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Arbeiten am toten Punkt Brücken bauen in der Schusslinie eines 44 Jahre andauernden Konflikts

Festgefahren

"Life has stopped in this place", erklärt Evren Inancoglu und zeigt auf die verlassenen Gebäude, die die Strasse säumen und die bei der brütenden Hitze an ein mediterran angehauchtes Calico aus dem amerikanischen Westen erinnern. Eine geisterhafte Kulisse, von der man glauben könnte, dass sie eigens dafür aufgebaut wurde, um die paar wenigen Touristen in eine andere Zeit zu entführen. Eine die Strasse versperrende Mauer, darauf ein überdimensionales Foto eines hier ermordeten Zyperngriechen verhindert, dass man vergisst, dass es sich hier um einen ganz realen Checkpoint der heutigen Zeit handelt, den Übergang von griechisch Zypern ins Niemandsland. Vom Leben in den Stillstand.

Pufferzone

Ein imposanter Palast taucht auf, das ehemalige glamouröse Hotel Ledra Palace. Ein paar UN-Blauhelme schauen rauchend zu den fensterlosen Fenster heraus. Gegenüber ein Gebäude, das derselben Hoffnungsepoche der Vierziger Jahre entsprungen ist wie das Hotel selbst, im selben gelben Farbton trägt das dreistöckige Haus die dreisprachige Aufschrift "Home for Cooperation". Kooperation, ein befremdliches Wort in einem Umfeld, in dem Militärpräsenz, Mauern und Stacheldraht eine Stimmung der Konfrontation und Misstrauen verbreiten.

“Home for Cooperation is located in the bufferzone between north and south Cyprus an area called “No man’s land”. We are here to transform this noman’s land into a land for dialogue and cooperation.”

Grosse Ziele für eine 4-Kopf kleine Organisation und 44 Jahre Konflikterbe. Evren Inancoglu, langjähriges Mitglied des Home for Cooperation (H4C) sitzt im einzigen Café der ganzen 180 Kilometer langen Pufferzone, dem Home Café. Das Café ist sichtlich beliebter und belebter Treffpunkt. Die einen vor ihrem Labtop, die anderen in Sitzungen. Hauptsprache ist Englisch, Zyprier, die die Sprache der anderen Volksgruppe sprechen, sind rar. Gezahlt wird in türkischer Lira oder Euro. Drei frisch rasierte junge Männer mit durchtrainiertem Körper und in Shorts verraten mit ihrem tief britischen Akzent, dass sie zu den gegenüber stationierten UN-Truppen gehören, die an diesem Ort vollständig von Grossbritannien gestellt werden. Der Rest sind lokale Gäste. Verlässt man das Café, muss man sich für eine Seite entscheiden, gegen links griechisch Zypern, gegen rechts türkisch Zypern. Hinter der Fensterfront des Cafés ist das Ledra Hotel zu erkennen. Seine Fassaden erzählen in der drückenden Stille ein halbes Jahrhundert Geschichte einer Insel auf der Suche nach Identität und Zugehörigkeit:

Home Café

Bewegte Zeiten und ein Hotel im Dornröschenschlaf

Entstanden 1949, inmitten eines multikulturellen Stadtteils steht es mit seinem Prunk und der luxuriösen Einrichtung erst einmal für den Nachkriegs-Aufschwung und grosse Zukunftsvisionen. Die kurze Phase der Hochstimmung auf der Insel findet 1955 ein abruptes Ende: Die Hotelmauern tragen noch die Schusswunden des Attentats der griechisch zyprischen Untergrundorganisation EOKA, die sich mit Anschlägen auf von Briten frequentierte Gebäude gegen die britische Kolonialmacht wehrte. Die Anschläge führten zu grossen Unruhen und einer ersten tiefgreifenden Spaltung der Bevölkerung zwischen den Befürwortern und Gegnern einer Annexion an Griechenland. Sie trugen aber auch dazu bei, dass die Insel 1960 tatsächlich die Unabhängigkeit erwarb, die mit einem grossen Galadinner wiederum im Ledra Palace begossen wurde. Die mühsamst erarbeitete Verfassung sollte allerdings nur drei Jahre in Kraft bleiben.

