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Campuls-Küchendebatte Vol. 2 Thema: Gender

Text: Charlotte Krause, Bilder und Layout: Nico Talenta

Der Artikel erschien bereits in der Printausgabe des Sommersemesters 2018.

Es diskutierten:

  • Julius Biesterfeldt
  • Charlotte Krause
  • Darja Ljubownikow
  • Clara Schmitz
  • Karin Stork
  • Lukas Springholz
  • Nico Talenta
  • Georg Weigand

(Namen in alphabetischer Reihenfolge der Nachnamen und nicht nach Geschlecht geordnet.)

Studierende diskutieren gerne. Ja – Studierende, nicht Studenten. Wenn wir uns heute über Gender unterhalten wollen, benutzen wir das generische Neutrum. Mehrheitsbeschluss. Gender als Dogma, so lautet ja oft der Vorwurf. Das wollten wir in einer Küchendebatte zum Thema machen – nur, dass diese diesmal auf dem Balkon stattfand. Ein allseits beliebtes Format wird für die Diskussion gewählt: Willige Anfang bis Mitte 20-Jährige treffen sich mit ein paar Flaschen Bier, um sich dadurch die Zungen zu lockern. In diesem Fall auch schön: Gleich viele Frauen und Männer sind geladen, um dem Vorwurf Einhalt zu gebieten, dass das Thema Gender nur Frauen betreffen würde.

Die ersten Flaschen machen die Runde. Großzügig wird in die Chips-Schälchen gegriffen. Karin ergreift als erste das Wort.

Karin: Kurze Erinnerung bitte zum Einstieg. Was genau bedeutet Gender noch einmal?
Charlotte: Also soweit ich weiß, wird Gender von Sex abgegrenzt. Wobei Gender das gesellschaftlich konstruierte Geschlecht beziehungsweise Geschlechterverständnis bezeichnet und Sex das biologische Geschlecht.
Karin: Also geht es bei Gender um Rollenzuschreibungen – Männer sind so und so und Frauen ganz anders?
Julius: Na ja, es gibt ja auch Menschen, die sich außerhalb dieser beiden Geschlechterpole sehen. Das ist eben die Frage. Sind wir durch unser biologisches Geschlecht festgelegt oder werden wir nur von der Kultur zur Frau oder zum Mann geformt?
Karin: Also der Unterschied zwischen nature und nurture. Hatten wir letztens in einer Vorlesung.
Charlotte: Na ja, gibt es denn jetzt Eigenschaften, die uns als Frau oder Mann also quasi in die Wiege gelegt werden?
Georg: Alle Eigenschaften sicherlich nicht. Aber dass ein Unterschied auf biologischer Ebene herrscht, kann man schon nicht abstreiten. Verschiedene Verteilung von Muskelmasse und primäre Geschlechtsmerkmale. Unterschiedliche hormonelle Zusammensetzungen im Körper und so weiter.
Julius: Könnte man im Tierreich jetzt auch von Gender reden? An sich sind die Geschlechter im Tierreich für eine gewisse Zweckmäßigkeit verteilt. Und Tiere sind wir schließlich auch irgendwie. Allein für die Fortpflanzung sind eine Geschlechterzuteilung und der Unterschied zwischen den Geschlechtern wichtig.
Darja: Aber jetzt einmal unabhängig davon, ob wir uns fortpflanzen wollen oder nicht, wir wollen uns eben nicht mit Sex, sondern heute mit Gender beschäftigen. Werde ich als Frau geboren oder werde ich zu ihr gemacht? An sich würde uns diese Frage ja gar nicht jucken, wenn Frauen nicht seit Menschengedenken auf struktureller Ebene unterdrückt werden würden. Und das, obwohl wir keine Minderheit darstellen, sondern immerhin 50 Prozent der Menschheit ausmachen.
Lukas: Hier würde ich aber trotzdem den biologischen Aspekt nicht komplett ignorieren. Der durchschnittliche biologische Mann hat per se mehr Testosteron in sich, was das Risikoverhalten, die Aktivität und auch das Aggressionspotenzial steigert. Ich könnte mir schon vorstellen, dass sich daraus ein Machtgefälle zwischen den Geschlechtern ergibt.
Karin: Also einer Freundin von mir wurde auch ein durchschnittlich höher liegender Testosteronwert nachgewiesen. Trotzdem verhält sie sich eigentlich ziemlich stereotyp weiblich. Ich denke, dass die Gesellschaft da definitiv mehr Einfluss auf uns hat als ein paar Hormone.

