Ein Zelt am Ausstieg Berg statt Bett #2: Nach zehn Tagen Krankenhaus endlich wieder eine Nacht am Berg: Klettern im Grazer Bergland, bis die Sonne untergeht.

Eh wissen: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Im Jänner noch überdrübermotiviert, mindestens einmal im Monat unser Bett gegen ein Biwak am Berg zu tauschen, kommt im Februar unverhofft die Zwischenlandung auf dem Boden der Tatsachen. An der lieben Gesundheit schummelt sich kein Weg vorbei. Die geht immer vor. Gerade als wir wieder aufbrechen wollen, wird bei Andi ein Problem akut. Die Konsequenz: Zehn Tage Krankenhausbett (mit gefühlt ewigem Warten auf einen OP-Termin) und einige Wochen Schonzeit. Plan verworfen, neues Zelt verräumt, andere Prioritäten vorangestellt.

Flucht in den Süden

Ende April. Ende der Schonzeit. Wir sind hungrig nach gemeinsamem Abenteuer, bärenhungrig! Wagen wir uns wieder an den Felsen! Aber da ist nochmal der Winter eingebrochen im südlichen Oberösterreich und hat seine weißen Spuren hinterlassen. Nach unserem Vortrag in Peuerbach bleiben wir spätnachts auf dem Heimweg mit dem Campingbus sogar 200 Meter vor dem Haus hängen. Noch einmal werden die Schneeketten hervor gekramt. Die Ski auch? Nein. Unsere Skitouren-Motivation ist für dieses Wochenende ungefähr so tief angesiedelt wie die Temperatur. Fliehen wir besser in den Süden! Warum nicht ins Grazer Bergland, das wär für mich Neuland und keine eineinhalb Autostunden entfernt? Der Blick via Webcam ins Herz der grünen Steiermark gibt uns tatsächlich grünes Licht. Und gegen die Kälte hilft doch warme Kleidung. Auf, auf!

Aprilwetter. Entbehrlich.

Wir reisen am Donnerstagabend an (auch wenn die Fahrzeit im Gegensatz zu unseren Westalpen-Ausflügen vergleichsweise überschaubar ist, bleibt ein Zwischenstopp nicht erspart: Leberkässemmerl beim Steinmetz in Rottenmann!), gönnen uns zu Bärlauchpesto-Nudeln noch ein Glas Rotwein im Bus und schmökern in den Topos. Morgens ausschlafen, Kaffee schlürfen und dann kurzer Zustieg zum Hauptgang! Wie lange haben wir darauf gewartet!

Ähhhm... das ist der Rötelstein? Der mit den Kletterrouten? Die Skepsis verfliegt zum Glück. Zwischen dem Grünzeug findet sich tatsächlich Fels. Fester Fels. Wir starten mit der Route Michelangelo (VI-). Laut Topo auf bergsteigen.com eine "wunderschöne, großartige Line an einer Kante", und weiter: "Ein Muss bei jedem Grazer Bergland-Besuch". Diese Beschreibung schraubt die Erwartung nach oben - aber mal halb lang. Wie es halt so ist mit Erwartungen: Man ist fast ein bisschen enttäuscht, wenn sie nicht erfüllt werden. Die Route ist ganz nett, durch viele Begehungen aber sehr schmierig, dafür nicht zu schwierig (juhuuuu, Wechselführung von der ersten bis zur letzten Länge). Über die Graspassagen blicken wir hinweg. Heute geht's um etwas anderes. Endlich wieder klettern. Gemeinsam klettern. Da wäre jede Route die wunderschönste und großartigste!

Ende Klettergelände.

Hauptsache Fels! Wir genießen den Vormittag. Ein paar richtig schöne Kletterzüge. Garniert mit Gemüse. Wir lassen am Ausstieg die Füße und die Seele baumeln. So gespannt war ich schon, wie weit der Blick hier oben reichen wird. Vielleicht bis ins Gesäuse? Zumindest in die Rottenmanner Tauern? Gar bis zum Dachstein? Nicht ganz. Unser Blick hört bei den grünen Hügeln ringsum auf. Er wandert nicht auf alpine Schneeberge. Dafür fällt er ins Wasser. Die Mur schlängelt sich durch die Landschaft, ein Bade- und ein Baggerteich malen zwei blaue Tupfer dazu. Der Asphalt ist die künstliche Lebensader durch das Bergland. Der Wind streicht über unser Gesicht. Hat ein bisschen was vom oberösterreichischen Ennstal, denk ich mir. Andi fallen die Augen zu.

Schau mir in die Augen!

Nach unserer Raststation wandern wir zurück zum Bus. Und bleiben mehrmals wie festgewurzelt stehen. Steinböcke! Überall Steinböcke! Kauen seelenruhig vor sich hin. Liegen mitten am Weg, sodass wir mit einem Respektabstand ins Grünland ausweichen. Staunen. Was für wunderbare Tiere!

Mit (Schlaf-)Sack und Pack

Es ist Nachmittag. Zurück im Bus-Basecamp. Kaffee kochen, mit Oster-Brioche stärken. Andi's Gesundheitszustand hinterfragen: weiterhin grünes Licht! Es geht also wirklich wieder aufwärts! Und jetzt? Auf ein Neues! Wir packen Zelt, Kocher und Schlafsack zusätzlich zum Kletterzeug in unseren Rucksack. Schließlich wollen wir schon längst unser neues Zelt (Direkt 2 von Mountain Hardwear) testen, das wir von outdoortrends zur Verfügung gestellt bekamen (dickes Danke!).

