbare Netze gegangen und machen sich zu zurückgebliebenen, sich selbst toternst nehmenden und damit lächerlichen Karikaturen des siegreichen Königs, der diesen Platz schon lange verlassen hat.
Doch am lächerlichsten sind nicht die Leiter, sondern ist die Leiter. Sie steht seit ungezählten Jahren vor einem Fenster über dem Eingang. Orthodoxe, Katholiken & Co. können sich nicht einigen, wer die Leiter wegnehmen soll und was dann mit ihr geschieht. Einigung ist noch lange nicht in Sicht. Deshalb ist der Schlüssel der Kirche zur Verwaltung in den Händen einer muslimischen Familie.
Ja, genau, das habe ich auch gedacht.
Wenn ich Gott wäre, hätte ich schon längst mal mit einem kleinen Sturm nachgeholfen. Und die Leiter durchs Fenster auf die Raketenwerferkerzen fallen lassen, wie Bäume vom Himmel. Oder auch nicht. Soll die ganze Welt doch sehen, wie lächerlich Modell Konstantin ist. Doch wahrscheinlich gilt heute wie damals: Nur wer wirklich Ohren hat, der hört, nur wer wirklich sucht, der findet. Denn wenn jenes Schauspiel, was Kirchen in dieser Kirche der Welt vorspielen, Jesus sein soll, dann wollte ich wahrlich kein Christ mehr sein.
Sonntag, 18. November
Etappe XX: Bethlehem
Vor dem Gottesdienst erklärt uns Pastor N. vom Leben als Christ in einer sehr kleinen Minderheit. Sein Vortrag über den Druck, dem man hier ausgesetzt ist, wird eine mächtige Predigr für uns verwöhnte Christen des Westens.
Danach besuchen wir das Feld, auf dem die Engel den Hirten begegnet sind. Dort ist - natürlich! - ein Kirchbau errichtet worden.
Wir kaufen ein paar Souvenirs, um die lokalen Christen, deren Einkommen ausschließlich vom Tourismus abhängt, zu unterstützen. Auch unser Mittagsrestaurant wird von einer christlichen Familie geführt.
Weiter geht’s zum vermutlichen Geburtsplatz Jesu. Und wer hätte es gedacht, dass das historische Bethlehem von einer Kirche zugepflastert wurde? Dafür war sogar Konstantins Mutter persönlich verantwortlich.
Etappe XXI: Yad Vashem
Heftig, heftig, das Holocaustmuseum. Deutsch hört und sieht man nur von Nazis und auf Nazischildern. Gewiss, manche Deutsche sagen mir, irgendwann müsse es doch mal gut sein mit dem Nazigedöns. Ich stimme zu. Irgendwann ja. Doch wer bin ich, bestimmen zu können, dass das jetzt sein soll?
Die neue Kindergedenkstätte ist besonders heftig. Und künstlerisch äußerst hochwertig und eindrucksvoll. Es ist schwer, die Augen trocken zu halten. Aber man muss es solange darin aushalten können, bis die Augen wieder trocken sind.
Nach 15 Jahren Hausaufgaben habe ich mich heute bewusst Yad Vashem ausgesetzt, und das auch noch als Teil einer nichtdeutschen Gruppe.
Ich glaube, ich habe den Test bestanden.
Montag, 19. November
In aller Frühe wandern wir zum Tempel. Bzw. was davon übrig ist. Oder noch genauer, was daraus geworden ist: eine riesige islamische Fläche, auf der Muslime widerwillig akzeptieren müssen, dass für drei Stunden täglich Besucher sich dort aufhalten dürfen. Entsprechend hoch wird die Latte gehängt: strenger Kleidercode, kein religiöser Schmuck, keine Bibeln in den Taschen, beten strengstens verboten.
Der Felsendom steht nicht irgendwo. Er steht auf dem Gipfel vom Berg Moria, wo Abraham seinen Sohn opfern wollte. Und zweitens ist es genau der Platz, an dem bis 70 n.Chr. das Allerheiligste des jüdischen Tempels stand. Der Felsendom ist keine Moschee, sondern ein Platz des Gebets und der Meditation. Im Felsen des Berg Morias unter dem Dom gibt es eine Höhle, aus der Allah alle Gebete erhört, die dort gebetet werden, haben wir heute gelernt.
Wir besuchen die „Kleine (Klage-) Mauer“ mitten im arabischen Viertel der Altstadt.
