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Mit Redefreiheit zur Meinungsdiktatur Die Inszenierung rechter Influencer*Innen auf YouTube

Mit großem Aufwand bauen Rechte neue Netzwerke aus Medien, Plattformen und Influencer*Innen auf. Fast unbemerkt von der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, wächst auf diversen Social Media Plattformen eine eigene, so erfolgreiche wie aktive rechtsextreme Szene. Die Protagonist*Innen nutzen und kennen die Algorithmen der Plattformen um sich selbst und ihren Inhalten Reichweite verschaffen und damit neue Meinungsbilder zu etablieren. Ihr Vorgehen: Nähe und Authentizität werden mit schönen Bildern und zielgruppengerechten Geschichten inszeniert. So wird es ihnen möglich, mit ihren Inhalten weit über das eigene Kernklientel hinaus Millionen zu erreichen.

Influencer*Innen werben für Produkte – manchmal aber auch für politische Ideologien.

Durch die Aneignung von YouTube-Formaten werden neben Werbung rassistische Inhalte unter der Hand vermittelt. Die scheinbar neutral vorgetragenen Narrative werden mit radikal politischer Agenda unterfüttert um damit bewusst den Diskurs in rechtsextreme Richtung zu verschieben. Dieser Beitrag widmet sich der Analyse von zwei besonders aktiven rechten YouTube-Influencern, Timm Kellner und neverforgetniki. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Selbstinzenierung der beiden rechten Influencer.

Timm Kellner (45, Rechtsextremist, Influencer) ist außer sich vor Lachen. Gerade hat er einen Videoausschnitt gezeigt, in dem eine Stadträtin sichtlich emotional erschüttert ist. In einer deutschen Kleinstadt hat sich eine Bürger*Innenabstimmung gegen den Bau einer Moschee entschieden. In einem Interview gibt die Stadträtin ihrer Enttäuschung über diese Intoleranz Ausdruck. Sie ringt mit den Tränen. Er ringt sowohl um Luft, als auch um Worte.

Timm Kellner ist YouTube Influencer. In seinen mehr oder weniger täglich erscheinenden Videos bespricht er alles, was ihm wichtig erscheint. Oft diffamiert er prominente deutsche (vor allem weibliche) Politiker*Innen, deckt vermeintliche Missstände auf, verbreitet rechte Verschwörungstheorien und -mythen, hetzt gegen öffentliche Organe wie Polizei, Presse, Parteien, zivilcouragierte Personen und Bewegungen, und, und, und.

So vielfältig seine Videos sind, so einfach ist seine Perspektive auf die Welt. Er reproduziert die von antisemitischen Verschwörungstheorien, Rassismus und der Ablehnung der repräsentativen Demokratie geprägten Basisnarrative der extremen Rechten: Deutschland sei bedroht und befinde sich im Kriegszustand. Er steht nur für einen Stil, der in diesem Bereich oft zu finden ist: laut, aufgedreht, polarisierend, und wenn es immer mal ein bisschen drüber ist, muss es im Sinne der freien Meinungsäußerung ausgehalten werden – beziehungsweise war es satirisch gemeint.

Im Hintergrund ein etwas verblichenes, leicht gewelltes Plakat mit einer Weltkarte auf einer weißen Wand, eine silberne Schreibtischlampe - das ist das Setting der YouTube-Videos von neverforgetniki. Irgendwo zwischen Jugendzimmer und Nachrichtenstudio inszeniert sich Niklas Lotz aka neverforgetniki (20, Rechtsextremist, Influencer) als nahbarer Sprecher des Volkes.

Er selbst wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, rechts oder rechtsextrem zu sein. Seine Videoinhalte erzählen aber etwas anderes: er wettert gegen „Massenmigration“ und die Medien, die Grünen, die SPD, die Klimabewegung oder zivile Seenotrettung. In Anlehnung an Rezos virales Video über „Die Zerstörung der CDU“ produziert er Videos mit Titeln wie „Die Zerstörung von ARD und ZDF“, „Die Zerstörung von Fridays for Future“ oder "Die Zerstörung von #wirsindmehr". Immer wiederkehrend sind dabei Videos über die angeblich eingeschränkte Meinungsfreiheit in Deutschland.

In seinen Videos wirkt Niklas Lotz schnell wie ein jugendlicher, ein wenig unbedarfter aber ambitionierter Journalist.

Lange existierte das mentale Bild der Rechtsextremen als Halbstarke, die in Wehrmachtsuniformen im Wald unterwegs waren. Jetzt sind sie menschlich, haben Schwächen und Stärken und auch Humor. Rechte Youtuber*Innen wie Timm Kellner oder neverforgetniki versuchen in den sozialen Medien das Bild des Baseballschläger schwingenden Neonazis aufzubrechen. Und auch wenn sich die geistigen Inhalte ähneln, versuchen sie sich neu, seriös, modern und nahbar darzustellen. Dabei nutzen sie die Selbstinszenierungsmöglichkeiten auf Youtube und anderen Plattformen.

