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Anton Bröring Lust am Spiel - Mut zur Provokation

Anton Bröring zeigt uns in seinen Arbeiten den Blick auf das, was ist und das, was dahinter liegt oder dahinter liegen könnte. Entscheidend war für ihn sein Studium bei Joseph Beuys in Düsseldorf. Dort nahm er Gedanken auf, die ihn zu seiner Kunst führten, die mit feiner Hintergründigkeit ausgestattet ist. Das beginnt schon mit der Materialität. So hängen seine Strukturbilder frei im Raum und seine Objekte sind mit der Stofflichkeit des Alltäglichen gestaltet.

Galeriehaus KUNST IM GANG | Im Bauernfeld 18 | 96049 Bamberg

Ausstellungsdauer: 18. 9. - 30. 9. 2017

www.kunstimgang.de

Dietlinde Schunk-Assenmacher M.A.

Einführung von Werner Assenmacher in die Ausstellung „Lust am Spiel – Mut zur Provokation“ am 16.9.2017.

Lassen Sie mich beginnen mit einigen biographischen Eckdaten: Anton Bröring geboren 1946 in Cloppenburg. Staatl. Hochschule für Kunst Bremen, Fläche/Malerei bei Prof. Karlheinrich Greune. Staatl. Hochschule für Bildende Künste Düsseldorf, Plastik bei Prof. Joseph Beuys.

Anton Bröring lebt und arbeitet heute in Scharnebeck bei Lüneburg. Dort leitet, kuratiert und organisiert er neben seiner eigenen künstlerischen Tätigkeit auch das Programm des Ausstellungshauses „Kulturboden“. Und so lernten wir uns kennen, anläßlich einer Scharnebecker Ausstellung des Bamberger Künstlerpaares Sela und Hanns Bail, die sicherlich viele von Ihnen kannten und schätzten.

Seine eigene Ausstellungstätigkeit konzentriert sich naturgemäß auf den norddeutschen Raum und Berlin, neben Einzel- und Gruppenausstellungen in Estland, Frankreich, Dänemark und Polen. Daher schätzen wir uns glücklich, mit der heutigen Ausstellung auch den bayerischen Raum, oder besser gesagt, Franken erobert zu haben.

Anton Bröring gehört zu den nach meiner eigenen Erfahrung wenigen Künstlern, die nicht nur in aller Konsequenz ihren eigenen künstlerischen Weg gehen, sondern sich in einem weitaus umfassenderen Sinn der Gegenwartskunst in all ihren Schattierungen verpflichtet fühlen.

Dies allerdings weit jenseits aller postmodernen Beliebigkeit, sondern immer streng gemessen am eigenen intensiv erarbeiteten Kunstverständnis und dem daraus resultierenden Anspruch. Dieser Anspruch ist allerdings weit entfernt von allem bier- oder wenn Sie so wollen, Rotweinernst.

Es ist ein Anspruch, der der Antwort des Zenpatriarchen Boddhidarma entspricht, der auf die Frage, was denn Zen sei, antwortete: „Offene Weite, nichts von heilig.“ Dies korrespondiert mit dem in der Einladung zu dieser Ausstellung angekündigten „Lust am Spiel – Mut zur Provokation“.

Lassen Sie mich für einen Moment bei diesem scheinbaren Gegensatzpaar verweilen. Lust am Spiel hat nichts mit Spielerei zu tun. Nach Schillers Spieltheorie ist die Freiheit des Spiels der Motor des Fortschritts, anders ausgedrückt: Erst die Freiheit von Konventionen öffnet die Möglichkeiten zur Innovation. Wer sich aber freimacht von Konventionen, bewegt sich auf einem Spielfeld möglicher Provokationen, d.h. der Tabubruch ist immer in Reichweite. Tabubruch und Provokation sind also nicht Selbstzweck oder Ziel, sondern die Bedingung sine qua non – oder auf gut Deutsch: Ohne geht’s nicht – die Neues, Ungesehenes und unerhört Ungehöriges in den Blick nehmen können. So nicht Wahrgenommenes bzw. anders Wahrgenommenes kann eine ganz neue Bedeutung gewinnen.<br> Dieser kunstheoretische Ansatz ist bis heute noch nicht in allen Köpfen angekommen, gleichwohl ist er kennzeichnend für die Kunstentwicklung seit ca. 100 Jahren, also schon länger als, sagen wir mal, die meisten von uns leben.

Anton Bröring ist noch lange nicht 100. Er hat dieses Kunstverständnis also nicht erfunden. Überhaupt niemand hat es erfunden, sondern es war immer ein langer und auch schwieriger Prozess. Da gab es Marcel Duchamp mit seinen ready mades, die Dadaisten, die Surrealisten, die Konstruktivisten, die Konkreten, die Minimalisten, die Konzeptionisten usw.