Bei einer Fika entwickelt sich eine Unterhaltung mit einigen Studenten über die Bedeutung des Tempels im AT und NT, und wir entdecken Dinge, die uns mit Gänsehaut zum Staunen bringen. Eine Fika, besser als die meisten Gottesdienste.
Anschließend besuchen wir das Tempelinstitut. Zweck des Institutes ist, alles so genau wie möglich für den Bau des dritten Tempels vorzubereiten.
Wir sehen also keine Museumsstücke, sondern echte Geräte, Werkzeuge, Gewänder, Baupläne und so weiter, die in Gebrauch gehen werden, sobald die Juden den dritten Tempel in Betrieb nehmen werden. Man wisse sogar, wo die Bundeslade sei, versichert man uns, und diese würde dann wieder ins Allerheiligste gebracht werden.
Nach dem Mittag geht‘s ins „Burned House“, eine Ausgrabung in der Nähe des Tempels. Es war das Haus des Hohepriesters Katros, dessen Hausruinen mit seinen Gegenständen und Knochen die Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. dokumentieren.
Von dort wandern wir zum Obergemach, wo Jesus das Abendmahl mit seinen Jüngern feierte.
Das Grab Davids, das eigentlich gar nicht sein Grab ist, aber naja, liegt nicht fern.
Von dort geht es weiter zu einer Stelle in der Nähe des Jaffators, wo man nach neueren archäologischen Funden wahrscheinlich die wahre Stelle gefunden hat, wo Pilatus sein Heim und „Büro“ hatte, und wo Jesus mit größter Wahrscheinlichkeit verurteilt und gegeißelt wurde. Gegen die mittelalterliche Tradition der Kirche kommt moderne Archäologie und Forschung natürlich nicht an, doch ich finde es faszinierend.
Mein Kollege Göran setzt seine Vortragsreihe vor Ort fort, diesmal am vermutlich wahren Platz der Verurteilung Jesu. Und er stellt die Frage: „Welche waren es eigentlich, die ‚Kreuzige ihn!‘ schrien?“ Seine Schlussfolgerungen motivieren mich tatsächlich, einen ganz neuen Jesusfilm zu drehen. Denn sie stellen in Frage, wie Christen im Laufe der Geschichte mit Juden umgegangen sind. Und dass die Kirche maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Dinge wie der Holocaust überhaupt passieren konnten.
Dienstag, 20. November
Etappe XXII: Land-der-Bibel-Museum Jerusalem
Unser Bus bringt uns in der Frühe zu diesem faszinierenden Museum, wo uns ein noch faszinierenderer, fast dreistündiger Vortrag eines Botschafters für jüdisch-christliche Beziehungen erwartet.
Unser Lehrer, ehemaliger Angestellter der israelischen Botschaft in New York, spricht über den Heiligen Geist im Alten Testament, die Schöpfung Adams und die Stiftung der Ehe, Abrahams größten Fehler oder das Purimfest, und ich frage mich: Warum war die Kirche arrogant genug, das ganze Wissen der Juden kollektiv zu verwerfen und völlig eigene Theologien zu entwickelt, oft mehr auf griechischen Philosophen basierend als auf dem Alten Testament?
Diese Frage wurde heute immer wieder in spontan entstehenden Gesprächen mit den Studenten diskutiert.
Der Besuch bei „King of Kings ministries“ war ja ganz nett aber ich hatte die Begegnung mit einer echten messianischen Gemeinde erwartet. Stattdessen bekam ich eine gut gemeinte aber typisch nordamerikanische „how great we are“-Präsentation. Weil ich das gerade nicht so brauche wurde dieser Besuch eher eine Enttäuschung.
So wollte ich den Tag nicht abschließen.
Deshalb habe ich 2,50 € investiert und mir meine eigene Kippa gekauft...
... und bin nochmal zurück zur Freudenmauer...
... um dort in meiner Honigblase ein besonderes Committment zu geben. Und um noch ein paar Kleinigkeiten zu klären.
Schließlich habe ich sehr selten emotionale, geistliche Erlebnisse, wo ich mich Gott besonders nahe fühle. Wenn das an der Westmauer aber mal so ist und ich zufällig hier bin, will ich das auch ausnutzen.
