View Static Version
Loading

Grünes Bauen im Thurgau Ein Erdhaus, ein Haus aus recycletem Karton, ein Tiny House: Wir stellen drei Gebäude im Thurgau vor, die sich in Nachhaltigkeit versuchen. Ein Architekturexperte schätzt die Häuser ein.

Eddy Ganders Welt ist rund. Seit 1988 wohnt der Rentner aus Hüttwilen in einem Erdhaus. Sein Credo: «Zurück zur Natur.» Fredy Iselis Welt ist kantig. Der Architekt aus Uttwil setzt auf rezyklierte Baumaterialien. Er möchte nichts weniger als die Baubranche revolutionieren. Und Regula Senns und Bernhard Liepelts Welt ist winzig. Mit ihrem Tiny House in Scherzingen verbinden sie Minimalismus mit Autarkie.

Hüttwilen, Uttwil, Scherzingen – drei einzigartige Gebäude im Thurgau, drei spezielle Baustile, drei Häuser, die Nachhaltigkeit anstreben. Eine Reise quer durch den Kanton.

Das Erdhaus in Hüttwilen: Als hätte Gaudí eine Hobbithöhle kreiert

Bereits bei der Anfahrt nach Hüttwilen ist Eddy Ganders Erdhaus sichtbar. Weisse Hügel aus Spritzbeton erheben sich aus Reihen von Reben. Das runde Gebäude, halb in den Hang gegraben, wirkt so fremd in diesem Quartier aus Einfamilienhäusern wie ein SUV an einer Klimademo. Die Holztür unter dem Eingangsbogen öffnet sich automatisch, eine Treppe schwingt sich nach unten ins Innere, und Eigentümer Eddy Gander empfängt, weisshaarig, barfuss und in weiten Hosen. Seit 1988 lebt der Rentner, Jahrgang 1939, hier in seinem Reich in der Erde.

Er führt durch sein Haus, über kurze Treppen und Tritte, durch gewundene Gänge und runde Räume. Die Möbel sind Spezialanfertigungen eines Schreiners aus dem Dorf. Durch runde Fenster fliesst Licht: Entgegen aller Erwartung ist Ganders Erdhaus kein dunkles Loch im Boden, sondern wirkt warm und hell. Am Boden und an den Wänden finden sich Mosaikmuster, im und ums Haus stehen groteske Figuren: Ein blauer Papagei grüsst beim Eingang, eine Sonne aus bunten Steinen funkelt im Gang, ein roter Frosch im Garten, massig wie ein Mastschwein, glotzt mit seinen grünen Glupschaugen – als ob er über die seltsame Welt zu staunen scheint, die sich ihm offenbart. Ganders Reich wirkt, als hätte Gaudí eine Hobbithöhle kreiert.

Ganders Reich wirkt, als hätte Gaudí eine Hobbithöhle kreiert.

Der Kopf hinter den Erdhäusern ist jedoch nicht der katalanische Baukünstler, sondern der Zürcher Architekt Peter Vetsch. In den 1980er-Jahren machte sich Vetsch einen Namen mit seinen Erdhäusern. Kürzlich hat er sein hundertstes fertiggestellt. Für ihn sind die Vorteile der Nachhaltigkeit klar: «Ein Erdhaus ist sehr gut isoliert. Im Sommer kühl, im Winter warm. Die Heizkosten sind gering.» Ausserdem seien Erdhäuser langlebig, das Land einer Parzelle könne gut genutzt werden. «Eine verdichtete Bauweise ist möglich», meint Vetsch.

Andreas Sonderegger ist Dozent für Architektur an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft in Winterthur und betreibt ein Architekturbüro in Zürich. Wie beurteilt er die Nachhaltigkeit von Erdhäusern? «Solche Erdhäuser sind wärmedämmend und langlebig – stimmt!» Aber einen Aspekt der Nachhaltigkeit von Erdhäusern betrachtet er kritisch. «Schlussendlich bleiben Erdhäuser Einfamilienhäuser und tragen damit zur Zersiedelung bei. Sie brauchen viel Land.» Für Sonderegger ist klar, dass Einfamilienhäuser kaum mit Nachhaltigkeit zu vereinen sind.

Eddy Gander stört dies kaum. Er sitzt in seinem Erdhaus, ruhig und zufrieden. Nachhaltigkeit war nie der Hauptgrund, der ihn zu dieser speziellen Wohnform bewogen hat. Sein Motiv ist ein anderes: Er wollte zurück zur Natur. «Menschen haben schon immer in Höhlen gelebt», sagt Gander, der sich als naturverbunden bezeichnet.

Die Ecocell-Häuser in Uttwil: wie aus einer grünen Utopie

Fredy Iselis Ecocell-Haus in Uttwil am Bodensee wirkt wie das krasse Gegenstück zu Ganders Erdhaus: Sein Projektgebäude ist kantig, hypermodern, wie aus einer grünen Utopie. Dach und Aussenwände schimmern grünlich, an der gesamten Fassade sind Solarzellen angebracht. Wände und Böden sind aus rezykliertem Wellkarton, in der Garage können Elektroautos Strom tanken.

