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100 Millionen für Qualifizierung Wenn die Arbeitswelt sich verändert, brauchen Beschäftigte Hilfe, um mit dem Wandel Schritt zu halten. Bei Siemens bekommen sie Unterstützung in Form eines 100-Millionen-Euro schweren Zukunftsfond für Qualifizierung.

Von Andreas Kraft

Siemens steckt in einem der größten Umbrüche seiner 172-jährigen Firmengeschichte: Die vollständige Vernetzung und Digitalisierung der Produktion beschäftigt den Weltkonzern ebenso wie der Klimawandel oder die demographische Entwicklung. Der Strukturwandel spielt bei Siemens auf vielen Feldern – entsprechend groß sind die Umbauten von Vorstandschef Joe Kaeser am Konzern.

Am härtesten traf der strukturelle Wandel das Kraftwerksgeschäft der Power & Gas und gipfelte in der Ankündigung des Konzerns, Standorte in Deutschland schließen zu wollen. Durch massiven Widerstand durch die Beschäftigten, die Betriebsräte und die IG Metall konnte dies abgewendet werden. Zusätzlich dazu wurde ein Zukunftspakt zwischen Siemens, Gesamtbetriebsrat und IG Metall geschlossen, für mehr Mitbestimmung und mehr Parität bei der Bewältigung der Veränderungen.

Siemens steckt in einem der größten Umbrüche seiner 172-jährigen Firmengeschichte: Die vollständige Vernetzung und Digitalisierung der Produktion beschäftigt den Weltkonzern ebenso wie der Klimawandel oder die demographische Entwicklung.

Am härtesten traf der strukturelle Wandel das Kraftwerksgeschäft der Power & Gas und gipfelte in der Ankündigung des Konzerns, Standorte in Deutschland schließen zu wollen.

Durch massiven Widerstand durch die Beschäftigten, die Betriebsräte und die IG Metall konnte dies abgewendet werden. Zusätzlich wurde ein Zukunftspakt zwischen Siemens, Gesamtbetriebsrat und IG Metall geschlossen.

Teil des Paktes ist der Zukunftsfonds. Mithilfe des 100-Millionen-Euro schweren Programms, das der Betriebsrat ausgehandelt hatte,konnten sich die Beschäftigten auf die anstehenden Veränderungen vorbereiten. Der Fonds finanziert Qualifizierungen und Weiterbildungen. Siemens stellt die Fondsmittel zur Verfügung. Einzelne Betriebe oder Einheiten können dann Geld für ihre Konzepte beantragen.

Vorbild des Zukunftsfonds war der kurz zuvor geschaffene Innovationsfonds. Beschäftigte der Kraftwerkssparte hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass man neue Produkte entwickeln müsse. „Nur sind diese Ideen nicht an der Spitze angekommen“, kritisiert Gesamtbetriebsrat Tobias Bäumler. „Das hat gezeigt, dass wir einen Prozess brauchen, bei dem Ideen an den Organisationsstrukturen vorbei gehört und diskutiert werden können.“ Über den Innovationsfonds können Beschäftigte nun Ideen für neue Produkte oder Geschäftsmodelle einreichen. Die Zentrale finanziert die Projekte über den Fonds.

„Das Wissen, das es für die Zukunft braucht, ist in den Betrieben vorhanden.“ Gesamtbetriebsrat Tobias Bäumler

„So entstand schließlich die Idee für den Zukunftsfonds“, sagt Bäumler. „Wir wollten so etwas wie den Innovationsfonds – nur für Investitionen in unsere Kolleginnen und Kollegen.“ An Stelle einer Politik des „Hire and Fire“ sollte die Idee treten, die Beschäftigten im Wandel mitzunehmen. Was für die Kraftwerkssparte der Klimawandel und die Energiewende sind, sind für den Fertigungsstandort Tübingen die Digitalisierung und die Auswirkungen der Globalisierung. Dort hatte die Belegschaft immer wieder Investitionen, etwa in die Digitalisierung der Produktion, gefordert. Entsprechend verärgert reagierten sie 2017, als der Konzern einen Großteil der Fertigung verlagern wollte. Das hätte in letzter Konsequenz zu einer Schließung des Standorts geführt.