Ledra Palace

Das Hotel wurde ebenfalls Schauplatz für den nächsten Meilenstein in der zyprischen Geschichte: In ihm suchten ausländische Korrespondenten und Touristen Zuflucht während des Staatsstreiches 1974. Eine radikale Abspaltung der EOKA (EOKA-B), wollte eine Zusammenschliessung Zyperns mit Griechenland, basierend auf der Enosis-Idee - also dem Bestreben, sämtliche Gebiete des alten Griechenlands wieder zusammenzuführen - mit Gewalt durchsetzen. Sie setzte den zyprischen Staatspräsidenten Makarios III ab, der sich zu jenem Zeitpunkt bereits von der Enosis-Idee abgewandt hatte und für ein unabhängiges Zypern plädierte. Die gewaltsame Machtübernahme der Enosis-Befürworter war eine Provokation für die Türkei, die verhindern wollte, dass die gesamte Insel an Griechenland angeschlossen würde und was auch im Widerspruch stand mit der ursprünglichen zyprischen Unabhängigkeitserklärung, laut deren, keine der drei Garantiestaaten Grossbritannien, Griechenland und Türkei Zypern für sich beanspruchen sollten.

Enlang der Grenzlinie

Es folgte der Einmarsch der türkischen Armee und die Intensivierung der Präsenz der UNO Friedenstruppen, die im Ledra Palace eine der längsten Peacekeeping Einsätze führen sollten. So wurde Ledra Palace zum Symbol der ethnischen Teilung der Insel und der dadurch entstandenen neutralen Pufferzone zwischen dem südlich griechischen und nördlich türkischen Teil. Während in den oberen Stockwerken die Soldaten Quartier bezogen, folgten im Erdgeschoss von nun an unzählige Verhandlungen zwischen den beiden Parteien des Waffenstillstandes.

Wie die Pufferzone die Altstadt von Nicosia in zwei teilt, copyright Urban Networks

2003 war das Gebäude wiederum Zeuge der Öffnung des ersten Checkpoints, nachdem die Grenze 31 Jahre jedem Öffnungsversuch getrotzt hatte. Ein neuer Wendepunkt.

Eine Ruine erwacht zum Leben

Heute, 15 Jahre nach der Öffnung der Checkpoints, steht das Hotel Ledra Palace immer noch da, wie zuvor, mittlerweilen in einem jämmerlichen Zustand und es steht mehr denn je für den Stillstand und nicht-erfüllte Hoffnungen und die Absurdität einer der Zeit entfallenen Zone. Bis Ende des Jahres soll es geräumt werden, nicht weil die Peacekeeping-Mission beendet wäre, sondern weil der Pomp ausgedient hat und kurz davor ist, in sich zusammenzufallen. Dies hat neben dem mangelnden Budget für die Renovierung auch damit zu tun, dass man in dieser Zone jahrzehntelang nichts verändern durfte. Denn all das gehört zum Status Quo, der hier gehütet wird, als wäre er ein Schatz und nicht eine Last.

Vor dem H4C

Kein Zufall, dass das Home for Cooperation gerade hier seinen Platz fand. Ein Projekte, das genau diesen Status Quo herausfordern will. Eines von vielen mit dem Ziel, das Zusammenleben der geteilten Gesellschaft zu fördern, das einzige jedoch, das es gewagt hat, an der Pufferzone selbst zu rütteln. Es gibt kein anderes Gebäude für nicht-militärische Begegnungen auf dem ganzen, die Insel durchtrennenden Streifen no man's land. In dieser schwer belasteten Zone eine Organisation einzurichten fordert viel Kreativität, Pionierarbeit, Durchhaltewillen und politisches Geschick. Beide Seite und auch die UNO müssen jeden Schritt absegnen. 2011 wird das Undenkbare wahr, das H4C kann mit der Teilnahme beider Regierungsvertreter eröffnet werden.