Mittwoch, 21. November
Etappe XXIII: Das Gartengrab
Das Gartengrab. In meinen frühen Tagen als Christ hatte ich irgendwo gelesen und gesehen, dass hier die Schädelstätte ist - ein Felsen, der in der Tat wie ein Schädel aussah. Er lag knapp außerhalb der Stadtmauer, auch das passte also. Außerdem fand man ganz in der Nähe ein ausgehauenes, leeres Grab, das ganz offensichtlich einer sehr reichen Familie gehört haben muss.
Der Park „Gartengrab“ ist wohl die freikirchliche Antwort auf die Gruselgrabeskirche in muslimischer Hand. Hunderttausende aus aller Welt besuchen diesen liebevoll angelegten kleinen Park, der auf ganz viele eine irgendwie beruhigende Ausstrahlung hat. Pensionierte Christen aus dem ganzen Globus heißen die Besucher willkommen und bieten kostenlose Führungen an. Auf diese Weise ist hier schon Millionen das Evangelium gepredigt worden.
Diese Stelle wurde erst im 19. Jahrhundert von einem Deutschen entdeckt, und damit bleibt es trotz allen Argumenten dafür recht unwahrscheinlich, dass dies der authentische Platz ist. Mir haben dazu aber die zwei Aussagen Bertils gefallen:
Wo auch immer es geschehen sein mag, es ist möglich, dass wir nur 5 oder 50m von Golgatha und dem leeren Grab entfernt sind. Aber es ist unmöglich, dass wir weiter als 500m davon entfernt sind. Welche Rolle spielt das schon. Es ist geschehen, darauf kommt es an!
Und:
Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.
Bertil hat für uns in einer der vielen Nischen, die dort liebevoll und bewusst angelegt sind, ein Abendmahl vorbereitet. Das hatte Göran so bestellt. Mein Kollege Ulf hatte den Lobpreis vorbereitet, ich zwei kurze Andachten und die Leitung des Abendmahls. Während aus einer anderen Nische südamerikanische Pfingstcharismatik schmettert, machen wir es auf die skandinavische Weise.
Mit Jesu Worten „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich Euch!“ geht der letzte offizielle Programmpunkt dieser Studienreise zu Ende. Ich fühle mich geehrt, ausgerechnet diesen Teil gleich neben dem leeren Grab übernehmen zu dürfen.
Danach haben wir alle mehrere Stunden frei, um die Stadt zum letzten Mal auf eigene Faust zu erkunden. Frei von Studenten gönne ich mir ein
und widmen wir uns der Frage:
Kreuz und quer laufen wir herum und staunen immer wieder über alle Arten von Gestalten.
Und damit wird es Zeit, Jerusalem wieder zu verlassen.
Etappe XXIV: Tel Aviv
Unser Busfahrer Yussi, der mittlerweile zum Freund wird, fährt uns den ganzen Weg zum Meer.
Ich falle in einen tiefen Busschlaf. Angekommen im Hotel, wo wir nur auf den morgigen Abflug warten werden, überkommt mich das ermattende Gefühl eines „System Overloads“.
Donnerstag, 22. November
Ich habe so viele Fragen! Nach allem, was wir gesehen haben, raucht mein Kopf. So viele Gedanken. Warum hat die Kirche die Juden seit so langer Zeit kollektiv verachtet? Warum mussten Juden, die messianisch wurden, ihrer jüdischen Herkunft absagen, weil das Nicht-mehr-Jude-sein-müssen als „reifer“ angesehen wurde? Warum hat man den kompletten Schatz jüdischer Theologie komplett verworfen und das Rad neu erfunden, sich seine eigene, griechisch-philosophische Theologie zusammengebastelt, die das Jüdische ersetzten sollte? War Jesus denn kein Jude? Wurde er nicht Rabbi genannt?! Hat man nie Römer 11 gelesen? Was hätte Hitler gemacht, wenn ihm die Kirche einschließlich Luther über anderthalb Jahrtausende keinen Holocaust vorbereitet hätte?! Warum habe ich mir diese Fragen nicht schon viel früher gestellt? Warum bin ich so spät dran? Weil unsere jüdischen Ursprünge in christlicher Theologie einfach kaum eine Rolle spielen. Wo könnte Gemeinde heute sein, wenn das ganz anders gelaufen wäre? Wo könnte ich heute sein? Wo könnte Mission heute sein?!
