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Der etwas andere Gottesdienst Ein Blick hinter die Kulissen der Hillsong Church

Dieser Artikel erschien bereits in der zweiten Campulsausgabe im Sommersemester 2017:

Text und Bilder: Nicolai Eckert; Layout: Theresa Gielnik

Dass es in Konstanz eine Gemeinde gibt, die auf moderne Art und Weise ihren Glauben praktiziert, ist hinlänglich bekannt. Viele Meinungen und Geschichten kursieren an der Universität über diese Kirche. Doch wie gestaltet sich ein Gottesdienst in der Hillsong Church?

Es ist Sonntagmorgen: Die Stadt ist ruhig, trotz dem wunderbaren Wetter bewegen sich nur wenige Menschen in Konstanz umher. Doch in der Schneckenburger Straße, nördlich der Gleise nahe der Seehaashaltestelle Petershausen, stechen dem morgendlichen Flaneur Menschengruppen ins Auge, die sich auf dem Weg zur Hillsong Church befinden. Es sind vermehrt junge Menschen, modisch gekleidet und mit einem vergnügten Lächeln auf den Lippen, die sich vor dem Eingang der ehemaligen Fabrikhalle versammeln. An der beinahe 50 Meter langen Fassade lehnen Fahrräder in zwei Reihen, ehrenamtlich tätige Gemeindemitglieder mit Warnwesten bekleidet, weisen die ankommenden Autos in die umliegenden Parkplätze ein. Ein großer Schriftzug über dem Eingang markiert unmissverständlich den Ort: „Hillsong Church“. Hinter den gläsernen Türen auf der Rückwand des Eingangsportals steht in ebenso großen Lettern „Welcome Home“ geschrieben, und mit eben diesen Worten wird an diesem Morgen jeder Besucher begrüßt. Meist in Verbindung mit einem Handschlag oder einer Umarmung. Der Großteil der Anwesenden hier ist sich vertraut. Um „Neue“, wie Menschen genannt werden, die noch nicht in der Gemeinde aktiv oder zum ersten Mal da sind, wird sich stark gekümmert. Fragen werden ohne Umschweife beantwortet, und die „Neuen“ werden ohne Skepsis in die Kirche geleitet.

„Kommt herein! Ja klar, schaut euch gerne alles an, ihr seid sehr willkommen!“,

sagt ein Mann mittleren Alters mit Glatze enthusiastisch zu den schüchtern herumstehenden Neuankömmlingen. Auf seinem schwarzen T-Shirt prangt ebenfalls der Hillsong Schriftzug.

Im hinteren Teil der Kirche befindet sich ein Café und weiß angestrichene, schlichte Möbel, die sich wie selbstverständlich in die raue Ästhetik der ehemaligen Fabrikhalle einfügen, laden zum Hinsetzen ein. Alles passt zusammen. Man erkennt das Bestreben der Betreiber, hier eine ganz eigene, hippe Atmosphäre zu erzeugen. Ein Blick an die hohe Decke des Saals verrät auf den zweiten Blick, dass sich die Hillsong Church trotz aller Modernität an klassischen Sakralbauten orientiert hat. Die Halle ist wie eine zweischiffige Basilika strukturiert. Ein hohes Mittelschiff, bestuhlt und mit einer Tribüne versehen, bildet den Hauptraum. Zwei Seitenschiffe dienen als Ein- und Ausgang. In der Apsis befindet sich eine voll ausgestattete Bühne. Schlagzeug, Keyboard, Mikrofone, Gitarre, Bass, Verstärker und Boxen stehen hier bereit und wollen gespielt werden. Über der Bühne thront eine riesige Leinwand, in den Seitenschiffen ist entsprechend dazu jeweils ein großer Bildschirm angebracht, wie man ihn sonst nur aus öffentlichen Live-Übertragungen von Fußballspielen kennt. Der herkömmliche Flügelaltar wird hier zum Übertragungsort des Gottesdienstes und erleichtert so dem Teilnehmenden das Verfolgen der Ereignisse. Es ist nicht mehr die Aufgabe des Einzelnen, konzentriert dem Verlauf der Veranstaltung zu folgen, die immense Medienpräsenz nimmt dem Besucher diesen Teil ab. Visuelle und auditive Medien spielen generell eine große und tragende Rolle.

