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Ein Überblick über die Sprachen des Rabbinischen Judentums

Das obige Eröffnungsbild stammt von der Pesher Habakkuk-Rolle aus Qumran. Der Text ist in Quadratschrift verfasst, mit Ausnahme des Tetragrammatons, im Bild in der vorletzten Zeile der rechten Spalte zu sehen, das in althebräischem Skript geschrieben ist. Zu diesen Arten der Schrift später mehr.

Die Erschaffung Adams - Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo Buonarotti, 1511

בְּרֵאשִׁ֖ית בָּרָ֣א אֱלֹהִ֑ים אֵ֥ת הַשָּׁמַ֖יִם וְאֵ֥ת הָאָֽרֶץ

Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.

Mit diesen Worten beginnt die Tora, der erste Teil der hebräischen Bibel. Der Text, der laut Überlieferung am Berg Sinai Moses direkt von Gott übergeben wird, ist auf Hebräisch verfasst. Daraus lässt sich ableiten, dass es sich hierbei um die Sprache Gottes handelt, die folglich auch die Sprache der Kreation ist. Am Anfang der Welt schafft Gott Ordnung aus Chaos mithilfe von Worten. Dies ist auch der Grund für den hohen theologischen Stellenwert der hebräischen Sprache im Judentum. Das in Genesis erzeugte Bild des Schöpfungsprozesses ist auch ein Spiegelbild des göttlichen Funkens im Menschen, der nach dem Bilde Gottes erschaffen wurde und ähnlich wie er durch Sprache erschaffen und ordnen kann. Das Studium von Hebräisch ist aufgrund seiner Rolle, die es im Judentum hat und die es im Verlauf seiner Entwicklung religiös und philosophisch aufgeladen hat, besonders interessant.

Dieses Projekt soll einen groben Überblick über die wichtigsten Sprachen in rabbinischer Zeit bieten. Der Fokus liegt auf Hebräisch als der zentralen Sprache des Judentums, daneben wird die Rolle von Aramäisch in dieser Periode erläutert. Dem Autor ist bewusst, dass es noch weitere Sprachen mit unterschiedlich starkem Einfluss auf das rabbinische Judentum gibt, die Behandlung dieser würde jedoch den Rahmen des Projekts sprengen. Aus selbigem Grund werden auch die bereits erwähnten Sprachen nicht in vollständigem, dafür aber angemessenem Detail behandelt.

Mishna-Hebräisch

Sowohl Hebräisch (=H) als auch Aramäisch (=A) gehören zu den nordwestsemitischen Sprachen. H wird mit einem Alphabet aus 22 Konsonanten, von denen einige auch als Vokale dienen, von rechts nach links geschrieben. Die heute verwendete Schrift geht auf die „Quadratschrift“ des A zurück, und ersetzt im 5. Jhd. v. Chr. die althebräische Schrift (Stemberger 2002, 22). H wird in die Sprachstufen Vorbiblisches Hebräisch, Biblisches Hebräisch (=BH) mit einer späten Form in den Schriftrollen aus Qumran, Mishna-Hebräisch (=MH), Mittelalterliches Hebräisch und Modernes Hebräisch eingeteilt. Diese Unterteilung aus der Enzyclopedia Judaica wurde auch für dieses Projekt übernommen (Brovender 2007, 8:620).

Links: Eine Replik des Bauernkalenders aus Gezer als Beispiel für die althebräische Schrift; Rechts: Ein Ausschnitt aus der hebräischen Bibel geschrieben in Quadratschrift

Die Sprache der Rabbinen sowie ihrer Literatur ist in mehrere Stufen, die sich sowohl zeitlich als auch geographisch unterschiedlich entwickeln, unterteilt. Sie werden als tannaitisches Hebräisch (=tH), amoräisches Hebräisch (=aH) und gaonäisches Hebräisch bezeichnet. Diese Unterteilung geht zurück auf die Gliederung der rabbinischen Zeit in Perioden mit den entsprechenden Bezeichnungen (Kutscher 2007, 8:639-40); (Stemberger 2011, 116). Seit dem babylonischen Exil im 6. Jh. v. Chr., in dessen Folge die jüdische Oberschicht des Königreichs Juda nach Babylonien verschleppt worden ist, gibt es dort eine Diaspora, in der die Entstehung einer eigenen, babylonischen Tradition erfolgt, die sich parallel zur Tradition Galiläas und Judäas weiterentwickelt (Stemberger 2002, 23); (Brenner 2012, 24-27). Auch in rabbinischer Zeit besteht diese Zweiteilung fort. Im Folgenden werden tH und aH kurz erläutert.

