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Corona und Mission Perspektiven zu den Herausforderungen der Kirche in Zeiten einer Pandemie

Was zeigt uns diese Krise? Und was sagt das über unsere gegenwärtige Gestalt der Kirche aus? Was sind die besonderen missionarischen Herausforderungen in dieser besonderen Zeit? – Unterschiedliche Persönlichkeiten der EVLKS geben Antwort auf diese Fragen und lassen uns an ihren Erfahrungen der vergangenen Monate teilhaben.

Kirche wagt Neues

von Tabea Schönfelder

Die Coronakrise hat vielerorts deutlich gemacht, dass Kirche Menschen auf anderen Wegen erreichen muss - vor allem dann, wenn gewohnte Konzepte nicht mehr greifen. Herausfordernd ist es hier niemanden außen vor zu lassen. Deshalb müssen wir viel gezielter danach fragen, wen wir womit erreichen können und auf welchen Wegen - digital und analog.

Da vieles nicht mehr möglich ist, muss Kirche die Chance nutzen neues zu wagen und dem Risiko entgegen treten, überall in alte Muster zu verfallen.

Kirche, wie sie eigentlich gedacht ist

von Michael Schmotz

Corona steht für mich als Chance, über Kirche wie wir sie erleben und wie sie eigentlich gedacht ist nachzudenken. Ich erlebe Menschen, die voller Sorge und Angst sind. Ich erlebe befremdliche Gottesdienste mit Gesichtsverhüllung und Erfassung der Teilnehmer in Listen. Für mich eher abstoßend als einladend. – Aber ich erlebe auch Menschen die sich in kleinsten Gruppen treffen, miteinander reden, beten, Abendmahl feiern. Gemeinschaft untereinander und mit Jesus erleben. Das ist für mich Kirche.

Es tut mir unwahrscheinlich gut zu erleben, wie viel Kreativität diese besonderen Umstände hervorbringt. Da ist z. Bsp. der tägliche Impuls, den ich per WhatsApp bekomme und der mich bereichert, und den ich an Freunde und Bekannte weiterleite. Oder der spontane Mini-Gottesdienst bei einer Motorradausfahrt. Einfach Klasse! Mir am wichtigsten sind aber die wachsenden Beziehungen untereinander und mit IHM.

Da es Jesus nie um Strukturen ging sondern immer um Beziehungen, habe ich jetzt mehr denn je den Blick auf mein Umfeld, auf die Menschen, dei mir vielleicht anvertraut sind. Das ist Aufgabe und Chance zugleich!

Vertraute Formate in neuem Kontext

von Kathrin Mette, Ehrenamtsakademie

Begeistert hat mich in der Krise, dass „Kirche“ draußen stattgefunden hat. Am Karfreitag war ich bei einer spontanen Passionsandacht auf einem Friedhof dabei. Umgeben von sonnenbeschienenen Grabsteinen haben mich die Passionslieder noch einmal anders berührt als sonst. Ein paar Tage später hat mir meine Schwester von einem österlichen Stationen-Weg erzählt, den sie rund um die Kirche aufgebaut hat. Er hat mehr Menschen angezogen als der übliche Familiengottesdienst und die traditionelle Osternacht zusammen.

Vertraute Formate in einem neuen Kontext. Spirituelle Angebote außerhalb der Kirchenmauern, die ich selbstständig, in meinem eigenen Rhythmus erkunden kann. Das wünsche ich mir ab jetzt für immer (oder sagen wir die nächsten Jahre). Nicht zusätzlich zu all den eingespielten Insider-Formaten. Das schaffen wir nicht. Sondern immer mal wieder und nicht zu knapp an deren Stelle.

Kirche – Systemrelevant?

von Jochen Kinder, Sup. im Leipziger Land

Die Coronakrise hat uns gezeigt, dass Kirchen nicht systemrelevant sind. Diese Erkenntnis hat viele verstört, aber hoffentlich auch aufgerüttelt. Wie reagieren wir? A) Wir stellen uns auf den Standpunkt, dass wir doch systemrelevant sind und fordern das lautstark ein. B) Wir fangen an, viel genauer als bisher zu suchen und zu fragen, wie und wo wir denn relevant für die Menschen werden – innerhalb und außerhalb der Gemeinde. Ich bin für Variante B!