Brörings künstlerischer Entwickungsweg führte ihn zum Studium der Plastik bei Prof. Joseph Beuys. Beuys Name ist bis heute verbunden mit seinem Begriff des erweiterten Kunstverständnisses, mit dem Begriff der Sozialen Plastik, was zunächst für nichts anderes steht, als für eine absolut freie Entgrenzung. Unsere Galerie zeigt nicht zum ersten Mal Arbeiten sehr bekannter Beuys-Schüler Wenn wir fragten, wie war er eigentlich als Lehrer, dann erhielten wir übereinstimmend die Antwort: Sehr streng. „Wer nicht denkt, fliegt raus!“ stand auf einem Schild in der Akademie. Anton Bröring ist nicht rausgeflogen.

Und wenn wir heute seine Arbeiten betrachten und nicht denken – nicht frei und unvoreingenommen selbständig denken -, dann fliegen wir raus. Natürlich nicht aus der Galerie, unsere Tür ist immer in beiden Richtungen offen, aber aus einem Zugang zu seinen Arbeiten, die ganz schlicht und einfach ein Denkangebot sind. Es ist beeindruckend, mit welcher Konsequenz Anton Bröring nach seinen Studienjahren seinen künstlerischen Weg gegangen ist und ein ganz persönliches Material– und Formenvokabular entwickelt hat, mit dem er seine Sicht auf die Welt und die Dinge zum Ausdruck bringt.

Diese Ausstellung kann nur einen begrenzten Einblick geben, daher lohnt sich auch der Überblick, den der von Frieder Zimmermann fotografierte und gestaltete und zu Brörings 70. Geburtstag erschienene Katalog, den sie hier einsehen können, bietet.

Gestatten Sie mir, daß ich stellvertretend für Sie und stellvertretend für die übrigen Arbeiten Anton Brörings in dieser Bamberger Ausstellung auf zwei Werke in diesem Sinne näher eingehe. Ich werde sie nicht erklären, Sie werden von mir nicht erfahren, was sie bedeuten. Ich werde lediglich zeigen, wie man sich ihnen möglicherweise nähern kann.

Da ist zum einen die Stola, zentral platziert. Ein erster Blick sieht eine Persiflage auf eine sakrosankte kirchliche Amtskleidung. Die der beliebigen Alltagswelt entnommenen Anhängsel kontrastieren in ihrer Banalität der erwarteten „Heiligkeit“. Also: Provokation des religiösen Empfindens und freies Spiel mit den banalen Fundstücken? So einfach kann es ja wohl nicht sein. Schauen wir einfach mal hin, was wir da sehen: Da ist zunächst einmal ein langes Band aus Edelstahlblech, zweimal gefaltet, bzw. gebogen, und so an der Wad montiert, dass man sofort einen Schal, lateinisch Stola, assoziiert.Oben mittig und dort, wo die Innenseite eines Schals im Nacken des Trägers anliegen würde – was aufgrund des steifen und scharfkantigen Materials eher nicht zu empfehlen wäre - ist ein

Kreuz aus rot gefärbtem Stoff befestigt, das in seiner starken Symbolik sofort auf seine christlich religiöse Bedeutung verweist. Die gleichgroße Ausdehnung des horizontalen und vertikalen Balkens und ihre Breite verhindert aber eine eindeutige Festlegung. Und auch die blutrote Farbe bietet weitere Deutungsmöglichkeiten an.

So können wir einerseits an die christliche Erlösungslehre, entfaltet in der Kreuzestheologie, denken, andererseits aber auch gleichermaßen an das Leid, die Gewalt und die oft auch blutige Verbreitung dieser Frohen Botschaft.

Brörings Arbeit legt uns hier nicht fest. Sie fordert lediglich dazu auf, die Ambivalenz stets mitzudenken, unsere eigene Sicht der Problematik auf eine breitere Basis zu stellen. Wie bei einem Schal sind auch die beiden metallenen Enden dieser Stola jeweils mit einer Bordüre und Fransen geschmückt.

Die rechte Seite des Schals – aus unserer Sicht links – zeigt drei Reihen mit jeweils vier sowohl vorn und hinten aufgesetzten Röllchen aus Mullbinden, weiß und zum Teil mit blutroter Farbe versehen.

Wir haben es ja mit einem ordentlich gestalteten Kunstwerk zu tun.

Auf der linken Seite korrespondieren zwei Reihen kratzbürstiger Borsten – durch das Metall durchgesteckt, jeweils fünf an der Zahl.

Auch hier springt die Ambivalenz ins Auge, die unsere Assoziationen in der Schwebe hält: Verletzung, Verwundung, Gewalt, Widerborstigkeit. Und zugleich Heilung, Versorgung, Reinigung. Der Betrachter muß selbst denken und auf die jeweilige Situation reagieren.

Kommen wir schließlich zu den Fransen, zu den „Anhängseln“. Hier kann sich die „Ästhetik“ eines Schals endgültig austoben. Ja und was tobt da alles, so gemeinsam und so disparat?