Einer von vielen Strassenabbrüchen

Der Ort hat etwas Surreales, wie Nicosia, diese geteilte Hauptstadt von Zypern überhaupt. Die Trennlinie läuft wie eine Narbe durch Strassen und Häuser. Mit Zacken und Ausbuchtungen. Für Ortsunkundige immer wieder verwirrend. Onlinekarten schicken einem auf in Realität unbegehbare Strassen. Mal sind es Ölfässer, mal Mauern, mal Zäune. Oft so diskret, dass man sich in einer ganz normalen Stadt währt, bis man irgendwo einen Ast erspäht und merkt, dass man wieder einer puren Fassade auf den Leim gegangen ist, dahinter nichts, wucherndes Grün, bröckelnde Ruinen. Menschen wohnen in Häusern, deren Hintertüren direkt in diesen mit Stacheldraht durchwobene Landstreifen führen und in ein in sich zerfallendes Mauernlabyrinth. Betreten verboten. Lebensgefahr. Während die Menschen sommerlich locker an den Militärposten vorbeischlendern, weiss man doch, dass ein einziges falsches Foto ins Gefängnis führen kann. Die Einwohner der Stadt haben es sich zwischen Sackgassen, Öltonnen und Schiessscharten gemütlich eingerichtet. Sie trinken Kaffee mit dem Rücken gegen Sandsackmauern, stellen vor den Barrikaden Plastikschlösser für ihre Kinder auf und verschönern Absperrungen mit Blumentöpfen, während aus dem dahinterliegenden Nichts die Grenzwache durch die Luke schielt. Jederzeit kampfbereit, schliesslich leben sie hier nur in einem Waffenstillstand. Wer weiss, wie lange die UNO noch präsent sein wird und wer weiss, wie die nächsten Verhandlungen ausgehen.

Café und Wunschschloss an der Strassensperre

H4C hat eine dieser Ruinen wieder zum Leben erweckt. Sie aus einem Symbol des Abbruchs in ein Symbol des Aufbruchs verwandelt, aus Parallelwelten eine Welt von Berührungspunkten erwachsen lassen. Seit 2011 entwickelte sich ein vielfältiges Bouquet an Veranstaltungen: Musikdonnerstage, Dachterrassenkonzerte, Sporttage Yogaabende, Tanz, Chor, Büros und Seminarräume und ein Café, das sich sich zu einem Treffpunkt für engagierte Menschen entwickelt hat.

“Das grösste Hindernis, um den Bruch in der Gesellschaft zu überwinden, ist der Mangel an Dialog, die Menschen kennen sich gegenseitig kaum und können entsprechend die Ängste und Bedürfnisse der anderen nicht nachvollziehen. Genau dem wirkt das H4C entgegen, indem wir einen Ort und Rahmen für Begegnung schaffen.” (Evren Inancoglu)

Aber kann es darüber hinaus Wirkung erzielen in dieser isolierten Zone? Als Insel in einer Insel in einer Insel? Kann es die 67% der Inselbevölkerung erreichen, die vor 14 Jahren gegen eine Zusammenschliessung gestimmt hatten?

Die verschiedensten Aktivitäten sind schon lange aus der Pufferzone ausgebrochen und schleichen sich in den Alltag der geteilten Stadt ein. Da ist zum Beispiel Marios Epaminondas, Mitgründer von H4C, der unabhängige Stadtführungen organisiert, bei denen Zyprer die ihnen unbekannten Winkel der eigenen Stadt kennenlernen und eine breitere Perspektive auf die eigene Vergangenheit gewinnen, ein Stadtbild, das Geschichte und Geschichten der anderen miteinschliesst.

