Erinnerungen an Freiheitskämpfe Wie ein politisches Gemälde in Vergessenheit geriet - MITTEN IN DER UNI

05. Juli 2017, Redakteurin: Julia Kohushölter

10:45 Uhr, der Bus hält. Ein Haufen drängelnder, schwitzender Körper schlängelt sich in die Eingangshalle der Universität. Am Campus Café geht es rechter Hand durch die Aula, vorbei an sich flüchtig grüßenden Grüppchen. Am Treppenaufgang Richtung A-Vorlesungssäle angekommen gleiten die Hände am kühlen Metall des Geländers entlang und fahren die immer wieder absplitternde, gelbe Farbe nach. Auf dem mittleren Plateau erheben sich die Blicke einiger ablenkungssuchender Studierender über die deplatzierten, hölzernen Lerntische. Mit gerade einmal ausreichendem Elan um die Ecke, eine weitere Treppe hinauf – der Blick erhebt sich erstmals und scannt die Raumnummern.

Stopp.

Noch am Treppenansatz, auf der rechten Seite befindet sich ein Gemälde. Ein wirklich großes Gemälde. Eigentlich kann es den hunderten Studierenden, die täglich diesen Weg zu A7 irgendwas bestreiten, nicht entgehen. Und doch: Dieses Bild ist komplett in Vergessenheit geraten. Wer von den Studierenden keinen Platz mehr in der Bib oder bei den wenigen, scheinheiligen Lernplätzen zuvor bekommen hat, kratzt sich seinen Tisch und Stuhl aus der Umgebung zusammen und setzt sich vor das Bild. Wer nicht einmal mehr einen Stuhl findet lehnt sich einfach dagegen.

Revolution - Kampf - Friede

Großflächige, monochrome, starke Farbfelder, umrahmt von breiten und pechschwarzen Kontur-Linien. Beide aneinander hängenden Leinwände im Blick fällt auf, dass es bei diesem Bild nicht um feinste Maltechnik geht: Die Symbolik des Werks springt dem Betrachter unweigerlich ins Auge und vermittelt ad hoc seine politische Botschaft. Eine aggressiv den Schnabel aufreißende (Friedens-)Taube, die an Picassos Guernica-Gemälde erinnert, ein Paar sich aneinander schmiegende Körper, Händchen haltend. Der Mann hält etwas in der Hand, das an eine Weltkugel erinnert, das Haar der Frau weht hinter ihr und in ihm zeichnet sich eine Flagge ab: die Flagge Chiles. Ein Repräsentant der Mapuche-Ureinwohner Chiles trägt auf der rechten Seite einen zeremoniellen Krug, welcher vor allem bei Thematiken wie der ersten Menstruation, Heirat und Tod der Frau eingesetzt wird.

Die Geschichte des Werks ist zu weiten Teilen ungewiss. Hinweise auf die Entstehung geben zwei Daten: ’77, Brigada Salvador Allende.

Fotos: Lukas Burg

Versuch einer (geschichtlichen) Rekonstruktion

„Wir sind derzeit an der Archivarbeit. Wir haben Zugang bekommen zu etwa zwölf Ordnern mit Zeitungen der ASTA von damals, Senatsbeschlüsse usw. Da haben wir schon einige Informationen erhalten, allerdings fehlt uns immer noch ein Hinweis auf den ausschlaggebenden Initiator.“

Sandra Rudman, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Kulturtheorie und kulturwissenschaftliche Methoden, forscht zusammen mit den Teilnehmern ihres Seminars zu dem Mural. Murales, das sind überwiegend politische Wandgemälde. Sie sind vergänglich, da oftmals verboten, ihre Künstler werden verfolgt und verbannt. Ein solches Werk hängt in der Universität Konstanz.

„An einem Morgen bin ich aufgestanden und hatte tatsächlich eine E-Mail des Künstlers in meiner Inbox.“

Der Künstler, Boris Eichin, ist Teil der Brigada Salvador Allende, einer politischen Protest-Organisation dessen Teilnehmer nach dem blutigen Militärputsch in Chile 1973 verfolgt wurden. Selbst der Künstler weiß nicht mehr, wer sie damals nach Konstanz holte und die Aktion initiierte.

„Aber was er mir erzählt hat ist, dass das Mural hier zustande gekommen ist während eines Konzertes von Quilapayún, das hier im Audimax stattgefunden hat.“

Die Band gilt als Hauptvertreter des Nueva canción Chilena. Ein anderer Vertreter dieser symbolträchtigen Musikrichtung, Victor Jara, wurde am Tage des Putsches in das Nationalstadion getrieben, gefoltert und ermordet. Die Gruppe Quilapayún befand sich währenddessen auf einer Europatournee durch Frankreich und musste bis 1988 im Exil bleiben. Während ihres Konzertes in Konstanz 1977 fertigten einige Mitglieder der Brigada Salvador Allende rund um den Künstler Boris Eichin das Mural auf der Bühne an.

Wiederentdeckung

Sandra Rudman sprang das Bild bei einem ihrer ersten Rundgänge durch die Universität ins Auge. Seitdem hat sich viel getan: Mittlerweile steht eine Absperrung vor dem Mural.

"Der Rektor war begeistert von der Idee [einer Restauration des Gemäldes]. Er hat mich zum Gespräch eingeladen – sich erst einmal selbst das Gemälde angeschaut, weil er gar nicht wusste wovon wir reden. Er hat es dann ermöglicht, dass die Restauration von dem Künstler selbst durchgeführt wird.“

In der Woche des 17. Juli gastieren die Künstler des Murals in Konstanz. Zusammen mit einer Chilenischen Band wird am 21. Juli feierlich die Einweihung des restaurierten Werkes gefeiert.

Trotz einer eigenen Website zu ‚Kunst am Bau’ der Uni mit interaktivem Rundgang und Erläuterungen zu den skurrilsten Werken konnte ein riesiges, geschichtsträchtiges Bild an einer der prägnantesten Stellen fast in Vergessenheit geraten. Eine nahezu unglaubliche Geschichte.

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