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Ulrich Michael Hemmeter ANQ-Qualitätsausschuss Psychiatrie & ANQ-Expertengruppe Alterspsychiatrie

Porträt

PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich Michael Hemmeter, Chefarzt Psychiatrie St.Gallen Nord, Vorstandsmitglied Schweizerische Gesellschaft für Alterspsychiatrie und -psychotherapie (SGAP)

Ulrich Hemmeter, wie sieht Ihr Engagement in den ANQ-Gremien aus? Was interessiert Sie an dieser Arbeit besonders?

Vor drei Jahren wurde ich als Vertreter der Alterspsychiatrie in den Qualitätsausschuss Psychiatrie des ANQ gewählt. Seit 2020 arbeite ich auch in der neuen ANQ-Expertengruppe Alterspsychiatrie mit. Mich interessiert hier vor allem die Frage, wie sich die Qualität der Behandlungen in der Psychiatrie und Psychotherapie valide messen lässt. Schon früher habe ich mich damit befasst. Damals war ich wissenschaftlicher Beirat des Pilotprojekts der ANQ-Vorgängerorganisation KIQ, in dem diagnosespezifische Messungen durchgeführt wurden. Diese Messungen haben die einzelnen Erkrankungen zwar sehr gut abgebildet, aber in der Praxis waren sie durch den grossen administrativen Aufwand schwierig durchführbar. Deshalb gab es bei den Messungen viele Dropouts. Die ANQ-Messungen mit HoNOS und BSCL als diagnoseunabhängige Fremd- und Selbstratings aller Patientinnen und Patienten sind in der Umsetzung einfacher, die Datenqualität ist deshalb auch besser.

Sie haben die neue Expertengruppe Alterspsychiatrie erwähnt. Welche Überlegungen führten zur Bildung dieses Gremiums?

Die Behandlungen der psychischen Erkrankungen bei älteren Menschen weisen eine Schnittmenge mit den Behandlungen jüngerer Menschen auf, zum Teil unterscheiden sie sich aber auch deutlich von denen jüngerer Patienten. Ich denke da besonders an Delirien und die damit häufig verbundenen organischen Erkrankungen oder an Themen wie Nachlassen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, Angst vor Autonomieverlust, Einsamkeit und Übertritt ins Pflegeheim. Diese Themen spielen zum Beispiel bei Depressionen und Angststörungen im Alter eine grosse Rolle.

Die heutigen Messinstrumente werden den spezifischen Anforderungen an die Behandlung in der Alterspsychiatrie nicht immer gerecht: Es gibt viele Patientinnen und Patienten, denen das Ausfüllen eines Fragebogens wie der BSCL-Checkliste nicht oder nur eingeschränkt möglich ist. Die ANQ-Expertengruppe hat die Aufgabe, diese Problematik zu untersuchen. Wir prüfen, welche Elemente für die Behandlungsqualität in der Alterspsychiatrie zentral sind und wie diese pragmatisch und ohne grossen zusätzlichen administrativen Aufwand gemessen werden könnten.

Was ist Ihnen bei der Analyse der Messergebnisse besonders wichtig?

Das Ergebnis der Outcome-Messungen kann nicht einfach mit der Gesamtqualität einer Klinik gleichgesetzt werden. Die ANQ-Messungen geben nur Teilaspekte wieder. Dass der ANQ bei der Ergebnispublikation explizit auf diesen Punkt hinweist, finde ich ganz wichtig. Diese Unterscheidung braucht es auch bei der klinikinternen Analyse. Es ist nicht alles perfekt, nur weil die Messergebnisse über dem erwarteten Wert liegen. Das gilt natürlich auch für den umgekehrten Fall. Wie die Daten erhoben und erfasst werden, ist für mich ebenfalls ein zentraler Punkt. Sind die Daten einer Klinik exakt und vollständig, ist das ein erstes und wichtiges Qualitätsmerkmal.

«Erhebt eine Klinik die Daten exakt und vollständig, ist das ein erstes und wichtiges Qualitätsmerkmal.»

Die Covid-19-Pandemie prägte das Jahr 2020. Inwiefern veränderte sich Ihre Arbeit?

Die Besuchs- und Ausgangsverbote hatten im stationären Bereich massive Auswirkungen. Die Bewegungsfreiheit der Patientinnen und Patienten war stark eingeschränkt, das Therapieangebot reduziert. Trotzdem benötigten wir mehr personelle Ressourcen. Zudem kam es – vor allem in der zweiten Welle – beim Personal zu Ausfällen. Im ambulanten Bereich setzten wir vermehrt auf Online-Behandlungen.

Die Arbeit in den ANQ-Gremien veränderte sich weniger stark. Die Sitzungen fanden teilweise via Bildschirm statt. Das funktionierte gut. Nur die informellen Gespräche am Rande dieser Sitzungen kamen leider zu kurz.

2020 konnten die Ergebnisse der Forensischen Psychiatrie erstmals transparent veröffentlicht werden. Gibt es schon bald weitere Neuerungen?

Genau, die Werte der Forensischen Psychiatrie wurden erstmals separat als neuer vierter Kliniktyp ausgewiesen. Derzeit in Planung ist die Ausweitung der Messungen auf den tagesklinischen Bereich. Der ANQ-Vorstand bewilligte 2020 ein entsprechendes Pilotprojekt.

Wie sollten sich die Messungen in der Psychiatrie weiterentwickeln?

Die ANQ-Messungen sollten künftig möglichst viele Qualitätsaspekte der Behandlungen abdecken. Dies setzt aber voraus, dass die Messungen die Kliniken nicht übermässig belasten. Meines Erachtens sollten wir dafür auch die bestehenden Daten noch besser nutzen. Zudem benötigen wir zusätzliche Indikatoren wie zum Beispiel die Wiedereintrittsrate bei chronischen Erkrankungen oder die Zahl der Patienten, die wieder in den Alltag oder den Beruf integriert werden könnten.

Die Outcome-Messungen werden die Qualität der Behandlungen nie vollständig erfassen können, aber sie sollten möglichst viel davon abbilden.

«Die ANQ-Messungen sollten möglichst viele Qualitätsaspekte der Behandlungen abdecken.»

Ulrich Michael Hemmeter ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit den Schwerpunkten Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie sowie Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie. Zudem ist er Träger des Fähigkeitsausweises für Schlafmedizin. Nach seinem Psychologie- und Medizinstudium in Giessen absolvierte er die weitere Aus- und Weiterbildung an den Universitätskliniken Giessen, Freiburg, Basel und Marburg sowie am Max Planck Institut für Psychiatrie München. Heute ist er Chefarzt Alters- und Neuropsychiatrie und Mitglied der Geschäftsleitung der Psychiatrie St.Gallen Nord.

Bilder: © Geri Krischker / ANQ