Stadttour zum Thema LGBTI
"These walks can help the communities to come together, they have a common goal to learn more about the city, during the walks people get to know each other which is important to build trust and create a new community, a microcosm including all interested people." (Marios Epaminondas, Mitgründer von AHDR und H4C)
Marios Epaminondas während einer Führung
“Wir stellen uns Zypern als Ganzes vor. Was immer wir tun, hat deshalb den Anspruch ganzheitlich zu sein. In Zukunft sollen auch Aktivitäten ausserhalb von Nicosia angeboten werden” (Evren Inancoglu)
In den Strassen von Nicosia

Knackpunkt Identität

Noch ist diese Vorstellung von einem ganzheitlichen Zypern Wunschdenken und wird von vielen abgelehnt. Der Konflikt hat sich in den Jahrzehnten tief in die Identität der Inselbewohner eingefressen. Die Trennung der Inseln hat mehrere Generation in ihrem Selbstverständnis geprägt. Wer nach 1974 geboren wurde, wuchs mit einer sehr diffusen Vorstellung der anderen Seite auf.

"Als Kind dachte ich immer, auf der anderen Seite der Mauer gäbe es nur tote Seelen. Ich hatte verstanden, dass jemand, der stirbt, "auf die andere Seite" gehe, derselbe Begriff, den wir für die griechische Seite Zyperns brauchten."
Schöne Türen und Fassaden und dahinter der Abbruch

Mit ihren 9.2 Quadratkilometern ist Zypern, das den Ruf hat Geburtsort der Liebesgöttin Aphrodite zu sein, knapp einen Viertel so gross wie die Schweiz. Über Jahrhunderte stand die Insel unter unterschiedlichem kulturellen Einfluss. Zuletzt war sie 300 Jahre unter der Herrschaft der Osmanen 1571-1878 und dann der Briten (bis 1960). Die ganze Insel gehört seit 2004 zur EU, gleichzeitig liegt sie gerade mal knapp 100 Kilometer vom syrischen Festland (und 800 Kilomoeter von Griechenland) entfernt und gehört geographisch zu Asien.

Ausblick von H4C auf türkisch-zyprische Häuserfront

Die Zahlen zur Bevölkerung gehen auseinander, die Insel dürften 1.2 Millionen Einwohner haben, davon ca. 70% Zyperngriechen. Der nördliche Teil, die "Türkische Republik Nordzypern" wird ausser der Türkei von keinem Land anerkannt und von der internationalen Gemeinschaft als besetztes, zur Republik Zypern gehörendes Gebiet bezeichnet. Die Zyperntürken (also alle ausser den nach 74 angesiedelten Festland Türken) haben Anrecht auf einen griechisch-zyprischen und somit europäischen Pass. Die Bindung der Zyperntürken zur Türkei ist schwach, seit bald 500 Jahren getrennt von ihrem Mutterland, also bedeutend länger als Grossbritannien und die USA zum Beispiel, sehen sie nur beschränkt gemeinsame kulturelle Wurzeln. Allerdings ist Zypern seit 1974 auch zum Wohnort geworden für eine grosse Anzahl von Festland Türken. Einige Quellen gehen davon aus, dass sie den Zyperntürken gegenüber bereits in der Überzahl sind. Die Zyperngriechen wiederum hatten sich lange Zeit mehrheitlich als Griechen verstanden (in der Folge von Enosis), heute sehen auch sie sich als eigenständige Nation. Diese Vielschichtigkeit macht es schwierig, die Frage nach Identität und Zugehörigkeit zu klären. Und doch ist gerade die Auseinandersetzung mit der Identität ausschlaggebend für die Arbeit an der Konfliktlösung.

Wie eine Kathedrale zur Moschee wurde

Loizos Loukaidis ist zuständig für den Bereich Bildung bei der Association for Historical Dialogue and Research (AHDR), die sich für Pluralität in der Geschichtsforschung und -lehre einsetzt und die hinter der Gründung des H4C steht. Die kleine Organisation hat ihr Büro im H4C, wo sich vier Personen einen engen Raum teilen, in dem sie zwischen Papier- und Bücherstapel, die sich über Tische, Stühle und Boden ausbreiten nur schwer Platz zum arbeiten finden, was ihrer Produktivität aber offensichtlich keinen Abbruch tut.

