Runter von der Zuschauertribüne Von Michael Ertel

Wer sich mit Fragen des ethischen wirtschaftlichen Handelns befasst, führt kein Nischendasein mehr: 700 Studentinnen und Studenten haben mittlerweile den Studiengang „Philosophy & Economics“ an der Universität Bayreuth absolviert. Immer mehr junge Menschen möchten hinter die Kulissen globaler Zusammenhänge und Wirtschaftssysteme schauen – und dies gepaart mit viel Pragmatismus.

Woher kommt die soziale Ungleichheit auf dieser Welt? Wie stark trägt unser weltweites und vor Ort gelebtes Wirtschaftssystem dazu bei – oder ist es gar dafür verantwortlich? Lässt sich Moral in der Wirtschaft und in Unternehmen wirklich durchsetzen? Wer trägt die Verantwortung für Naturzerstörungen und Klimawandel? Und kann es so etwas wie Gleichheit und Gerechtigkeit auf diesem Planeten überhaupt geben?

Viele junge Leute bewegen diese Fragen – jenseits des rein opportunistischen Karriereziels. Dem egozentrisch orientierten Streben nach beruflichem Erfolg und persönlichem materiellem Glück setzen sie eine Sinnsuche entgegen, die eigenen Idealen nach mehr Fairness und Gerechtigkeit im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handeln folgt. Sie möchten ihren lokalen und globalen Blick auf Kreisläufe und Systeme schärfen – um später mit einem eigenen Instrumentarium und konkretisierten Plänen und Vorstellungen an den richtigen Stellschrauben zu drehen.

Studenten blicken hinter die Kulissen der Wirtschaftssysteme

Denn: Den meisten Wissenschaftlern, die sich mit den Fragen eines gerechteren und faireren Welthandels auseinandersetzen, geht es heute nicht mehr um lediglich pauschale und tradierte Kapitalismuskritik. Der ethische Ansatz von Volkswirtschaftlern und Philosophen stellt sich pragmatisch den Bedingungen der realen Wirtschaftswelt und lenkt die Energie – und die Moral – auf konkrete ökonomische, ökologische und soziale Handlungsfelder.

Genau zur Jahrtausendwende hat die Universität Bayreuth den Studiengang „Philosophy & Economics“ (P&E) gegründet. Mittlerweile ist man dort stolz auf 700 Alumni. Der Studiengangsmoderator Professor Dr. Olivier Roy spricht von dem „Bayreuther Modell, das sich längst in Deutschland und Europa einen Namen gemacht hat“. „In unserem Studiengang lernen die Studenten, die großen Fragen der Gesellschaft und der Globalisierung zu untersuchen“, sagt Roy. Dabei verfolgt die Uni ein klares Bildungsziel: „Wir bilden die jungen Leute zu Experten aus, die komplexe Entscheidungssituationen mit analytischer Grundsätzlichkeit angehen.“

Das heißt: Der Studiengang ist durch und durch interdisziplinär aus einer Kombination von Philosophie und Ökonomie gestaltet; keine zwei separaten Fächer, sondern ein ganzheitliches Programm. So werden jene Kompetenzen vermittelt, mit denen sich ethische und wissenschaftliche Theorien begründen und rechtfertigen lassen – und dies mit sehr engem Bezug zur Praxis. „Darüber hinaus erhalten die Studenten ein fundiertes ökonomisches Verständnis, um das Handeln von Regierungen und Unternehmen sowie die enormen Veränderungen in der globalen Welt zu erklären und zu steuern“, so Roy.

„Den eigenen Denkraum gestalten“

Die 21-jährige Lena Merkel möchte sich in Bayreuth vor allem ihren „eigenen Denkraum“ gestalten. Und dies durch die tiefe Auseinandersetzung mit den ethischen Aspekten wirtschaftlichen Handelns und die intensive Diskussion der verschiedenen Handlungs- und Lösungsansätze. „Früher umgab mich immer so ein kühles Gefühl, wenn ich an Wirtschaft dachte“, erzählt die junge Leipzigerin. „Doch gleichzeitig wusste ich, dass die Wirtschaft der Motor für unseren Wohlstand und hohen Lebensstandard ist.“ Ein Dilemma, das sie dadurch aufzubrechen versuchte, mehr über die Zusammenhänge und Strukturen wirtschaftlicher Systeme zu erfahren.