«Wir müssen leichter bauen, wir müssen mehr Materialien wiederverwenden», sagt Fredy Iseli. Der Uttwiler Architekt, weisses Hemd, weisser Bart, referiert wortreich im Sitzungszimmer seines Architekturbüros über die Auswirkungen der Bauwirtschaft aufs Klima. Seine Stimme ist alarmiert, ihr Warnen auch später in der Tonaufnahme hörbar. Iseli verweist auf ein unterschätztes Problem: Der Erde geht der Sand aus. Beton besteht mehrheitlich aus Sandkörnern – und diese sind dadurch begehrt wie Goldnuggets.

Die Folgen: Kriminelle Organisationen bauen Sand von Stränden ab. 40 bis 50 Milliarden Tonnen Sand werden gemäss einer Studie des UNO-Umweltprogramms jährlich umgesetzt – nur Wasser wird mehr gehandelt. «Sandmafias florieren», heisst es in der Studie. Ein weiteres Beispiel für den Einfluss der Bauindustrie: 7 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen entstehen gemäss WWF alleine bei der Zementherstellung.

Iselis Antwort auf diese Problem ist ein Sandwich aus zwei Holzplatten und rezyklierter Wellpappe: die Betonwabe. Die Herstellung in aller Kürze: Wellpappe wird geschnitten und zu Waben gepresst. «Der hohe Luftanteil wirkt isolierend», sagt Iseli. Anschliessend werden die Waben in ihrer gesamten Struktur mineralisch beschichtet. «So werden sie feuerhemmend.» Daraufhin können die standardisierte Bauelemente zum Haus zusammengesteckt werden – «wie Legosteine», sagt Iseli.

Seine Idee ist mehrfach ausgezeichnet, im Eingangsbereich hängen die Preise: hier der Green-Tec-Award, der grösste europäische Umweltpreis, dort der Innovationspreis der Idee Suisse.

«Eigentlich verkaufen wir Nachhaltigkeit», sagt Iseli im Sitzungszimmer. Hinter ihm leuchtet eine Powerpoint-Folie. Einige Punkte: CO2 wird reduziert, der Bau braucht weder Sand noch Kies, Ecocell ermöglicht längerfristig energieautarkes Wohnen. Sind Sie ein Idealist, Herr Iseli? «Ich möchte in erster Linie günstiger bauen als andere. Wenn ich gleichzeitig nachhaltig sein kann, umso besser.» Er hat das Verfahren zur Herstellung der Betonwabe patentieren lassen und möchte sie im Lizenzrecht weiterverkaufen.

Architekt Andreas Sonderegger kennt Iselis Projekt. Er sieht viel Potenzial darin, nebst Dach auch die Wände mit Solarzellen auszustatten. «Vor ein paar Jahren wäre dies noch undenkbar gewesen.» Fragezeichen setzt er aber hinter die Nachhaltigkeit des Kernstücks von Iselis Projekt: die Betonwaben. «Wie viel ökologisch sind die Klebstoffe in den verklebten Betonwaben?» Auch stellt sich für ihn die Frage, ob die so verklebten Baumaterialien wieder trennbar und insofern rezyklierbar sind.

Für Iseli ist indes klar: «Die vorgefertigten Wand- oder Bodenelemente ermöglichen eine mehrfache Wiederverwendung.»

Das Tiny House in Scherzingen: Nachhaltigkeit auf 33 Quadratmetern

Einen anderen Ansatz verfolgen Bernhard Liepelt und Regula Senn in Scherzingen. Ihnen ist ressourcenschonendes Bauen zwar wichtig. Doch vor allem möchten sie eine nachhaltige Lebensweise vermitteln. Sie vermieten das Tiny House in ihrem Garten als Ferienhäuschen – mitsamt den Einschränkungen, die mit minimalistischem Wohnen auf 33 Quadratmetern einhergehen.

«Man muss den Kopf wieder einschalten», sagt Bernhard Liepelt. Er sitzt in seinem Tiny House und erzählt von Gästen, welche die Tücken der Nachhaltigkeit direkt erfahren mussten. Es war November, das Paar hatte zu viel geheizt, es wurde zu warm im Häuschen. Also Fenster auf, frische Luft rein. «Zu Hause geht dann einfach die Wärme raus, die Heizung springt an, Ende Jahr kommt die Rechnung. Hier kommt man nach seinem Ausflug nach Hause und die Bude ist kalt. Und der Speicher leer», sagt Liepelt. Denn das Tiny House wird mit einem Holzofen beheizt, zwei Drittel der abgegebenen Wärme werden in einem Wassertank gespeichert. Wird es draussen kalt, leert sich der Speicher. Und ist dieser leer, muss eingeheizt werden.