Die Gesellschaft verhandelt derzeit die großen Fragen des Lebens, die immer auch Fragen des Glaubens sind: Freiheit und Sicherheit, Krankheit und Leid, Verantwortung und Nächstenliebe, Sterben und Tod. Wie kommen wir mit den Antworten des christlichen Glaubens in diese Diskussionen hinein? Gestreamte Gottesdienste allein werden dabei nicht viel helfen. Eine persönlich wertvolle Erfahrung dieser Zeit: mich trägt vor allem das regelmäßige Abendgebet in der Kirche. Mission wächst aus dem Gebet – die Gebetsinitiative von „Kirche, die weiter geht“ ist elementar wichtig.

Ambivalenzen

von Michael Seimer, Männerarbeit

Mich hat bewegt, mit welch Einfallsreichtum und Ideenvielfalt in Gemeinden und Projekten mutmachende Nachrichten (oder auch zunächst Termine, der Hinweis auf online-Angebote usw.) zu den Menschen gebracht wurden. Besonders gelungen fand ich Initiativen, die „jedes Haus“ im Blick hatten: Entweder das Umfeld (Nachbarn) oder eben das ganze Dorf/den Stadtteil – und eben nicht nur die Gemeindemitglieder. Briefkästen, Fensterbänke, Telefone wurden zu Orten der weitergegebenen frohen Botschaft!

Gelebte Gemeinde ereignet sich vor Ort, in der unmittelbaren Nähe, der Überschaubarkeit. Das entspricht nicht unseren strukturellen Vorhaben. Manche Zielgruppen-Angebote haben es schwer, wahrgenommen zu werden (Rüstzeiten halte ich für unaufgebbar), die Dienste und Werke, Sonderpfarrstellen usw. geraten in ihrer Bedeutung der gesamtkirchlichen Bindekraft aus dem Blick.

Eine Tendenz bei den Online-Formaten macht mich stutzig: Sehr viele PfarrerInnen traten in Erscheinung - gegenüber der Vielzahl an Ehrenamtlichen, die vor Ort aktiv sind und (hinter der Kamera z.B.) die Dinge bewegen und die Gottesdienste mitgestalten. Das war ein verschobenes Bild.

Wir bekommen bewusst gemacht, wie sehr unsere Glaubensgemeinschaft auf Beziehung angelegt ist – Christsein geht eben nicht allein! Das bringt uns in die Nachfrage, wie einladend wir tatsächlich sind, wenn wir Angebote offerieren, die wir für „offen“ halten. Und es zeigt uns die Nächsten „vor unseren Füßen“ (Freundeskreis, Nachbarn, selbst Familie), zu denen wir zunächst eine Beziehung aufbauen könnten, wenn wir Ihnen wirklich missionarisch begegnen wollen! Wesentlich scheint mir auch die Begleitung der „ausgebremsten“ Ehrenamtlichen, z.B. das Telefonat mit dem sorgenvollen Männerkreisleiter. Mission heißt eben auch, die Schwestern und Brüder zu ermutigen, die ins Fragen geraten!

Zeit für einen geistlichen Aufbruch?

von Walter Lechner

Ein Pandemie-Lockdown ist kein geistlicher Aufbruch, stellt aber vielleicht die richtigen Fragen. Erschreckend und erleichternd: Nicht alles wird vermisst! Dafür finden sich neue Formen. Zwischen virtuellen Kopien des Gewohnten müssen wir jetzt die innovativen und zukunftsträchtigen Perlen identifizieren und fördern. Und nicht einfach alles wieder hochfahren, nur weil wir es können. Nicht die Hand an den Pflug legen und zurückschauen. Sondern alle unsere Kraft, Liebe und Leidenschaft auf das Ziel fokussieren, dass möglichst viele Menschen eine fröhliche und glaubwürdige Beziehung mit Jesus Christus erleben können und diese Welt gerechter wird. Und so exemplarisch vorleben, dass es Alternativen zu unserem zerstörerischen Lebensstil gibt. Dietrich Bonhoeffer schreibt:

„Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.“

Was wäre, wenn wir diesem Ziel alles unterordneten und so Kirche und Gemeinde bauten? Sollte es tatsächlich so einfach sein?