In Tel Aviv fällt mir wieder einmal auf, wie entwickelt die elektrische Zweiradmobilät in Israel ist. Kaum ein Fahrrad ohne Motor. Es gibt alle möglichen Variationen, meist vom Typ E-BMX, aber auch E-Mofas und sämtliche Größen von E-Rollern oder Segways.
Etappe XXV: Jaffa
Nein, nicht zu den Orangen. Sondern zum Hafen Jonas und dem Ort, wo Petrus ordentlich herausgefordert wurde.
Etappe XXVI: Ben Gurion Airport
Wer nichts am Flughafen zu suchen hat, kommt auch nicht hin. Dafür sorgen Checkpoints, an denen man auf dem Weg zum Airport von speziell geschulten Soldaten interviewed wird. Zum Glück lässt man uns durch.
Am Flughafen teilt die Gruppe sich auf: Ein Teil wird nach Stockholm fliegen, ein anderer nach Kopenhagen. Da meine beiden Kollegen aus Uppsala bzw. Umeå kommen, nehmen sie den Flug in die schwedische Hauptstadt, und damit werde ich zum Leiter der südschwedischen Gruppe. Entsprechend werde ich von den Sicherheitsbeamten in die Zange gekommen. Im Einzelinterview werde ich gefragt wieso und warum wir in Israel waren, was wir gemacht haben, wer mit wem zusammenlebt, welche Pässe jeder hat und vieles mehr. Dann wird ein Student aus der Gruppe gezogen und meine Antworten gegengeprüft. Darauf folgt offizielle Sicherheitsbefragung jedes einzelnen Teilnehmers. Jeder Pass und jedes Gepäckstück wird markiert, dass wir diesen Check durchgemacht haben. Erst danach werden wir zum ganz normalen Check-In-Schalter durchgelassen. Die Geräte, durch die jeder einzelne Koffer nach dem Check-in geschickt wird, sehen aus wie kleine Kernspintomographen. Angeblich können sie den kompletten Inhalt samt sämtlicher chemischen Substanzen Detektoren. Dann kommt natürlich noch die ganz normale Security und danach die offizielle Passkontrolle. Viele Hürden. Man sagt, Israels Flughäfen haben die ausgefeiltesten Sicherheitssysteme der ganzen Welt. Bald gehts los.
Etappe XXVII: Kopenhagen
Mit über einer Stunde Verspätung kommen wir an. In weiser Voraussicht hatte ich hier eine Übernachtung gebucht. In unserem Zimmer findet sich doch tatsächlich ein Rezeptbuch zum Mitnehmen über die Prinzipien „nordischer Hotels“.
Wie schön, dass sich die schädlichen Aspekte des Fleischfressens in unserer Zeit immer mehr herumzusprechen scheinen. Mal sehen, was morgen hier zum Frühstück serviert wird.
Freitag, 23. November
Etappe XXVIII: Göteborg
Ausgeschlafen dürfen wir ein sehr gutes vegetarisches Frühstück genießen, dann geht es zum Flughafen Kastrup und von dort heim nach Göteborg.
Auf dem Flughafen treffen wir einen Bekannten wieder: Karens Koffer, der aussieht, als wäre auf Lanzarote Krieg ausgebrochen. Risse, tiefe Kratzer, aufgeschürfte Kanten. Kaum zu glauben, dass es die Jungfernreise eines nagelneuen Koffers war (unsere ausgezogenen Kinder haben alle Koffer mitgenommen), denn er sieht zehn Jahre älter aus als mein fünf Jahre alter Gefährte, der nun neben ihm steht. SAS weist sämtliche Verantwortungen von sich. Das seien ganz normale Gebrauchsspuren. Solange die Funktion eines Koffers noch gegeben sei, würde gar kein Schadensbericht erstellt. Man habe erst letzten Monat die Policy geändert.
Wir nehmen es als eine abschließende Lektion unserer Reise. Die Juden zur Zeit Jesu waren der totalen Willkür der Römer ausgesetzt. Deshalb warteten sie auf die Gerechtigkeit des Messias. Wir können also froh sein, nur einen Koffer und nicht unser Leben verloren zu haben. Immerhin ist auch nichts vom Inhalt verschwunden. Woher allerdings die Kiefernnadeln im Koffer herkamen, das wissen wir auch nicht so genau.
Und damit endet dieses Tagebuch. Doch dieses Ende fühlt sich an wie der Anfang einer wunderbaren Geschichte.
Credits:
All photos by Marcus Fritsch ©2018