Links – oder eben auch rechts – es kommt immer auf den Standpunkt an – hängen in sauber gearbeiteten Lochreihen die unterschiedlichsten Gegenstände an Bindfädchen. Ich zähle einfach mal auf und immer schön der Reihe nach – siehe sauber gestaltetes Kunstwerk:

ein Ästchen, gegabelt. Öffnung nach unten, eine Muschel, ein Ei, ein Palmwedel, Gestein, 2 Rabenfedern

Rechts (oder eben links):

Lourdeswasser, gebrauchter Pinsel, ein Getier, Jägermeisterfläschen, Säbelchen, rostiger Schlüssel

Sind wir nicht spätestens hier wieder beim Thema der Ausstellung „Lust am Spiel – Mut zur Provokation“? Möglicherweise hat die Lust am Spiel unter Inkaufnahme etwaiger Provokation zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen. Einem Künstler wie Anton Bröring hätte dies allerdings bei weitem nicht gereicht. Erst die intensive gedankliche Auseinandersetzung mit einem solchen Werk kann zur Entscheidung führen: Ja, das ist ein Kunstwerk, hinter dem ich stehe und das ich in meinem Namen der Öffentlichkeit anheimgebe.

Lassen Sie mich also am Beispiel der Fransen auch diesen letzten Schritt vollziehen und eine Annäherung an seine Entscheidung versuchen.

Ich werde es aber im Rahmen dieser Einführung Ihnen und natürlich auch mir ersparen, auf jedes Detail einzugehen, obwohl es duchaus lohnend und auch reizvoll wäre. Vielmehr möchte ich diese scheinbar beliebigen Alltagsgegenstände verorten im bereits entwickelten Bezugsrahmen der Ambivalenz der Dinge und der Sicht darauf.

Volksfrömmigkeit und Schamanismus, jede Form mythologischen Denkens und esoterischer New Wave, magische Praktiken, sie alle signalisieren ein existentielles Bedürfnis vieler Menchen, und es ist insofern sehr ernstzunehmen, denn dahinter stecken immer auch reale und die jeweils Betroffenen überfordernde Ereignisse, Nöte, Katastrophen. Verwundung und tödliche Gewalt finden täglich statt und können auch uns jedezeit treffen. Daher sind natürlich alle Heilsangebote von großer Bedeutung. Gleichwohl gilt es aber auch, ein waches Auge auf deren Gewaltpotenzial zu richten. Die Dinge sind halt einfach nicht so einfach. Da hilft nur: selbst denken.

De Künstler hat mir einige hochkomplexe Gedanken, die er persönlich mit diesen Gegenständen verbindet, erläutert. Entschuldigen Sie bitte, aber ich werde sie hier nicht weitergeben. Fragen Sie ihn allenfalls selbst, aber entscheidender sind Ihre eigenen Gedanken, denn genau darauf kommt es an, kommt es ihm an. Lassen Sie mich nach diesen, hoffentlich nicht zu ausführlichen Überlegungen zu einem zweiten wichtigen Werkkomplex Anton Brörings kommen.

Da sind diese frei im Gang hängenden Leinwände, Nesselstoffe. Kunst im Gang. Da bewegt sich was. Kunst ist immer im Gang. Sie bewegt sich.

Leinwände werden im traditionellen Kunstverständnis glattgezogen, mit Keilrahmen auch nachträglich gespannt und in Rahmen montiert. Hier hängen sie frei schwingend, aber nicht irgendwie beliebig, sondern gestaltend fixiert. Anton Bröring fixiert in seinen Arbeiten das Gestalten.

Indem das Zerknittern und Glätten zum künstlerischen Ausdrucksmittel wird, weist es über sich hinaus, wird zur Metapher unseres eigenen Alterungsprozesses. Das Falten gibt dem ausgerissenen Textil eine neue Ordnung – wir sehen es in den horizontalen und vertikalen Hauptlinien – und die informelle Knitterung belebt und individualisiert die freien Flächen.

Zarte Farbspuren, fast verborgen und äußerst sparsam, lassen erahnen, dass da noch etwas dahinter sein könnte. Und indem es sich in seiner Ästhetik positiv und akzeptierend über unseren Zerfall erhebt, gewinnt es eine tröstliche Haltung, die illusionsfrei uns in unserer existentiellen Befindlichkeit verortet. Ich merke, das sind hehre Worte, über die sich Anton Bröring sicherlich lustig machen wird. Und er hätte recht. Oder auch nicht? Sie sind gefordert, selbst zu sehen und – vor allem – selbst zu denken.

Denn: „Wer nicht denkt, fliegt raus.“

Und das ist keine Drohung, sondern eine Ermutigung!

Credits:

Alle Fotos © Frieder Zimmermann, Anton Bröring

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