Eingeleitet werden die Gottesdienste, von denen sonntags drei an der Zahl abgehalten werden, mit einigen Liedern, die an sich auch als Popsongs gelten könnten. Sie sind nach dem Muster Intro – erste Strophe – Refrain – zweite Strophe – Bridge – Refrain aufgebaut. Anfangs meist ruhig und eingängig, gipfeln sie gegen Ende in einem pompösen Höhepunkt, und werden im Abschluss von einer gefassten Coda ausgeleitet. Die Wirkung dieser Lieder ist nicht zu übersehen: Gleich einem Rockkonzert erheben sich die Menschen von ihren Stühlen, sie klatschen und bewegen sich im Takt der Musik. Auf den ersten Blick ist kein Unterschied zu einer Menschenmenge bei einem Festival zu erkennen. Doch gerade die Gesten der Feiernden und der Text zur Musik fallen auf. Diese professionell abgemischten und inszenierten Lieder sind Gebete, an die jeder Einzelne auf seine eigene Art und Weise herantritt. Einige erheben still die Hände über den Kopf, andere Tanzen gefasst und weitere bewegen sich wild, wie in Ekstase zur Musik, während sie laut mitsingen. Die Texte sind voller Lobpreisung, ja vermitteln alle beinahe die selbe Botschaft:

„There’s no darkness in Your eyes / There’s no question in Your mind / God almighty / God of mercy / There’s no hiding from Your face / There’s no striving in Your grace / God of mercy / God almighty“

lautet beispielsweise die erste Strophe des Liedes „Let there be light“. Davon unterscheiden sich inhaltlich die Texte anderer Stücke wie „What a beautiful name“ wenig:

„You were the word at the beginning / One with God the Lord Most High / Your hidden glory in creation / Now revealed in You our Christ“.

Die Lobpreisung von Jesus und Gott steht augenscheinlich im Mittelpunkt. Das wird auch in den Predigten klar. Auf Deutsch wird der Gemeinde vermittelt, Vertrauen in Gott zu haben. Es sei dieses Vertrauen, das Ehe, Freundschaft und Familie zusammenhalten würde als die essentiellen Bestandteile des sozialen Lebens. So ruft es Pastorin Nine Madlener, eine schlanke junge Frau mit langen braunen Haaren und einem Permanentlächeln im Gesicht und glücklich-überzeugter Stimme ins Mikrofon.

„Es ist genial, dass ihr alle heute hier seid!“

Und ‚genial‘ scheint alles rund um Kirche, Jesus, Gott und Gemeinde zu sein, denn das Wort fällt auffallend häufig. Ebenfalls auffallend sind die häufigen Zwischenrufe der Anwesenden, welche die Predigt den ganzen Morgen begleiten. Mal vereinzelt und mal im Chor erschallen teils zurückhaltende, teils laute und selbstbewusste Zustimmungen. Mit „Ja!“ oder „Amen!“, „Genau!“ oder „Richtig!“ wird der Gottesdienst von der Gemeinde getragen. Predigt wie Musik finden ungeteilte Aufmerksamkeit bei den Zuhörern.

Doch nicht nur theologische Themen sind Inhalt der morgendlichen Veranstaltung. Das mehr als weltliche Thema ‚Geld‘ wird ebenso angesprochen. Auch die Hillsong Church in Konstanz müsse sich finanzieren.

„Ihr investiert in so viele andere Dinge eures Lebens wie Partys, Kleidung oder Ausflüge. Warum dann nicht in das investieren was ihr am meisten liebt? Ich investiere in Jesus und seine Kirche, in unsere Kirche und gebe den Zehnten“,

sagt Joanna Haverkamp, die zusammen mit ihrem Mann Freimut die leitende Pastorin von Hillsong Konstanz ist.

Die zentrale Predigt im Mittelpunkt des Gottesdienstes wird schließlich von Pastor Jason, einem Gastredner aus Schottland, gehalten. Dem Publikum werden iPods angeboten, über welche seine Rede in deutsche Sprache übersetzt wird. Dadurch haben auch die jüngeren unter den Anwesenden Zugang zu seinen Worten. Ein charismatisch wirkender Mann mit blonden Haaren und in weißem Hemd betritt begleitet von frenetischem Applaus die Bühne. Seine sorgsam einstudierte emotionale Predigt wird durch große Gesten getragen. Jeder Schritt und jede Armbewegung sitzt perfekt. Die Menge folgt ihm und seinen Worten genau; dieser Mann weiß wie er die Gemeinde anspricht und in seinen Bann zieht. Am Ende wird ihm von Nine Madlener sogar „eine prophetische Gabe“ zugesprochen. Mit

„I just pray right now, for an understanding and a revelation of who Jesus is“

schließt er seine Predigt über Buße, Gedanken und Glauben. Die Abmoderation übernimmt wieder Nine Madlener und spricht zusammen mit der Gemeinde ein Gebet, welches ein zentrales Bekenntnis der Gläubigen darstellt:

„Hey Jesus! Danke, dass du mich liebst. Danke, dass du für mich gestorben bist und für mich auferstanden bist. Hey Jesus, komm in mein Herz und vergib mir meine Schuld. Sei du mein Gott, sei du mein Retter und sei du mein Herr. Ab heute Morgen bin ich Christ und folge dir nach für den Rest meines Lebens. Im Namen von Jesus, Amen.“