Die ersten Biere sind geleert. Es herrscht noch keine Einigung darüber, ob das Geschlecht nun konstruiert oder angeboren ist.

Charlotte: So etwas wie Risikobereitschaft kann man ja auch lernen. Auf Spielplätzen werden nur kleine Mädchen dazu ermahnt, vorsichtig zu sein. Jungs dagegen ermutigt, noch höher zu klettern. Mit einer anderen Erziehung könnte man da sicherlich etwas verändern.
Nico: Das betrifft ja auch das bekannte Thema: Wie komme ich von einer Party wieder nach Hause? Bis wann darf ich abends wo und wie lange rumlaufen? Habe ich jedenfalls schon oft mitbekommen, dass in Teenager-Zeiten Freundinnen von mir direkt von ihren Eltern abgeholt wurden. Da schwingt eben die stetige Angst mit, dass Mädchen eher was passieren könnte als Jungs.
Charlotte: Obwohl statistisch gesehen Männer draußen ein höheres Risiko haben, Opfer von Gewaltverbrechen zu werden als Frauen. Aber was auch stimmt, ist natürlich, dass in den Fällen von Vergewaltigung die Opfer fast immer Frauen sind. Davor haben Eltern bei ihren Töchtern am meisten Angst. Ich finde es aber schwierig, verschiedene Formen von Gewalt miteinander zu vergleichen. Also warum warnen wir nicht auch Jungs davor, das Haus zu verlassen? Frau ist eben noch immer das zarte, beschützenswerte Wesen. Frauen wird diktiert, dass sie grundsätzlich aufgrund ihrer Weiblichkeit bedroht sind.
Clara: Männer werden im Gegenzug dazu auch manchmal nicht ernst genommen, wenn es um das Thema Gewalt geht. Also ganz getreu dem Motto: Sei mal ein Mann und stell dich nicht so an! Fängt schon im Kleinen an: Wenn einem Mann nachgepfiffen wird, darf er das nicht als Belästigung empfinden. Dagegen gilt inzwischen der allgemeine Konsens, dass wir uns bei übergriffigem Verhalten als Frauen wehren dürfen. Was auch gut ist. Aber auch hier sollte Geschlechtergerechtigkeit und ein respektvolles Verhalten von beiden Seiten aus herrschen.
Charlotte: Habt ihr euch denn schon einmal aufgrund eures Geschlechts benachteiligt gefühlt?
Lukas: Im Ausland wurde mir auf jeden Fall auch schon mal ungefragt auf den Hintern geklopft. Aber wir haben auch eine Dozentin, die eindeutig Frauen bevorzugt. Wenn du nicht vor ihr buckelst, hast du als Mann schlechte Chancen.
Julius: Ein Student ist mal durch eine Präsentation bei ihr durchgerasselt, weil er einen Desktophintergrund hatte, auf dem eine sich auf einem Auto im Bikini räkelnde Frau zu sehen war. Hatte an sich nichts mit seinem Vortrag zu tun, aber die Dozentin war da knallhart.

Leichtes Schmunzeln in der Runde, aber auch Unbehagen macht sich breit. Alle Diskutierenden haben ähnliche Geschichten zu erzählen. Vom Hinterherrufen bis hin zum Grapschen oder dem Absprechen von diesem oder jenem Können aufgrund des Geschlechts ist alles dabei.