Im digitalen Raum scheint die Bandbreite des „Sagbaren“ ohnehin weiter gefasst, „Meinungsfreiheit“ avanciert zum Kampfbegriff. Ein Unterschied zwischen Meinung, Beleidigung und Verhetzung wird meist nicht gemacht. Der Grundkonsens: gesagt werden darf erstmal alles. Verboten ist vieles davon nicht, demokratiefeindlich aber trotzdem oft. Was so harmlos aussieht, ist nicht immer harmlos, sondern häufig ein „weicher Einstieg“ zu radikaleren Inhalten. Spannend ist, dass die „alte Rechte“ in sozialen Netzwerken kaum eine Rolle spielt: Kanäle von 'Der III. Weg', 'Die Rechte' und 'NPD' sind im Vergleich zu den Kanälen der „neuen Rechten“ sehr erfolglos.

Wie inszenieren sich rechte Influencer*Innen auf YouTube?

Um analysieren zu können, wie sich rechte Influencer*Innen mit ihren YouTube Videos inszenieren, lohnt sich zunächst ein Blick auf das Format des YouTube Videos als Kommunikationsform.

YouTube bietet als öffentliche digitale Plattform zahlreiche Möglichkeiten, Videos zu erstellen, hochzuladen und zu veröffentlichen. Der Einsatz von typografischen Elementen, Sprache, Bildern und Grafiken ermöglicht trotz unidirektionaler Aussendung ein multisensorisches Erlebnis für Rezipient*Innen. Diese können via Kommentarfunktion (welche allerdings auch deaktivierbar ist) sowie den Like- oder Dislike- Button Feedback geben. Großer Vorteil der Plattform ist die Asynchronität, welche es erlaubt, Videos ab Erscheinungszeitpunkt in einer beliebigen Häufigkeit sowie zu jedem Zeitpunkt zu sehen.

Für die Videos der beiden untersuchten Influencer bedeutet das konkret:

Timm Kellner postet fast täglich Videos mit Anekdoten, Meinungsäußerungen, Anfeindungen, und Monologen in rechter/ rechtspopulistischer Manier. Dabei greift er viele persönliche Fehden und Angriffe zu speziellen, meist weiblichen öffentlichen Personen über einen langen Zeitraum auf. Zuletzt betraf dies vor Allem die Politikerin Swasan Chebli. Für seine Videos wählt er das Format eines Blogs oder Kommentars. Der Gesamtinhalt seiner Videos dient der Verbreitung rechter und rechtspopulistischer Ideologien unter dem Deckmantel seiner persönlichen Meinung. Seine Kernaussagen bedienen diverse rechte und verschwörungstheoretische Narrative, wie zum Beispiel die "nahende Verrohung" , der "Untergang Deutschlands" sowie die Pflicht der Deutschen, der "Verfremdung" standzuhalten.

Die visuell wahrnehmbaren Medienartefakten und Praktiken sowie die damit einhergehende visuelle Kommunikation werden in folgendem Video analysiert:

Neverforgetniki bemüht sich auf seinem YouTube-Kanal um Videos „investigativ journalistisch aufbereiteter“ politischer Themen in rechter/ rechtspopulistischer Manier.

Dafür wählt er das Format eines Nachrichtenjournals oder Nachrichtenkommentars. Seine Videos dienen dem Zweck der Verbreitung rechter Ideologie unter dem Deckmantel seiner, so wie er es bezeichnet, ganz "individuellen eigenen Meinung".

Die Kernaussage seiner Videos: Die Regierung greift die Bürger*Innen an, verschweigt eben diesen unzumutbare Zustände - die Verrohung und der Untergang Deutschlands naht. Damit bewegt sich neverforgetniki im klassischen Feld rechtspopulistischer und verschwörungstheoretischer Narrative. Dramaturgisch arbeitet der Influencer häufig mit aktuellen oder persönlichen Beispielen, welche durch eine Vermischung und Verdrehung von Fakten sowie einer Täter*In-Opfer-Umkehr. Seine Beispiele werden meist in einen komplett zusammenhangslosen Kontext gebracht und Instrumentalisiert. Durch seine starke eigene Meinung in Verbindung mit falschen Informationen oder bewusst falsch dargestellten Zusammenhängen polarisiert er stark.

Die visuell wahrnehmbaren Medienartefakten und Praktiken sowie die damit einhergehende visuelle Kommunikation werden in folgendem Video analysiert:

Eindeutlich zeigen diese Beispiele die visuellen Stile als Phänomenen einer visuellen Kultur. neverforgetniki inszeniert sich als nüchterner, sachlicher Denker und möchte damit das Narrativ eines Journalisten bedienen. Dabei hat er ein sehr konkretes Feindbild ohne sich aktiv selbst konkret zu verorten. Timm Kellner inszeniert sich dagegen als Sprecher des Volkes, als (Widerstands-) Kämpfer, als geistiger Vorreiter aber auch als Freund und Vorbild.