Betriebsrat und Belegschaft kämpften weiter für eine Digitalisierung der Fertigung und damit für ihre Arbeitsplätze. Ihr Konzept, so das Know-How im Konzern zu halten und Qualität und Effizienz zu sichern, überzeugte schließlich auch die Konzernspitze. Der letzte Baustein zu einem digitalisierten Vorzeigewerk war die Qualifizierung der Beschäftigten. Dazu reichte der Standort Tübingen ein Konzept im Zukunftsfonds ein, dass überzeugte und nun gefördert wird.

Mit dem Zukunftsfonds hat der Gesamtbetriebsrat auch ein Instrument für mehr Transparenz über Strukturveränderungen geschaffen. Die einzelnen Projekte wie unter anderen auch Tübingen schaffen im Chor Wissen darüber, wie Arbeit im Konzern zukünftig aussehen wird. „Diese Transparenz ist ungemein wichtig“, sagt Bäumler. „Die Beschäftigten wollen ja wissen, wofür sie sich qualifizieren und was sie davon haben.“

Beim Kraftwerksgeschäft Power & Gas habe man das beispielhaft beobachten können. „Der Energiemarkt ist ja eigentlich ein wachsender Markt.“ Doch bricht den fossilen Anlagen das Geschäft weg. „Die Fragen müssen dann lauten: Wo entstehen neue Geschäftsmodelle, wo neue Beschäftigung?“ Nur wenn man das frühzeitig erkennt, kann man die Beschäftigten qualifizieren und mitnehmen. Und Beschäftigung für die Zukunft sichern.

Im Siemens Werk Tübingen soll Digitalisierung die drohende Schließung des Werkes verhindern: hier der Betriebsratsvorsitzende Ismayil Arslan, rechts Projektleiter Digitalisierung Satyanarayan Chauhan

Bei Siemens sei so auch ein neues Bewusstsein dafür entstanden, dass man den Wandel nur bewältigen kann, wenn man sich mit neuen Techniken, Innovationen und der Qualifizierung der Beschäftigten auseinandersetzt. Dabei setzt das neue Modell des Zukunftsfonds auf Ideen von der Basis. „Das Wissen, das es für die Zukunft braucht, ist ja in den Betrieben vorhanden“, sagt der Gesamtbetriebsrat. Genau da setzen Innovations- und Zukunftsfonds an. Betriebsrat, Betriebsleitung und Geschäftsverantwortliche müssen für ihren Standort dieses Wissen gemeinsam erschließen und in ein Konzept gießen. Nur so können sie sich dann für Geld aus dem Fonds bewerben. Ein paritätisch besetztes Gremium aus Gesamtbetriebsrat und Konzernführung entscheidet gemeinsam, welche Projekte finanziert werden.

Das führt auch zu einer neuen Unternehmenskultur. Der Gesamtbetriebsrat ist besonders stolz darauf, den Gedanken der Parität so bei Siemens zu verankern. Durch den Zukunftsfonds entstehe gerade ein kontinuierlicher Dialog im Unternehmen darüber, wie die Herausforderungen der Zukunft gemeistert werden können. „Das verändert auch die Sozialpartnerschaft bei Siemens“, ist sich Bäumler sicher. „Früher gab es eher das alte Feindbild zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Jetzt sehen wir regelmäßig, wie Betriebsräte und die Betriebsleiter gemeinsam für ihren Standort kämpfen.“

Weitere Informationen

Der Deutsche Betriebsräte-Preis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Die Hans-Böckler-Stiftung ist Kooperationspartner. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxis-Beispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. In diesem Jahr wird der Preis am 7. November auf dem Deutschen BetriebsräteTag in Bonn verliehen. Von rund 80 Bewerbungen wurden 12 Projekte nominiert.

Alle Informationen zum Deutschen BetriebsräteTag und Deutschen Betriebsräte-Preis auf boeckler.de

Created By
Andreas Bullik
Appreciate

Credits:

Fotos: Karsten Schöne