Dann melk’ du auch noch die Kühe, dann hol’ ich schnell das Heu ein. Marketinginsights mit Katharina Afflerbach

Katharina Afflerbach lernte ich kennen, als sie in der Dorint Zentrale das Marketing leitete. Davor war sie in der Kreuzfahrtbranche in Marketing und PR unterwegs, bei Costa Kreuzfahrten und dem Marktführer auf dem Fluss, Viking – in einer Branche also, wo das Marketingherz schon angesichts von Innovationsfreude, Wachstum und Investitionskraft höher schlägt. Aber Katharina ist zu neuen Zielen aufgebrochen, ließ sich zum Coach ausbilden, wurde Bergbäuerin auf einer Schweizer Alp und ist jetzt selbständige Marketingexpertin für Touristik und Hotellerie in Köln.

Wie siehst du die Entwicklung im Marketing / in der Kommunikation?

„Mobile first“ ist, was uns alle beschäftigen sollte. Damit beziehe ich mich nicht nur auf die Hotel-Website. Sondern auf das Lebensgefühl und die Lebensart heute und in den nächsten Jahren. Weil dank der System- und Technikunterstützung heutzutage so viel Service-Exzellenz möglich ist, haben wir Verbraucher mittlerweile auch unheimlich hohe Ansprüche. Diese übertragen wir natürlich von online auf offline und hören nicht auf, sobald wir das Smartphone in die Tasche stecken und das Hotel (den Laden, das Restaurant, das Kino) betreten.

Sich auch mit voller Konzentration um die Basics zu kümmern, z.B. die Ansprache und Wahrnehmung des Gastes, die Wohlfühlatmosphäre im Zimmer oder die Aufenthaltsqualität in den öffentlichen Räumen – das ist eine Aufgabe, die nicht in den Hintergrund rücken darf. All der kommunikative und technische „Kram“, den wir für die Vermarktung des Hauses auffahren, soll ja nur einem dienen: dem Gast einen Vorgeschmack darauf zu geben, was er im Hotel erwarten darf. Das ist die Grundlage für die Buchung.

Die Spielwiese für Marketing und Kommunikation wird größer, ja, das ist eine Herausforderung; auch wenn eines Tages klassische Websites, wie wir sie heute kennen, nicht mehr gebraucht werden, weil alles über Apps läuft. Mit der wachsenden Spielwiese müssen mehr Kanäle bedient werden. Ja, das ist Arbeit. Umso wichtiger ist es herauszustellen, wofür ein Haus, eine Marke, steht. Konsequent über alle Kanäle hinweg – bis zum echten Erleben im Hotel!

Ich vermisste in meiner Zeit als Angestellte zunehmend Produktivität, Kreativität, Miteinander, Entfaltung und Entwicklung, und ich hatte das Gefühl, dass ich alles nur noch wiederholte und ich keine neuen Impulse bekam.

Nach vier Monaten Melken, Ausmisten, Heuen und Co. schlug ich meine Zelte in Köln auf – als frisch gebackene freiberufliche Marketingexpertin.

Ich wollte sowohl „weg von“ als auch „hin zu“.

Was waren deine schönsten Meetings mit GM’s, was die schaurigsten?

Es gibt Hoteliers, die sparen am falschen Ende. Klar, im Marketing ist das immer so eine Sache – und seit Henry Ford wissen wir nie, welche 50 Prozent man aus dem Fenster geworfen hat. Aber es gibt Basics, an denen man nicht vorbei kommt. Nehmen wir das Beispiel Bilder. Welcher Gast bucht eine Unterkunft, die schon auf den Bildern sein Vertrauen, geschweige denn Begehren (will haben! will buchen!) nicht wecken kann? Möchtest Du in einem Bett schlafen, das schon auf dem Foto gelbstichig rüberkommt und eng und duster wirkt? Oder möchtest Du Deine wichtigen Geschäftspartner in einen Konferenzraum einladen, der, wenn es allein nach dem Foto geht, zuletzt vor 20 Jahren einen Anstreicher gesehen hat? Oder nehmen wir das Beispiel Website. Nicht nur Google bestraft es, wenn Deine Hotel-Website nicht responsive ist, sich also nicht automatisch auf das Ausspielgerät anpasst. Sondern auch der Kunde bestraft es. Wenn ich es mir abends mit Schatz und Tablet auf dem Sofa bequem mache, um für das Wochenende ein Hotel zu suchen und die Hotel-Website sieht auf dem Tablet einfach gruselig aus, weil nicht responsive, dann surf ich doch gleich weiter zum nächsten Hotel. Und weg ist der Umsatz.