Beide Influencer zeichnen sich durch eine sowohl technische als auch inhaltliche Unbeholfenheit und niedrige Qualität aus, welches allerdings ein hohes Maß an Authentizität vermittelt.

Timm Kellner und neverforgetniki inszenieren sich als unbeugsame Kämpfer, als „metapolitische Avantgarde“, wie es Martin Sellner von der vom Verfassungsschutz beobachteten 'Identitäten Bewegung' in einem seiner YouTube Videos bezeichnet. Sie bieten Einblick in ihr Weltbild und machen sich zur sympathischen Identifikationsfigur für ihre Zuschauer*Innen.

Je ziviler die Sprache, desto schwerer fällt es, sie vom Diskurs auszuschließen. Die Neue Rechte hat gut verstanden, alte Ideen zivil zu verpacken.

Ob im Wald, am Schreibtisch oder auf der Straße – sie alle sind Teil einer selbsternannten "patriotischen Szene" von Produzent*Innen und Aktivist*Innen, die identitäre, völkisch-nationalistische Ideen propagieren. Alles trägt zu der einen, große Erzählung bei: Die Selbstinszenierung als eingeschworene Gemeinschaft, die mit pseudo-intellektuellem Redebeiträgen deutlich macht, dass sie alles besser weiß, sich wehrt, und Anfeindungen tapfer erträgt oder gar mit rebellischem Stolz vor sich herträgt. Dabei wird Nähe erzeugt: Wenn der rechte Influencer*Innen seine Fans ins Zimmer einlädt, ihnen seine "Freunde" vorstellt und sie in seine Erlebnis- und Gedankenwelt eintauchen lässt. Und um welches Thema es auch gehen mag: es geht immer darum, reaktionäre, rassistische oder auch antisemitische Begriffe einsickern zu lassen und dadurch Sprache und Diskurse zu verändern.

Warum eignet sich YouTube so gut als Plattform?

Extrem rechte Inhalte sind in den sozialen Medien erfolgreich, weil sie zur allgemeinen Funktionsweise, hier konkret der Art und Weise, wie YouTube als Plattform gebaut ist, passen. Das, was rechte Influencer*Innen dort tun, ist keineswegs innovativ sondern schlichtweg das, was in sozialen Medien erfolgreich ist. Sie reproduzieren einfachste Narrative und Lösungen, sie erzeugen Nähe, sie mobilisieren Ängste, sie emotionalisieren. Inhalte, die mit Emotionen spielen, und zwar am besten mit negativen wie Trauer oder Wut, verkaufen sich gut und werden tausendfach geklickt. Und das passt wiederum gut zu dem typisch faschistischen Narrativ: „Wir sind bedroht, wir sind nah am Untergang und müssen uns wehren!“

Durch das faschistische Narrativ der Bedrohung ist jedes Mittel erlaubt. Für Rechte ist es vollkommen legitim und okay, Hass im Netz zu streuen, Fake-Accounts zu verwenden, Likes zu kaufen oder zu lügen. Wichtig ist, dass man eine Feindschaft entweder zu den sogenannten Etablierten oder zum vermeintlich Fremden konstruiert. Spätestens seit den Enthüllungen der Redaktion Jan Böhmermanns zu 'Reconquista Germanica', wird das Ausmaß von koordinierten Online-Attacken auf politische Gegner*Innen, Medien und Institutionen sowie das gezielte Einsetzen von Internet-Trolls ersichtlich.

Ein Kampf gegen die Öffentlich-Rechtlichen um die eigenen, relativ geschlossenen Alternativen anzubieten - 'Kontrakultur' nennt das die Rechte. Und das, wie schon betrachtet, mit großem Erfolg In ihren Echokammern. Extremismusforscherin Julia Ebner weißt darauf hin

Natürlich gibt es viele Gegenstimmen zu diesen rechten Influencer*Innen, häufig werden Videos und Kanäle gemeldet und temporär oder komplett gelöscht. Video von Timm Kellner ist ein Beispiel dafür und inzwischen nicht mehr online verfügbar. nicht mehr online verfügbar. Auch die Youtube- und SocialMedia-Kanäle der 'Identitären Bewegung' wurden inzwischen gesperrt. Die Strategie des 'Deplatforming', also das gezielte sperren von rechtsextreme Accounts auf Social-Media-Plattformen, ist allerdings umstritten. Denn: Wer von einer Plattform ausgeschlossen wird, sucht sich womöglich alternative Portale, wie zum Beispiel geschlossene Telegram-Gruppen. Influencer erreichen dort zwar ein weniger großes Publikum, dieses aber direkter und ohne Gegenstimmen. Als Konsequenz können sich in geschlossenen Räumen Radikalisierungsprozesse beschleunigen.

[1] Schäfers, Burkhardt (2019). Soziale Medien. Influencer der Neuen Rechten. Online unter: https://www.deutschlandfunk.de/soziale-medien-influencer-der-neuen-rechten.2907.de.html?dram:article_id=449312 (letzter Aufruf: 07.09.2020).

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