Die Zerstörung des Tempels von Jerusalem - Gemälde von Francesco Hayez, 1867

Als tH bezeichnet man die Sprache, die nach der Zerstörung des Zweiten Tempels um 70 n. Chr. Literatursprache in Judäa wird. Die Mischna und ihre Erweiterung, die Tosefta sowie die halakhischen (d. h. die religiösen Normen betreffenden) Midraschim sind in ihr verfasst. In der Wissenschaft wird davon ausgegangen, dass eine frühe Form von tH als Umgangssprache bereits in die Zeit des Zweiten Tempels datiert, schriftlich wird sie erst nach dessen Zerstörung fassbar (Kutscher 2007, 8:639). Die Annahme einiger Gelehrter der Vergangenheit, es handle sich hierbei um eine künstliche Sprache der Rabbinen oder gar eine Verballhornung von BH, ist unter Anderem mithilfe der Qumranrollen, deren Sprache zwischen BH und tH liegt und die Entwicklung von Letzerem aus Ersterem belegt, widerlegt worden. Die Briefe Simon bar Kochbas, die ebenfalls in dieser Sprachstufe verfasst worden sind, beweisen, dass sie auch außerhalb des religiösen Kontexts der Rollen aus Qumran verwendet worden ist (Sáenz-Badillos 2006, 162-64). Nach der Niederschlagung des nach ihm benannten Bar-Kochba-Aufstandes (132-135 n. Chr.) gegen die römische Herrschaft ziehen die Rabbinen von Judäa im Süden nach Galiläa im Norden. Dort ist seit dem babylonischen Exil A Umgangssprache, die Rabbinen übernehmen es und besiegeln damit das Ende von tH als gesprochene Sprache, das von nun an reine Literatur- und Gelehrtensprache wird. Auch die tannaitische Periode geht kurz darauf im 3. Jh. n. Chr. zu Ende und die Zeit der Amoräer beginnt (Kutscher 2007, 8:639-40); (Stemberger 2002, 24).

Während H zu dieser Zeit in Judäa noch als lebendige Sprache in Gebrauch bleibt, entwickelt sich in den Zentren rabbinischer Gelehrsamkeit Galiläas und Babyloniens das aH unter dem Einfluss des lokal verwendeten A weiter (Stemberger 2011, 118). Die galiläische Variante findet Gebrauch in den aggadischen Midraschim, daneben sind die in hebräischer Sprache verfassten Teile der beiden Talmudim im jeweils lokalen Dialekt der Amoräer festgehalten worden (Kutscher 2007, 8:639). Eine weitere Entwicklung dieser Periode ist die Angleichung der Sprache an BH. In Babylonien, wo H nie Umgangssprache gewesen ist, ist dieser Trend noch stärker zu beobachten. Der Grund für die Orientierung an BH mag an dem Vorbildcharakter, den es für die Rabbinen hat, liegen (Stemberger 2002, 24). Diese Angleichung stellt eine Hürde in der Erforschung von rabbinischem H dar, weil sie die Grenzen zwischen MH und BH künstlich verwischt (Kutscher 2007, 8:640-42).