Freiräume

von Sarah Zehme

Corona hat nach einer ersten Eingewöhnungsphase Freiräume ermöglicht.

Grundthese: Die Freiräume haben in einer Belastungssituation zu einer Art Sabbatzeit geführt – die überhaupt erst wieder missionarisches Denken ermöglichen wird und gleichzeitig zu an anderen Stellen zu Kreativität angeregt, die auch missionarisch wirkt: Offene Kirchen mit der Möglichkeit zur Einkehr, Gebet, Kerzen entzünden, Texten hören wurden von vielen Menschen, die sich nicht der Kirche zugehörig fühlen, angenommen – Kirchen als Ort der Einkehr sind in der Krise im Blick.

Hilfsnetzwerke sind häufig durch Kirchgemeinden initiiert worden - in Kooperation mit den Städten, Kommunen, etc. - Kirche hat sich analog weiter vernetzt. Digitale Projekte sind überhaupt erst in den Blick genommen worden und unwahrscheinlich kreativ, mit viel Liebe fürs Detail umgesetzt worden. Hier wurde nach meiner Wahrnehmung und Rückmeldungen gerade eine Gruppe neu angesprochen, die oftmals aus dem Raster fällt (mittlere Generation) - Einsatz der digitalen Medien lohnt und spricht an.

Herausforderungen: Kirche hat sich m.E. an vielen Stellen kreativ gezeigt - was ist mitzunehmen? was dafür zu lassen? Die Gesellschaft differenziert sich weiter aus – was bedeutet das für das Handeln der Kirche vor Ort?

Analoge und digitale Glaubenskommunikation

von Johannes Bartels, Landesjugendpfarramt

Corona macht (nicht nur) der Kirche das Leben schwer. Das gilt auch für die missionarischen Aktivitäten der Kirche, klar. Denn Mission lebt von der Begegnung, und die ist gerade sehr kompliziert. Auf den zweiten Blick ist da natürlich doch manches möglich, das hat das Osterfest gezeigt. Anstatt des Ostergelächters gab es da den „Stillen Flashmob“: die Osterbotschaft als Kreide-Botschaft auf der Straße. Anstatt der singenden Osterreiter im Fernsehen gab es das Balkonsingen mit den oder für die Nachbarn. Anstatt des Osterfeuers wurden die Schwibbögen wieder hervorgeholt – und mancher hat bei der Gelegenheit auch gleich noch das Fenster zur Straße zum Schaufenster mit christlicher Botschaft umfunktioniert. Anstatt des Gottesdienstes in der Kirche haben manche – z.B. Pastor Gunnar Engel – eine Runde durch den Ort gedreht und an geeigneter Stelle einen kleinen Ein-Mann-Freiluft-Gottesdienst für die Anwohner*innen gehalten.

Eine besondere Rolle kommt in diesen Zeiten natürlich auch der digitalen Glaubenskommunikation zu. Im jugendevangelistischen Bereich hat Jesushouse den Auftakt gegeben, denn durch eine wunderbare Fügung ging die Streaming-Variante just zu Beginn des Lockdowns an den Start – und dadurch plötzlich mit vervielfachter Resonanz! Vielen christlichen Posts gelingt es freilich nicht, über die Kirchen-Bubble hinauszuwirken. Doch es gibt auch überraschende Ausnahmen, z.B. die sehr berührende Lesung des Hohenliedes der Liebe der Schauspiel-Agentur Studlar oder die ebenso berührende Aufführung von Bachs „Befiehl du deine Wege“ durch Mitwirkende des Internationalen Bach-Festes Malaysia. Sicher hat der ein oder andere dieser Posts weit über kirchliche Kreise hinausgewirkt.

Denn in einer Situation wie dieser, in der wir plötzlich mit den Grenzen unserer Macht und sicher auch mit unerwartetem Leid konfrontiert sind, gibt es eine besondere Offenheit für Trost und Hoffnung – und davon haben die christlichen Traditionen ja einiges zu bieten.