Diese Zeilen verdeutlichen gut den Konsens dieser Veranstaltung: Es wird für den unbeteiligten Beobachter schnell klar, dass speziell Jesus viel Lobpreisung zukommt, dass es die Aufgabe jedes Einzelnen sei, sein Leben ihm zu widmen, eben für den Rest des irdischen Lebens. Dieser Weg, also der Weg des Lebens, sei einfacher in Gemeinschaft zu beschreiten. Aussagen wie diese werden, wie es scheint, von allen Anwesenden widerspruchslos angenommen. Doch wer sind diese Menschen die sonntags dort in die Kirche gehen? Wie eingangs beschrieben vermehrt junge Menschen. Studierende befinden sich auch unter ihnen. Wie zum Beispiel Miriam Braun, die seit ihrer Kindheit bereits einer freien evangelischen Gemeinde zugehörig ist. Über die Podcasts von Predigten der Pastoren der Hillsong Church in Konstanz sei sie schlussendlich auf diese aufmerksam geworden und besuche seit Oktober vergangenen Jahres** die Gottesdienste am Sonntag, wann immer es ihr möglich ist, auch da sich die Hillsong Church ebenfalls als freikirchlich evangelisch versteht.

„Es gibt eigentlich keine Kirche, in der ich mich bisher so wohl gefühlt habe wie dort. Im Gottesdienst kann ich immer sehr viel mitnehmen, auch wenn mir manchmal der mediale Einsatz während des Gottesdienstes etwas zu viel ist, aber nichts muss perfekt sein“,

meint sie zusammenfassend zu den allwöchentlichen Veranstaltungen. Linda Plettenberg*, ebenfalls aus Konstanz, ist dagegen zum ersten Mal hier im Gottesdienst und möchte es erst einmal bei diesem einen Mal belassen. Sie zieht aus ihren Erlebnissen im Gottesdienst folgendes Resümee:

„Ich glaube ich bin einfach nicht der Typ für die Hillsong Church. Ich denke es gibt auch bei Christen verschiedene Arten, so verschieden wie Menschen eben auch sind. Auch muss ich gestehen, dass mir die Predigten in der Church nicht bibelfundiert genug sind. Sie sind mir zu phrasenreich, zwar affektiv und mit guten Ratschlägen und Bildern aufgeladen, aber nicht richtig vom Wort Gottes ausgehend, sondern so ein bisschen zusammengebrodelt aus christlichen Werten und eigenem Gedankengut.“

Es ist selbstverständlich, dass sich eine Vielzahl an Personen eine Vielzahl an Meinungen bildet, auch wenn die Hillsong Church in Konstanz bemüht scheint, jeden Besucher in die Gemeinde aufzunehmen. Schlussendlich obliegt die Entscheidung, auf welche Art und Weise Glauben gelebt, oder auch nicht gelebt wird, jedem selbst. Es ist allerdings eine Frage des Anstands, den Glauben dritter zu akzeptieren. Die innerste Überzeugung des Einzelnen in einer freien Gesellschaft, in der jedermann das Recht besitzt, den Glauben seiner Wahl auszuüben, ist und bleibt ihm selbst vorbehalten.

*Name von der Redaktion auf Wunsch geändert.

** Oktober 2016

Infokasten:

Die Hillsong Church wurde 1983 von Pastor Brian Houston unter dem Namen ‚Hills Christan Life Centre‘ in Australien im Hills District von Sidney gegründet und zählt zu einer Strömung der Pfingstbewegung. Noch heute befindet sich in Sidney die Hauptkirche der Glaubensgemeinschaft. International bekannt wurden sie vor allem durch ihre Gottesdienste, die mit Pop- und Technomusik gestaltet werden. Gemeinden sind heute auf der ganzen Welt verstreut zu finden: In Stockholm, Amsterdam, Moskau, New York, Johannesburg und eben auch in Konstanz. Vor 13 Jahren gründeten Joanna und Freimut Haverkamp hier die ‚Lakeside Church‘. Zu Anfang traf sich die Gemeinde für ihre Gottesdienste noch im K9 an der Laube. 2009 siedelten sie dann in die ehemalige Ziegelfabrik in Petershausen um, da das K9 der wachsenden Gemeinde nicht mehr ausreichend Platz bot. Erst 2011 gliederte sich die Lakeside Church offiziell in die Bewegung aus Australien ein und wurde in Hillsong Church umbenannt. Sie war somit der erste Standort der Hillsong Church in Deutschland, heute sind Tochtergemeinden in Zürich, München und Düsseldorf zu finden. An Sonntagen verzeichnet die Hillsong Church Germany an allen Standorten eine durchschnittliche Besucherzahl von rund 2.500 Personen, ca. 1200 davon sind allein in Konstanz zu finden. Die freie Kirche gehört dem Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) an.

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