Aramäisch

A gliedert sich in die Stufen Altaramäisch, Reichsaramäisch, Mittelaramäisch, Spätaramäisch und Neuaramäisch (Kutscher 2007, 2:342-43). Altaramäisch geht zurück bis ins 8. Jh. v. Chr., und ist unter Anderem auch im Nordreich Israel gesprochen worden (Stemberger 2002, 24-25). Die Assyrer nutzen Reichsaramäisch als Verwaltungssprache, später wird es auch die Amtssprache Persiens, was eine weite Verbreitung der Sprache im Nahen Osten zur Folge hat (Kutscher 2007, 2:346). Für die hier behandelte Periode ist vor allem Spätaramäisch relevant. Es ist weiter unterteilt in einen westlichen und östlichen Zweig mit jeweils eigenen Dialekten, von denen galiläisches und babylonisches A für die jeweilige rabbinische Tradition wichtig sind. Diese Dialekte werden von den Amoräern und ihren Nachfolgern, den Geonim, vom 3. Jh. bis ins 11. Jh. verwendet. Die aramäisch-sprachigen Teile von Jerusalemer und Babylonischem Talmud nutzen den lokal vorherrschenden Dialekt ihres jeweiligen Ursprungsgebietes (Kutscher 2007, 2:348-49, 2:353).

Da es bereits in der Zeit des Zweiten Tempels Kontakt zwischen H und A gibt und dieser sich mit der Verbreitung von Letzterem als Verkehrssprache noch verstärkt, ist sein Einfluss in den verschiedenen Sprachstufen von H als Konsequenz erkennbar. Aufgrund dieser parallelen Entwicklung beider Sprachen über mehrere Jahrhunderte gestaltet sich die Ermittlung des Ausmaßes dieser Beeinflussung kompliziert, ein Umstand, der sich auch in den Diskussionen der Wissenschaft zu diesem Thema spiegelt (Bar-Asher 1999, 135-36). Beispiele für den aramäischen Einfluss auf MH sind zum einen die Aufnahme aramäischer Lehnwörter in das Vokabular sowie die Änderung der Bedeutung von bestimmten Wörtern, z. B. זָָכָר = „männlich“ aus BH bekommt in MH die Bedeutung des aramäischen Wortes דְכַר = „männlich“, „Widder“ (Kutscher 2007, 2:356). Daneben ist auch das Zeitensystem in MH aramäisch beeinflusst (Kutscher 2007, 8:648).

Neben A ist noch der Einfluss von Griechisch zu nennen, der sich ebenfalls über mehrere Bereiche von MH erstreckt (Stemberger 2002, 23). Der Einfluss anderer Sprachen beschränkt sich in den meisten Fällen auf das Vokabular, so gibt es beispielsweise Lehnwörter aus Persisch, Latein und Akkadisch (Kutscher 2007, 8:647-48).

Literaturverzeichnis

  • Bar Asher, Moshe. 1999. „Mishnaic Hebrew: An Introductory Survey.“ Hebrew Studies Journal 40: 115-151
  • Brenner, Michael. 2012. Kleine jüdische Geschichte. München: C. H. Beck
  • Brovender, Chaim. 2007. „Pre-Biblical.“ In Encylopedia Judaica, Second Edition, Volume 8, herausgegeben von Fred Skolnik, 620-25. Farmington Hills: Macmillan Reference USA/Jerusalem: Keter Publishing House Ltd.
  • Kutscher, Eduard Yecheskel. 2007. „Aramaic.“ In Encylopedia Judaica, Second Edition, Volume 2, herausgegeben von Fred Skolnik, 342-59. Farmington Hills: Macmillan Reference USA/Jerusalem: Keter Publishing House Ltd.
  • Kutscher, Eduard Yecheskel, und Yochanan Breuer. 2007. „Mishnaic.“ In Encylopedia Judaica, Second Edition, Volume 8, herausgegeben von Fred Skolnik, 639-50. Farmington Hills: Macmillan Reference USA/Jerusalem: Keter Publishing House Ltd.
  • Sáenz-Badillos, Angel. 2006. A history of the Hebrew language. Cambridge: Cambridge University Press
  • Stemberger, Günter. 2002. Einführung in die Judaistik. München: C. H. Beck
  • Stemberger, Günter. 2011. Einleitung in Talmud und Midrasch. München: C. H. Beck

Websites

Bildverzeichnis

Created By
Adrian Binder
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Credits:

Created with images by Kenneth Sponsler - "Rosh Hashana passage in Hebrew Bible"

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