Nico: Mal ein anderes Thema. Ich finde es inzwischen auch echt schwierig, Beruf und Familie mit den aufgebrochenen Geschlechterrollen miteinander zu vereinen.
Clara: Oft lohnt es sich auch nicht einmal steuerlich, wenn beide versuchen weiterzuarbeiten beziehungsweise die Frau einen Teilzeitjob annimmt. Männer verdienen durchschnittlich gesehen nach wie vor mehr als Frauen. Kita-Plätze fehlen auch noch.
Darja: Eigentlich kannst du es doch niemandem recht machen. „Nur“ Mutter und Hausfrau zu sein, wird gesellschaftlich inzwischen auch nicht mehr so wirklich akzeptiert. Gleichzeitig gibt es keine Lösungen, wie man vielleicht nur für ein paar Jahre aus seinem Beruf austritt, ohne Gefahr zu laufen, hinterher nicht mehr eingestellt zu werden.
Karin: Karrieremäßig bis du dann als Daheimgebliebene auf jeden Fall raus. Du hast ja schon von vorneherein, aufgrund der Möglichkeit, als Frau schwanger werden zu können, schlechtere Vertragschancen.
Julius: Wahrscheinlich muss man jeweils als individuelles Paar nach Möglichkeiten suchen, sodass beide nicht zu sehr zurücktreten müssen. Ich für meinen Teil war auch einfach viel bei meinen Großeltern, was meine Eltern entsprechend entlastet hat. Fremdbetreuung mit Hilfe von Kitas oder Tagesstätten sind auf jeden Fall gute Lösungsansätze.

Zustimmendes Nicken. In den meisten Punkten sind sich die Diskutierenden einig. Wir fragen uns, warum das so ist. Liegt es an der Universitäts-Blase, in der wir uns als Studierende bewegen? Sind wir schon in unserer Art und Weise, wie wir diskutieren, so darauf getrimmt, radikalen Meinungen keinen Raum zu geben?

Georg: Mich nervt total, dass Gender nur noch als Akademiker-Thema verschrien ist. Wir reden darüber, machen uns Gedanken, andere fühlen sich ausgeschlossen. Diese Debatte wurde eigentlich nie so wirklich gesamtgesellschaftlich ausgetragen. Und sie wird auch nicht so kommuniziert, als dass sie für jeden verständlich wäre. Wir diskutieren darüber, ob es nun Studenten oder Studierende heißt oder ob der Strich beim Gendern in der Schriftsprache oben oder unten gesetzt werden soll.
Julius: Bei Gender geht es im Kern aber doch eigentlich grundsätzlich um die Akzeptanz von verschiedenen Lebensformen. Und unsere Gesellschaft ist so voller Vorurteile, denen aber in Form einer Gender-Debatte etwas entgegengehalten werden kann.
Georg: Auf jeden Fall. Aber die Art, wie sie ausgetragen wird, verfehlt meiner Meinung nach das Ziel. Gender ist teilweise jetzt schon zum Schimpfwort geworden, dabei ist die Diskussion darüber noch verhältnismäßig jung. Es gibt nur noch Extrempositionen.
Lukas: Diese Sache mit dem Gendern in der Sprache wird immer so ins Lächerliche gezogen. Aber ich würde schon behaupten, dass Sprache Wirklichkeit schaffen kann. Ohne, dass es einem so wirklich bewusst ist, fängt man an, anders über Menschen zu reden.
Charlotte: Ich denke auch, dass sprachliche Fragen auf kurz oder lang auch politische sind. Und irgendwer muss sich damit beschäftigen, sonst verschwindet das Thema in der Bedeutungslosigkeit.

Eine kleine Weile plaudern wir noch weiter. Noch vieles könnte erzählt, ergänzt oder nachgetragen werden. Aber auch das kühlste Bier wird irgendwann schal und die Zungen vom Diskutieren dann doch so schwer, dass man gerne heimgehen und schlafen möchte.

Created By
Campuls Hochschulzeitung
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