Insofern sind meine schönsten Momente die, wenn der Hotelier dazu bereit ist, die Kundenbrille aufzusetzen und mit meiner Unterstützung wie ein Externer auf sein Haus schaut. In der Coachingausbildung nannten wir das: „In den Schuhen des Kunden gehen, mit den Augen des Kunden sehen.“ Das ist mein Ansporn, und dazu lade ich auch die Hoteldirektoren ein. Dann kommen die Aha-Erlebnisse von ganz allein, und Diskussionen um zielführende Investitionen können wir dann ganz anders angehen.

Kannst du von deiner Freiberuflichkeit leben? Welche Aufträge machen dich glücklich?

Ja, das kann ich. Ich bin nach wie vor viel in Hotellerie und Touristik aktiv, aber ich habe auch Kunden aus anderen Branchen. So lerne ich immer wieder Neues und kann die Erfahrungen mit meinen Kunden teilen. Viele Herausforderungen wie zum Beispiel, den Kunden konsequent in das Zentrum allen Handelns zu stellen, gelten ja universell und nicht nur in der Hotellerie.

Mich begeistert die Vielfalt in meiner Selbständigkeit und dass ich meinen Weg selbst steuern kann. Mir hat auch die Coachingausbildung an der Uni Köln immens viel gebracht. Ich mache es mir zur Aufgabe, zusammen mit dem Kunden herauszufinden, welche Unterstützung oder Maßnahmen wirklich gebraucht werden. Ich trete also nicht wie eine klassische Werbeagentur mit dem Bauchladen auf. Das baut Vertrauen auf und ich habe das Gefühl, dass meine Kunden meine Aufrichtigkeit und mein ehrliches Interesse daran, ihnen genau da zu helfen, wo der Schuh drückt, sehr zu schätzen wissen. Und dann wird das, was wir herausgefunden haben, in das große Ganze eingebettet.

Wann und wo kommen dir die besten Ideen?

Beim Lesen. Ich bin gut im Assoziieren und liebe es! Ich schnappe irgendwo eine Idee auf und transferiere ihren Nutzen auf die Aufgabenstellung meines Kunden. Das funktioniert vor allem auch Branchen-übergreifend. Nichts behindert die Kreativität mehr, als wenn man immer nur in demselben Becken fischt. Die Inspiration ist da draußen! Und dafür gibt es keine Regeln. Sie kann einem beim Friseur aus der „Barbara“ entgegenspringen genauso wie im Zug aus der „mobil“ oder aus einem Youtube-Video. Das überlasse ich dem Zufall.

Auf der anderen Seite investiere ich bewusst in mein Fachwissen, das im Marketing auch einfach unheimlich schnell veralten kann. Zugeklappt habe ich die Tage „Brand New – Was starke Marken heute wirklich brauchen“, „Love Brands – So lieben Kunden ihre Marken und werden zu Markenbotschaftern“ und „Text sells – Wie Sie Unternehmen und Marken durch Sprache Profil geben“. Als nächstes bringt mir Amazon „80/20 Sales & Marketing“ und „Ask“ von Ryan Levesque nach Hause. Marketing best practice Beispiele aus allen Branchen lasse ich mir über den „w&v“ (werben & verkaufen) Newsletter liefern, und alles, was sich neu im digitalen Marketing tut, verrät mir die App mit Podcasts von „Online Marketing Rockstars“. Und die „brandeins“ hat es sogar auf die Alp geschafft. Die Portraits von inspirierenden Machern wollte ich da oben nicht missen.

Katharina Afflerbach

Wie entwickelt man bessere Ideen als andere? Gibt es ein Schema, nach dem du vorgehst?

Mein Tipp: loslassen. Wenn man krampfhaft versucht, Ideen zu entwickeln oder einen Marketingtext zu schreiben, wird das meistens nichts. Das muss man zunächst selbst akzeptieren und dann auch der Chef, der einem mit der Aufgabenstellung im Nacken sitzt. Dann hilft nur, irgendetwas zu ändern: Man geht kurz raus, beschäftigt sich mit etwas anderem oder schläft eine Nacht drüber. Die Idee oder der Aufhänger für den Text wird kommen.