Loizos Loukaidis und Özge Özogul im Gespräch über die Association For Historic Dialogue and Research (AHDR)

Laut Loizos Loukaidis ist einer der Hauptgründe für die Trennung zwischen den beiden Hauptvolksgruppen, dass auf beiden Seiten eine Identität propagiert wird, die den anderen aus der eigenen Identität ausschliesst.

“Wir brauchen keine gemeinsame zyprische Identität. Aber solange wir in unserer eigenen Seifenblasenrealität verharren, in der wir es uns so gemütlich eingerichtet haben, können wir keine Brücken bauen. Erst wenn wir den anderen als Teil unserer eigenen Identität akzeptieren und erkennen, dass wir alle mehrere Identitäten haben, die über die ethische hinausgehen, ist es möglich Gemeinsamkeiten zu erkennen.” (Loizos Loukaidis)

Die Blume im Clinche und eine Überlebensstrategie

Juli 2017, Zyperngespräche in Crans-Montana, in der heilen Schweizer Bergwelt. Bereits seit Mai 2015 laufen die neuesten Gespräche über eine Wiedervereinigung. Die Hoffnung auf eine frische Brise in den blockierten Beziehungen ist gross. Das Zusammentreffen wird als letzte Chance für eine Einigung eingestuft. Doch nach viel gutem Willen im Vorfeld verkeilen sich die Positionen erneut um die Fragen zu Sicherheit, Machtteilung, Gebietsaufteilung und die Besitzrechte auf der Insel. Die Verhandlungen werden abgebrochen, Hauptstreitpunkt sind nach wie vor die Präsenz der 30’000-40’000 türkischen Soldaten im nördlichen Teil. Die Enttäuschung ist immens.

Entlang der Trennungslinie

Ein Rückschlag auch für die Zivilgesellschaft, denn damit ist eine erneuten Abstimmung, bei der die Zivilgesellschaft mitreden könnte, in unbestimmte Ferne gerückt. Das letzte Referendum liegt bereits 13 Jahre zurück. Und mit dem Einbruch auf politischer Ebene ist auch ein erneuter Rückgang des Engagements und der Motivation bei den Bewohnern der Insel zu erwarten.

Dessen ungeachtet bleibt das Home for Cooperation in seine Arbeit vertieft, politischer Gridlock ist nichts Neues am Horizont der Friedensorganisation. Das nächste Grossprojekt aus dem Nähkästchen von H4C steht an: Buffer Fringe Performing Arts Festival. Ein grenzübergreifendes Festival, das experimentelle Arbeiten von lokalen und internationalen Künstlern nach Nicosia holt und damit physische und künstlerische Schranken sprengt. Während fünf Tage werden Orte des gesellschaftlichen Lebens wie Märkte und Plätze auf beiden Seiten der Grenze mit unterschiedlichsten Produktionen bespielt. Diese konfrontieren die künstlerisch konservative Region mit ungewohnten Kunstformen, eröffnen neue Perspektiven auf die eigene Stadt und schärfen ihren Blick, einen Blick, der Pufferzone und Zeit durchdringt. Das Kulturprogramm zieht in seiner Vielfalt und mit den freien Eintritten ein breites Publikum an, lockt die Bewohner aus ihrer Komfortzone und weckt die Neugierde, Menschen und Orten der anderen Seite kennenzulernen.

“Seit 44 Jahren können wir uns nicht einigen, was Frieden ist. Kultur bietet eine Kontaktmöglichkeit, bei der die problematischen politischen Punkte in den Hintergrund rücken” (Hayriye Rüzgar)

Vom Erfolg der bisher 42 Darstellungen - davon drei Viertel lokale Produktionen - beflügelt führt H4C das Festival im November 2018 in seine fünfte Ausgabe.