Ein anderes Beispiel: Das Tiny House ist nicht am Stromnetz angeschlossen, sondern bezieht seinen Strom einzig aus den Solarzellen auf dem Dach. Liepelt erklärt: «Das Tiny House hat eine Inselanlage: Wenn’s nicht gut konzipiert ist, geht das Licht aus. Feierabend.» Dies müssten auch die Gäste berücksichtigen: «Kochen und Föhnen gleichzeitig geht nicht.» Eine Herdplatte, die mit Bioethanol betrieben wird, entschärft dieses Problem etwas.

Auch beim Verwenden von Spülmittel, Shampoo und Seife gilt: Kopf einschalten! Denn das Abwasser wird in einer eigenen Kläranlage gereinigt: Ein Rohr leitet das Wasser in zwei grosse Kisten mit Erde nach draussen, die Erde filtert das Abwasser, Pflanzenenzyme entziehen Schadstoffe. Welche Mittel die Besucher verwenden, hat direkte Auswirkungen: Aggressive Mittel belasten oder töten die Pflanzen sogar. Liepelt sagt: «Deshalb steht in den Bedingungen auch: ‹Bitte abbaubare Produkte verwenden!›»

Liepelt ist ein Technik-Nerd, der die Dinge in ihrem Kern verstehen will. «Ich frage den Handwerkern jeweils Löcher in den Bauch. Ich – will – verstehen.» Man muss ihm gar nicht erst viele Fragen stellen, um kompetente Antworten zu erhalten. Er spricht mit seiner feinen Stimme und präzisen Sprache von technischen Finessen: Wie wichtig etwa die Wahl der richtigen Kaffeemaschine war, um nicht zu viel Strom zu verbrauchen. «Eine normale Siebträgermaschine braucht 20 Minuten lang Strom, um aufzuheizen. Diese hier» – er deutet in die Küche – «ist in drei Minuten heiss.»

Liepelts Anspruch ist Nachhaltigkeit. Die auch funktioniert. Und doch immer wieder an Paragrafen und Vorschriften zerschellt. Das Wasser, das aus seiner Kläranlage kommt, wäre rein genug, um damit den Garten zu tränken. Nur: Liepelt darf es nicht verwenden, sondern muss es, geklärt, wie es ist, in die Kanalisation speisen. Das Gleiche gilt für die Fäkalien aus dem WC. Die Toilette trennt Festes von Flüssigem, der Kot verrottet in einem Kompost und wird zu fruchtbarer Erde, sogenannter Terra Preta, schwarzer Erde, ein idealer Nährboden für den Gartenbau. Nur: Liepelt darf die Erde nicht verwenden, sondern muss sie verbrennen. «Die Gesetzgebung ist noch nicht so weit. Meistens folgt sie auf neue Realitäten.» Er ging bis zum Bundesamt für Gesundheit mit seiner Idee. «Solchen Vorstösse führen zu einem Umdenken.» Liepelt sieht sich so auch in einer Vorreiterrolle.

ZHAW-Dozent Andreas Sonderegger sieht Potenzial in den Kleinsthäusern. «Solche Projekte sind wichtige Experimente. Sie leisten Pionierarbeit zur Frage, wie wir morgen wohnen könnten.» Mit Tiny Houses wäre sogar das wieder denkbar, was es gemäss Sonderegger zu vermeiden gilt: konventionelle Einfamilienhausquartiere. «Aus Tiny Houses könnten neue, dicht zusammengebaute Eigenheimquartiere entstehen, die Platz, Baumaterial und Energie sparen und somit deutlich nachhaltiger sind.»

Tippelschritte in Richtung Nachhaltigkeit

Hüttwilen, Uttwil, Scherzingen: Drei Häuser, drei Baustile, drei Wohnformen, die allesamt Nachhaltigkeit anstreben. Einige haben vielleicht das Potenzial, eine echte Veränderung zu bewirken.

Doch bei den Fahrten quer durch den Thurgau zeigt sich: Der Thurgau ist und bleibt ein Kanton der Einfamilienhäuser und der Zersiedelung. Ein Blick in die Statistik bestätigt diesen Eindruck. Über die Hälfte aller Einfamilienhäuser im Kanton Thurgau wurden nach 1980 erbaut. Dieser Wert liegt rund 10 Prozentpunkte über dem nationalen Schnitt. Fairerweise muss man aber erwähnen, dass auch der Anteil an alten Wohngebäuden hoch ist. Knapp ein Viertel ist älter als 1919. In der Schweiz liegt der Wert bei 20 Prozent.

Die drei Häuser sind kleine Schritte in Richtung einer nachhaltigeren Zukunft. Der grosse Sprung nach vorn muss noch folgen.

Created By
David Grob
Appreciate

Credits:

Bilder: Andrea Stalder, Reto Martin