Ein weißes Blatt Papier

von Sabrina Frank

Die Coronakrise hat Gemeindearbeit sozusagen ein "weißes Blatt Papier" vorgelegt. Mit einem Mal war nichts mehr so, wie wir es gewohnt waren. Es ist nun an uns, zu schauen, was den Menschen gut tut, auf welchen Kanälen – ob nun digital oder analog – wir sie erreichen, was wir als Gemeinde wirklich brauchen und wo wir Gott begegnen können, wenn ER die einzige Sicherheit ist, die wir haben. Deshalb sollten wir weiter kreativ sein, um Begegnungsräume zwischen Gott und Menschen zu schaffen – nicht nur auf gewohnten Wegen. Die Herausforderung wird sein, dafür auch Freiheiten für ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter zu schaffen.

Aus fünf mach eins

von Viola Nerger

Die Krise zeigt uns in Mülsen sehr deutlich, dass wir nach unserer Vereinigung der fünf Gemeinden vor zwei Jahren, mit unserer neuen, angedachten Leitungsstruktur vorwärtskommen müssen. Aus FÜNF mach EINS. Wir können und dürfen nicht erwarten, dass die hauptamtlichen alles machen werden. Wir überfordern sie und für den seelsorgerischen Part bleibt nur wenig Zeit. Gerade da ist in der Krise aber besonders großer Bedarf. – Die missionarische Herausforderung dabei ist, neue Wege in die Öffentlichkeit zu gehen, gerade da hat diese Krise eine besondere Chance.

Wir erlebten Ostern als ein stilles, sichtbares Auferstehungsfest, dem ein besonders ruhiger Karfreitag vorrausging. Bis heute sind noch Gartenzäune und Mauern mit der Hoffnungsbotschaft geschmückt. Viele Texte, Bilder, bemalte Steine und Gehwege erreichten den Spaziergänger auf seinem Weg. Viele Menschen bleiben stehen und nehmen war, Kirche die es auch in der Krise gibt.

JESUS ist auferstanden, er lebt! - auch durch diese Krise hindurch.

Die Beteiligungskirche lebt

von Christian Heurich

Als Kirche sind wir da. Niemals habe ich in den letzten Wochen daran gezweifelt. Auch ohne Fülle an Veranstaltungen. Was immer war und sein wird, zeigt sich auch jetzt. Und gleichzeitig merke ich genauso: Wir leben in einem der säkularsten Landstriche der Erde. Obwohl Menschen Ängste und Fragen haben, sind wir in Ostdeutschland nicht die logische Adresse für Antworten und Hilfe. Aber genau aus diesem Grund sind (missionarische) Überraschungen möglich!

Dem „kirchlichen Getriebe“ tut es dafür gut, mal anzuhalten - und es auf Gesundheit und Wirkung zu befragen. Den Fokus zu schärfen. Nicht alles ist sinnvoll, was wir tun. Aber in jedem Fall dieses eine: Was organisch vor Ort entsteht - mit den vorhandenen Ressourcen, für konkrete Menschen und mit geistlicher Leidenschaft - hat Zukunft. Die Beteiligungskirche lebt - auch im „coffee after church“ bei Zoom. So eine Kirche bewegt Menschen. Achten wir darauf, nicht eine Kirche der wenigen Gesichter zu sein.

Was mir besonders Mut macht? Das Evangelium, die Botschaft des Friedens mit und in Gott, ist voll unvergänglicher Kraft und Hoffnung. Unsere menschlichen Fragen und die ungesunden Strukturen dieser Welt finden hier eine echte Perspektive. Mit diesem Schatz und einem Gott „auf Sendung“ bin ich gern unterwegs.

Credits:

Erstellt mit Bildern von OrnaW - "corona coronavirus mask" • Hermann - "wanderer backpack hike" • Wesley Tingey - "A statue of Christ carrying the cross." • Road Trip with Raj - "There are so many things in this life we can’t wrap my head around. There are so many people, relationships, moments, situations that don’t make sense, or that we can’t change. But lately, I’ve been trying to teach myself to slow down, to breathe, to accept, to trust. Continue reading my Iceland travelogue at https://www.roadtripwithraj.com/on-the-road/2018/2/2/i-am-learning-to-trust-the-road-ahead-wherever-it-may-lead Model: @linuswang1990" • Robert Katzki - "untitled image" • Matthieu Comoy - "Art studio with wall graffiti" • Kelly Sikkema - "Ready to Create" • 🇨🇭 Claudio Schwarz | @purzlbaum - "untitled image"