Bus-Haltestelle
Feuervogel in der Roten Wand

Diesmal starten wir mit niedrigen Erwartungen. Es ist wohl bereits 18 Uhr, als wir am Einstieg der Roten Wand stehen. Vor der Route Feuervogel (VI). Nicht ganz die typische Loskletter-Zeit. Die fünf Seillängen sollten sich noch ausgehen, ehe der Himmel das Licht abdreht. Wir sind von Anbeginn hellauf begeistert. Wie genial ist diese Verschneidung bitte?! Und wie genial wär' sie ohne Biwakausrüstung im Rucksack!?

Feuer frei!

Wie cool wär diese heiße Kletterei erst ohne den Schlafsack, das Zelt, die Radler-Dosen im Gepäck... ;-)

Cooler Kamin. Wir wären gute Schornsteinfeger ;-)

Genial! Andi gehört die erste Länge, ich starte in die zweite. Feuerrot ist der Fels, ehe er in der dritten Länge wieder ergraut. Der Funke der Begeisterung hat uns erwischt. Es ist sehr lässig zum Klettern! Hier! Jetzt! Wo sonst nichts anderes zählt... Endlich wieder klettern. Das Feuer brennt. Diese Leidenschaft! Schmacht!

Der Kamin und seine Feger.

Stopp! Schau!

Flott machen wir Meter, aber diese Pause muss sein. Unser Blick schweift über die im Abendlicht erwärmten Hügel zum Himmel, über die Wolken zurück ins Tal. Eine Stimmung, die man eben nur zu außergewöhnlichen Kletterzeiten erlebt. Wer braucht schon Pro7, Sat1 & Co? Keine Chance gegen dieses Hauptabendprogramm! Wir spielen unser eigenes GZSZ (Gute Zeiten, Schlechte Zeiten). Und das sind: sehr gute Zeiten!

Zwei Längen klettern wir noch, ehe uns am Ausstieg ein Steinbock begrüßt und die Sonne sich verabschiedet. Eine richtig schöne Abendteuer-Tour!

Kurz überlegen wir, direkt am Ausstieg unser Zelt aufzuschlagen. Oder doch noch zum Gipfel wandern? Weiter geht's. Die Aussicht auf Fritattensuppe und Kasnock'n aus'm Fertig-Packerl lässt uns schon das Wasser im Mund zusammenlaufen. Das Magenknurren wirft auf dem Weiterweg aber eine entscheidende Frage auf... Haben wir die Löffel dabei? Oh no...

Erst genießen wir noch die Abendstimmung und ärgern uns nebenbei über die furchtbar kleinen Clips der Zeltstangen, die die orange Plane ordentlich spannen. Wenn das jetzt schon zwickt? Wie sollen wir dieses Zelt erst einmal im Himalaya unter schwierigen Bedingungen aufstellen?

Die nächste Not macht erfinderisch... Ha! Zack die Spätzle! Hinauf auf's Sonnenbrillenglas! Naheliegend, wenn die Gläser oft sogar von selber heraus fallen und ihre Fassung verlieren. Perfekte Löffelform! Spätestens hier und jetzt bin ich voll froh, noch zwei Dosen Radler im Rucksack mitgeschleppt zu haben. Herrlich so ein Sternen-Hotel! Mit gekühlter Minibar!

Die Lichter im Tal, oben nur wir, unser Zelt und zigtausende Sterne. Endlich wieder Berg statt Bett! Alles reduziert auf das, was wir selber mitgebracht haben. Ein-mal-eins mit der Natur. Der Wind weht stark. Das Zelt hält stand. Der Körper schmiegt sich auf der aufgeblasenen Isomatte in Position. Der Kopf verschwindet im Carinthia-Schlafsack. Gute Nacht, Schatz!

Wir haben unser Zelt nah am Abgrund der Roten Wand aufgestellt. Damit wir einen Logenplatz für den Sonnenaufgang haben. Diesmal schaffen wir es leider wirklich, ihn in aller Ruhe und Gemütlichkeit zu verschlafen... Wär uns im Jänner auch schon fast passiert bei unserer Flug-Biwak-Tour. Was folgt: Ein verträumter Blick aus dem Zelt.

Morgääähn!!!!

Aaahh, verschlafen!

Auf den zweiten Sonnenaufgang warten.
Sweet little sunshine

Kleiner Gipfel (1505 Meter über dem Meer), große Stimmung.

Zumindest eine zweite Chance bekommen wir, als die Sonne hinter den tiefgelagerten Wolken zum Vorschein kommt. Gilt das noch als echter Aufgang? ;-)

Gipfelmomente.

Ich glaub', ich dürfte eine halbe Ewigkeit auf dem kleinen Stein neben dem Gipfelkreuz gestanden sein. Fasziniert von der himmlischen Stimmung, wie sich Strahl für Strahl langsam durch die Wolkendecke graben und wieder zum Vorschein kommen. Ringsum spielt es die Farben grau, gelb, blau und zartes rosa. Eingemummt in pinkes Adidas-Primaloft, denn der Wind ist frisch. Das eine oder andere Foto knipse ich. In erster Linie aber: genieße ich. Welch ein Geschenk, so in einen Tag zu starten!

Back to life.

Wir sind ausgekühlt, und wir haben ausgeschaut. Die Sonne nimmt ihren üblichen Lauf. Frühstück wird im Tal serviert. Voller Bewunderung vorbei an den majestätischen Bergland-Bewohnern. Es ist neun Uhr. Oder schon später. Wer weiß das schon, wir fühlen uns zeitlos. So darf ein Tag beginnen!

Honig im Kopf.

...und wie er weiterging, das erfahrt ihr in einer nächsten Geschichte ;-)

Created By
Marlies Czerny
Appreciate

Credits:

www.hochzwei.media / Andreas Lattner und Marlies Czerny

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