Buffer Fringe Performing Arts Festival, Foto: Halil Olgu für H4C

Das Arbeiten zwischen den Fronten bedeutet immer wieder mit Absurditäten zu tun zu haben: Ein Telefonanruf über 50 Meter auf die andere Seite kostet gleich viel, wie ins 3000 Kilometer entfernte London. Autos können aus Versicherungsgründen die Grenze nicht überqueren, Lieferungen sind höchst problematisch und die Buchhaltung wird in zwei Währungen geführt. Der rechtliche Status und die Bewegungsfreiheit müssen immer wieder neu ausgehandelt werden. Je nach Nationalität dürfen Veranstaltungsteilnehmer nur auf der einen oder anderen Seite auftreten und je nach Politik der Garantiestaaten sind die beiden Gebiete mal in derselben und mal in unterschiedlichen Zeitzonen, was nicht nur bei Verabredungen Verwirrung stiftet sondern auch zu ziemlicher Unübersichtlichkeit führt, wenn Veranstaltungen in zwei unterschiedlichen Zeitzonen zum selben Programm gehören. All dies bedeutet mehr Zeit, mehr Aufwand, mehr Geld.

Einjähriges Jubiläum von Unite Cyprus Now

Das H4C Team lässt sich die Schwierigkeiten im Hintergrund nicht anmerken, es schmiedet weiter an neuen Plänen. Es will noch mehr zur Anlauf- und Vernetzungsstelle für Organisationen aber auch Startups werden, Synergien zwischen ihnen fördern und sie auch unterstützen bei der Überwindung der vielen Hindernisse, die das grenzüberschreitende Zusammenarbeiten mit sich bringt. Zudem soll aus dem bi-kommunalen Zentrum ein Begegnungszentrum für alle werden, also auch vermehrt andere Gruppen miteinschliessen.

“If you are bi-communal in a multicultural society that can be very exclusive for those who do not belong to these two main groups. We want to be as inclusive as possible.” (Evren Inancoglu)
Viele Häuser der Geflohenen sind heute Ruinen

Evren Inancoglu, selber Zyprer aus Nicosia, ist zwar offiziell nur Vorstandsmitglied von H4C. Viel eher wirkt er aber wie der Gastgeber, der sich mit breitem Interessen und einer ausgeprägten sozialen Ader dafür einsetzt, dass sich hier alle Menschen zu Hause fühlen. Er grüsst alle, hat immer Zeit für einen kurzen Schwatz, lädt hier und dort zum Kaffee ein, bevor er sich wieder in einen der flauschigen Sessel sinken lässt und auf seinem Labtop an einer Präsentation des H4C arbeitet. Dabei ist er hier nicht angestellt. Bei ihnen arbeite man im Sommer nur bis 14 Uhr, den Rest des Tages verbringe er mit diversen Freiwilligenengagements. Spricht man ihn auf die Arbeitsbedingungen in der Friedensarbeit in der Pufferzone an, lacht er.

Entlang der Trennungslinie

"Ein Freund von mir wollte eine Pflanze mit nach Hause in den Norden nehmen, er passierte von griechischer Seite die griechische Kontrolle, dann die Pufferzone und kam dann zur türkischen Kontrolle. Tut uns leid, Pflanzen dürfe Sie nicht einführen, so die Zöllner. Kein Problem und er machte sich auf den Rückweg. Zurück bei der griechischen Kontrolle sagten diese: Tut uns Leid, aber Pflanzen dürfen Sie nicht einführen. So stand er da, mit seiner Pflanze und konnte weder nach Süden noch nach Norden, weder rein noch raus. Er kam zu uns, schenkte uns die Pflanze und überquerte problemlos die Grenze. Genau so, muss man sich das Leben hier vorstellen, immer wieder bleibt man stecken und es geht weder vorwärts noch rückwärts."

Und gleichzeitig kann gerade diese Lage auch eine Lösung bieten aus einer verzwickten Situationen. Wenn man denn genug Resilienz und Kreativität aufbringt.

