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Exoten im Unisport Teil 1: Contact Improvisation

Text: Pia Sautter, Bilder: Zur Verfügung gestellt von Iris Paffen und Iraeneus Wolff, Layout: Pia Sautter

Wer einen Blick in das Hochschulsportprogramm wirft, stößt neben den altbewährten Klassikern auf Sportarten, die äußerst ungewöhnliche Bezeichnungen haben. Zumindest für mich hören sich Namen wie Lindy Hop und Kung Jung Mu Sul an, als würden sie zu Personen mit sehr schrägen Frisuren und schriller Persönlichkeit gehören. Ich habe zwei exotische Kurse besucht und am eigenen Leib erfahren, was hinter den abenteuerlichen Namen steckt.

Contact Improvisation

Auch diese Bezeichnung lässt zunächst Raum für viel Interpretation. Kontakt mit was oder mit wem? Und wo findet hier die Improvisation ihren Platz, wo doch die meisten Sportarten von einem klaren Regelwerk leben? Ich lasse mich überraschen und betrete ganz nach der Devise „learning by doing“ das Uni-Gym.

Die Basics: Die Contact Improvisation fand ihren Ursprung in den USA der frühen 70er-Jahre. Besonders die Choreographen Steve Paxton und Nancy Stark Smith waren an der Entwicklung dieser postmodernen Tanzform beteiligt, Zwei oder mehrere Tänzer lassen sich mithilfe von physikalischen Prinzipien leiten- mal sanft, mal wild.

Der Raum unterhalb der Mensa ist überschaubar, draußen ist es schon dunkel und es fühlt sich an, als wäre die Universität meilenweit entfernt. Kursleiterin Iris und Kollege Bernhard sind schon da und geben einen Vorgeschmack darauf, wie das Ganze aussieht, wenn man es auch wirklich kann. Die fließenden, akrobatischen Bewegungen und die Ruhe, die die Beiden ausstrahlen‚ lassen mein „Hallo“ unangenehm laut wirken. Als alle da sind, gibt es eine kleine Vorstellungsrunde. Wie Isabell sind die meisten hier Anfänger. Lisa hat schon Erfahrungen mit der Sportart gemacht und Sonja war sogar auf dem jährlich in Freiburg stattfindenden „contactfestival“. Anfangs betont Iris, wie wichtig es ist, dass sich hier jeder wohlfühlt:

„Niemand muss etwas machen, das er nicht möchte. Hier geht es nicht um Konkurrenz sondern darum, herunterfahren zu können, den Körper und die Seele intensiv zu erfahren.“

Bevor wir in Kontakt zu anderen treten können, müssen wir also erst einmal Kontakt zu uns selbst aufnehmen. Wir sitzen im Kreis und konzentrieren uns auf einzelne Körperteile indem wir sie leicht bewegen. Iris leitet uns mit ruhiger Stimme an, manche haben die Augen geschlossen. Aus dieser Aussage kann der aufmerksame Leser unschwer schließen, dass meine geöffnet sind. Es fällt mir nicht leicht, nach einem stressigen Unitag abzuschalten. Wir bewegen erst unsere Finger, dann die Hände, dann die Arme bis unser gesamter Oberkörper involviert ist. Ich schaue in die Runde und beobachte die teils schmetterlingsartigen, teils quallenähnlichen Impulse.

Nach weiteren Aufwärmübungen geht es nun darum, den Kontakt zum Boden zu stärken: Wir schieben die Hände zwischen Boden und Steißbeinknochen, gehen in den Vierfüßler, sollen wie kleine Kinder nur unsere Arme benutzen und herumrobben.

„Dieser Bewegungsablauf ist ganz ursprünglich und in allen von uns eingespeichert“,

sagt Iris. Das Ganze fühlt sich erst an wie eine Mischung aus Geburtsvorbereitungskurs und Krankengymnastik, aber je länger das Gehirn Zeit hat abzuschalten, desto eher stellt sich ein fast meditativer Zustand ein.

Um das Gruppengefühl zu stärken, stellen wir uns in einen Kreis. Wenn Iris in die Hände klatscht, müssen wir möglichst zeitnah und synchron das Gleiche tun. Mit offenen Augen klappt das gut, mit geschlossenen wird es deutlich schwerer. Konzentration, Intuition und Teamarbeit spielen bei der Contact Improvisation eine wichtige Rolle, es geht immer um actio und reactio. Im Laufe des Kurses nutzen wir den Raum stärker. Wir laufen durcheinander; mal wird das Tempo erhöht, mal der Abstand verkleinert. Dabei lässt auch der erste kleine Crash nicht lange auf sich warten. Wie kleine Ameisen wuseln wir umher und suchen uns Lücken, und ich stelle mir vor, wie lustig das im Zeitraffer aussähe. Ich habe Zeit, die anderen zu beobachten, mir ihre Gesichter zu merken und mir fällt auf, an wie vielen Menschen wir täglich vorbeigehen ohne sie zu registrieren. Dann gehe ich meine Einkaufsliste im Kopf durch und endlich beginne ich mich wieder von all den nervigen Gedanken zu lösen.

Nun erkunden wir verschiedene Raumebenen: Liegen, gehen, purzeln, krabbeln, gehen, rollen, strecken, gehen...Jedes Tempo, jeder Einfall, jede Drehung, jede Pause ist erlaubt. Ein Teilnehmer geht die zum Raum führende Treppe hinauf, eine Teilnehmerin balanciert auf einer Bank an der Seite. Am Anfang der Übung ist es leise, man hört nur Schritte, Atem und vereinzelt Gelenke knacken; dann wird Musik angemacht. Für die letzte Übung bilden wir Paare. Die einzige Bedingung ist der ständige Kontakt über unsere Zeigefinger. Kleine Tänze entstehen aus den improvisierten Bewegungsabfolgen. Dabei ist nicht vorgegeben, wer führt; die Wechsel sind fließend.

In der abschließenden Reflexionsrunde sagt Bernhard treffend:

„Es ist schön, sich auch mal führen zu lassen und nicht wie oft im Alltag das Gefühl zu haben, alles im Griff haben zu müssen.“

Bei der Contact Improvisation bewegen sich die Herausforderungen in einer anderen Dimension als bei vielen anderen Sportarten. Neben körperlichen Fertigkeiten geht es auch um Fragen der persönlichen Grenzen: Wie sehr lasse ich mich fallen? Wie nahe lasse ich eine Person? Auch Selbsterfahrung und Loslassen kann anstrengend sein. Es kann bedeuten, sich in Positionen zu begeben, die sich ungewohnt oder sogar lächerlich anfühlen. Der Sport ist wahrscheinlich nichts für Menschen, die Adrenalinkicks brauchen oder sich gerne beim Wettkampfsport verausgaben. Aber wer eine Alternative zum Beispiel zu Yoga, Jazz oder Ballett sucht, oder einfach einen Ausgleich zum (Uni)-Alltag braucht, der begebe sich in die unterirdischen Gänge zum Uni-Gym.

Created By
Campuls Hochschulzeitung
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