Mittlerweile im vierten Semester, ist Lena Merkel der Überzeugung: Wirtschaft mit Moral ist möglich. „Es wird sich zwar nicht jeder idealistische Ansatz umsetzen lassen. Doch es ist wichtig zu wissen, wie und wo ich etwas verändern kann.“ Einfach auf das bestehende System einzuschlagen, bringe nichts. „Ich bin überzeugt, dass man es ziemlich gut reformieren kann.“

Ähnlich sieht das der Hamburger Friedemann Nierhaus. „Nur auf der Zuschauertribüne zu sitzen, ist zu passiv“, meint der 24-Jährige, der von 2011 bis 2015 P&E-Student an der Bayreuther Uni war. „Es macht wenig Sinn, das System komplett umzuwerfen. Ich möchte deshalb von innen heraus für Veränderungen sorgen: Mit Projekten für mehr Nachhaltigkeit und soziale Unternehmensverantwortung.“ Und das tut er auch: Für ein Berliner Logistik-Start-Up leitet er als Referent der Geschäftsleitung Projekte, die sich mit Fragen des umweltfreundlichen Lieferverkehrs, der Mitbestimmung im Unternehmen und der fairen Entlohnung der Mitarbeiter auseinandersetzen. „So leiste ich meinen Beitrag für ein ethischeres Wirtschaften“, ist sich Friedemann Nierhaus sicher.

Dieser Pragmatismus entspricht ganz dem Ziel der Macher des Studiengangs „Philosophy & Economics“. Studiengangsmoderator Olivier Roy: „Wir möchten, dass die Studenten am Ende über ein Rüstzeug aus Fähigkeiten, Fachwissen und Erfahrungen verfügen, das sie in die Lage versetzt, in den unterschiedlichsten Unternehmen, Institutionen oder Organisationen zu arbeiten.“

Was sagen die Studenten?

Sebastian Haas, 26 Jahre, drittes Master-Semester:

Nachdem ich schon eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht hatte, kamen in mir Zweifel auf: So wie wir das in der Wirtschaft machen, so kann es nicht weitergehen. Vor allem die Industrieländer haben eine große Verantwortung gegenüber dem Rest der Welt. Wir dürfen nicht so egoistisch denken. Denn wenn jeder so leben würde wie wir, dann wäre die Welt ziemlich schnell am Ende. Diesen Gedanken muss man in den Köpfen der Menschen etablieren, auch wenn der Prozess lange dauert. Ich bin mir aber sicher, dass das Bewusstsein wächst, dass wir unser Verhalten und unsere Art des Wirtschaftens verändern müssen.

Milena Dehn, 20 Jahre, viertes Semester

Nach der Schule hatte ich zunächst die Vorstellung, einen „Weltverbesserer-Studiengang“ zu finden. Etwas, das zum Nachdenken anregt und womit man die Welt besser versteht. Deshalb hat mich Philosophie interessiert. Aber ich wollte auch den Pragmatismus dabei haben und lernen, wie man konstruktiv etwas bewegen kann. Ich hatte mich zwar vorher schon für NGOs interessiert und direkt bei „Green Peace“ engagiert. Doch jetzt komme ich mehr und mehr in die Lage, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge besser zu sortieren, zu analysieren und einzuschätzen.

Friedemann Nierhaus, 24 Jahre, Absolvent 2015

Ich hatte schon in der Schule ein großes Interesse an gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen und gesellschaftlichen Strömungen. Und ich habe mich immer gefragt, ob das so richtig ist, wie es im Moment läuft. Oder ob man etwas verändern kann und nur an den richtigen Stellschrauben drehen muss, damit sich unsere Wirtschaft ethischer und nachhaltiger ausrichtet. Ein reines BWL- oder VWL-Studium hätte mir diese Fragen sicherlich nicht beantwortet. Jenseits wirtschaftstheoretischer Dogmen wird im P&E-Studium sehr kontrovers diskutiert und gestritten – und man lernt seine eigene Haltung kennen. Für mich bedeutet das: Runter von der Zuschauertribüne.

Lena Merkel, 21 Jahre, viertes Semester

Ich empfinde mich als sehr reflektierenden Menschen und mache mir über viele Dinge Gedanken; auch über die Frage, ob es in der Wirtschaft richtig läuft. Wirtschaft ist ja nichts Schlechtes und sie ist ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Aber wir müssen jenseits unseres Wohlstandes und hohen Lebensstandards auch die negativen Dinge bedenken. Ich glaube nicht, dass man das System total umschmeißen muss, sondern man kann es ziemlich gut reformieren. Aber dafür muss ich wissen, wie und wo ich etwas verändern kann. Zwar wird sich nicht jeder idealistische Ansatz umsetzen lassen. Aber ich bin mir sicher: Wirtschaft mit Moral ist möglich.

Created By
Michael Ertel
Appreciate

Credits:

WiMO

Report Abuse

If you feel that this video content violates the Adobe Terms of Use, you may report this content by filling out this quick form.

To report a Copyright Violation, please follow Section 17 in the Terms of Use.