Und wenn nicht oder wenn man in einer Gruppe neue Ideen entwickeln möchte, helfen Kreativitätstechniken. Die setze ich gerne ein, wenn ich in einem Hotel zu Gast bin und es darum geht, Veränderungen zu besprechen oder zu implementieren. Die spielerische Komponente lockert die Atmosphäre auf und die Teilnehmer sind schnell mitten in der Problemlösung, ohne es zu merken.

Aber der allereinfachste Trick ist eine 180-Grad-Kehrtwende. Zum Beispiel versetze ich mich beim Texten in die Rolle des Lesers und frage mich: Was ist die allerwichtigste Botschaft, die sofort rüberkommen muss, bevor der Leser abspringt? Oder ich versetze meinen Kunden in die Rolle des Gastes und frage ihn beispielsweise: Was soll der Gast sehen, wenn er Ihr Hotel betritt? Was soll er fühlen, wenn er Ihre Speisekarte aufschlägt? Oder ich stelle die einfachste aller Coaching-Fragen: Wer könnte mir helfen?

Beschreib mal den Prozess weg vom Angestelltendasein, zuletzt als Direktorin Marketing in der Zentrale von Dorint, dann über die Alp bis zur Selbständigkeit.

Bei mir kam beides zusammen: Ich wollte sowohl „weg von“ als auch „hin zu“. Weg wollte ich von den vielen Minuspunkten, die ich dem Angestelltendasein in Sachen Kultur und Struktur geben musste. Die nichtigen Endlosdiskussionen, der Tunnelblick, das ständige Nein, das Gegeneinander … Ich vermisste in meiner Zeit als Angestellte zunehmend Produktivität, Kreativität, Miteinander, Entfaltung und Entwicklung, und ich hatte das Gefühl, dass ich alles nur noch wiederholte und ich keine neuen Impulse bekam.

Wo ich hin wollte, wurde immer klarer, vor allem während meiner Ausbildung zum „systemischen Coach und Veränderungsmanager“, die mich natürlich zunächst einmal selbst veränderte. Ich entwickelte die Hypothese, dass ich als Selbständige „mehr“ sein kann: kreativer, produktiver, einfach besser in meiner Arbeit und glücklicher als Mensch.

Als Tüpfelchen auf dem i, um mich endgültig freizuschwimmen und meine Veränderung zu manifestieren, ging ich nach meiner Kündigung einen Sommer lang als Sennerin auf eine Schweizer Alp. Nach vier Monaten Melken, Ausmisten, Heuen und Co. schlug ich meine Zelte in Köln auf – als frisch gebackene freiberufliche Marketingexpertin.

Warum die Alm? Warum bist du immer wieder hin?

Ich habe für mich herausgefunden, dass ich dann am glücklichsten und am produktivsten bin, wenn ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin. Jetzt in dieser Lebensphase ist meine Selbständigkeit für mich das richtige Lebensmodell.

Als ich nach meiner Kündigung zum ersten Mal auf die Alp ging, wusste ich noch nicht, dass ich noch zwei Mal gehen würde. Aber ich wusste, dass meine Selbständigkeit mir diese Freiheit ermöglichen würde, würde ich noch einmal gehen wollen. Oder eine Weltreise unternehmen oder ehrenamtlich ein paar Wochen lang in Calais helfen.

Auf der Alp habe ich, vor allem im ersten Sommer, gespürt, was für mich gesundes und befriedigendes Arbeiten ausmacht. Es gibt immer ein Ergebnis, und zwar sofort. Die Kuh ist gemolken. Der Stall ist ausgemistet. Der Baum ist gefällt. Es wird immer nach Lösungen gesucht, und zwar an Ort und Stelle: Wir flicken jetzt das Loch im Zaun. Wir suchen jetzt das verlorene Rind. Wir holen das Heu schnell ein, bevor es gleich regnet. Und man selbst ist immer elementarer Teil der Lösung: „Dann melk’ du auch noch die Kühe, dann hol’ ich schnell das Heu ein.“ Davon konnte ich unheimlich viel mitnehmen in meine Selbständigkeit.

Merci, Katharina. Für diese Einblicke in dein Leben und deine Arbeit. Ich wünsch dir nur das Beste.

Credits: Alle wundervollen Fotos von Katharina Afflerbach

Created By
Grischa Puls
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Credits:

Katharina Afflerbach

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