“Das Wichtigste ist, die Rückschläge nicht als Niederlage sondern als Lernprozess zu nehmen. Wir sind eine Lernorganisation"

Und Rückschläge gibt es hier mehr als genug.

Daheim im Gegenwind

April 2018, die Präsidenten beider Teile Zyperns treffen sich diesmal in der Pufferzone, im Ledra Palace, um die Wiederaufnahme der Gespräche zur Vereinigung der Insel zu einem föderativ organisierten Staat zu erwägen. Einmal mehr soll die Zone das ermöglichen, was nirgendwo sonst möglich war. Aber einmal mehr, scheitert sie. Es kommt zu keiner Einigung.

Beblumung der Checkpoints

Im Gebäude gegenüber klingt Hayriye Rüzgar zuversichtlich. Die noch keine 30 Jahre alte Kommunikationsverantwortliche sieht viele positive Veränderungen. Menschen, die dank einer H4C Veranstaltung das erste Mal die Grenzen überqueren und sich mit dem auseinandersetzen, was so lange ausgeblendet wurde; das Zusammentreffen unterschiedlichster Gruppen; das lebendige Café, das sich schon längst verselbständigt hat und ohne das Zutun der Initianten zur Plattform für Ideenaustausch und Zusammenarbeit geworden ist. Die Anzahl der Personen, die erreicht werden steige stetig, beim letzten Buffer Fringe Festival gaben 30% der Besucher an, zum ersten Mal an einer H4C Veranstaltung beizuwohnen. Und dann war da auch dieses Video, das Wellen schlug, erinnert sie sich und ihre Augen leuchten begeistert.

Hayriye Rüzgar im Gespräch über H4C, im Hintergrund die Pufferzone und die türkische Seite der Trennungslinie

"Different Stories, different beliefs, different dreams. A cultural mosaic under the same roof. A place we call home." So der Titel.

Hergestellt zum Welttag der kulturellen Vielfalt als Collage von Filmsequenzen aus den unterschiedlichsten Regionen der Insel löste es eine weitgreifende online Diskussion aus zwischen den unterschiedlichsten Lagern, zwischen Befürwortern und Gegnern eines Zusammenschlusses von Zypern, Menschen, die sich sonst nirgendwo begegnet wären, waren in eine heftige Auseinandersetzunge geraten dazu, was Zypern ist, sein soll und was Heimat bedeutet. Ein Dialog war entstanden, den niemand für möglich gehalten hätte.

"We reached a segment of people we wouldn't have been able to reach no matter how we would try." (Hayriye Rüzgar)
"When I look at H4C I imagine that this will be Cyprus one day, it is like a mini-model of a future united Cyprus" (Hayriye Rüzgar)

Zypern als Heim, in dem sich alle zu Hause fühlen.

Auch Evren sieht trotz hartem Gegenwind immer wieder Grund für Optimismus. “In nur 6 Monaten konnten wir mit einem der neuen AHDR-Projekte “Imagine” über 1000 Kinder erreichen, die meisten unter ihnen hatten noch nie jemanden von der anderen Seite gesehen. Diese Kinder sind die Zukunft unseres Landes ”

Das Home for Cooperation ist ein Ort, der parallele Realitäten zusammenführt, die nördliche Realität und die südliche, die politische und die zivilgesellschaftliche, die gesellschaftliche und die persönliche. Ein Ort, der Dynamik bringt in eine mentale und emotionale Starre, am Festen rüttelt und gleichzeitig das Bröckelnde zusammenkittet. Ein Ort, der Alternativen bietet zum verhärteten Diskurs, der einseitigen Darstellung eine zweite Seite gegenüber stellt und die daraus entstehende Verunsicherung nutzt, um den Status Quo zu überwinden und eine zukunftsfähige Lebensform herbeizuführen.

“Through our activities we just provide an alternative. The people may disagree with it, but they walk away with a question mark. This is how you can challenge the status quo.”
Spiegelblick von der türkischen Seite auf das Ledra Palace Hotel
Created By
Lea Suter
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Credits:

Lea Suter

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