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Ein geschichtsträchtiges Lokal blickt in die Zukunft Zürcher Kultbeiz «Cooperativo»

Die Italienische Genossenschaft Zürich und das Restaurant «Cooperativo» wurden 1905 von einer Gruppe italienischer Einwanderer gegründet. Das Lokal war immer im Zürcher Kreis 4 angesiedelt, einem ehemaligen Arbeiterquartier. Der Präsident der Genossenschaft, Andrea Ermano, führt das historische Lokal nun in eine neue Phase.

Text: Barbara Burzi; Fotos: Italienische Genossenschaft Zürich, Klaus Rozsa und Barbara Burzi

Das Restaurant «Cooperativo» in Zürichs Arbeiterquartier Kreis 4, gemeinhin als «Coopi» bekannt, stellt ein Stück Geschichte der italienischen Einwanderung in die Schweiz dar. Das Lokal war Treffpunkt für viele Exilanten und Migranten, die die Kooperative besuchten, um zu erschwinglichen Preisen zu essen und neue Freunde in einem Land zu finden, in dem sie sich oft einsam fühlten. Das «Coopi» wurde am 18. März 1905 auf Initiative einer Gruppe von Arbeitern und Intellektuellen als Gewerkschaftslokal gegründet, um einen Ort zu haben, an dem sie sich treffen und organisieren konnten. Die Idee war, ein Restaurant zu schaffen, in dem italienische Arbeitnehmer ihre Probleme frei diskutieren konnten, ohne Verpflichtung, etwas zu konsumieren. Minestrone wurde gar jedem Gast kostenlos serviert, wie im Buch «Tschinggeli» des Tessiner Journalisten Dario Robbiani nachzulesen ist. Das Buch schrieb er 2005 zum 100-Jahr-Jubiläum dieses historischen Treffpunkts von Anarchisten, Staatsmännern, Revolutionären und reformorientierten Sozialdemokraten. In kurzer Zeit wurde das «Coopi» zu einer Ideenschmiede für politische Projekte und unter der Führung von Ignazio Silone zum Zentrum des antifaschistischen Widerstands im Exil und später mit Ezio Canonica zu einem Zentrum zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit.

Lara Robbiani, Tochter des «Tschinggeli»-Autors Dario Robbiani, präsentierte im «Coopi» die neue Ausgabe des Buchs, das ihr Vater 2005 erstmals veröffentlicht hatte. (Foto: Italienische Genossenschaft Zürich)

Foto links: Das Restaurant «Cooperativo» im Jahr 1913 in der Zürcher Militärstrasse im Kreis 4. (Foto: Italienische Genossenschaft Zürich)

Foto oben: Titelseite von «L'Avvenire dei Lavoratori», der Name der Zeitschrift, die 1899 von italienischen Einwanderern gegründet wurde, war anfangs im Singular gehalten. Foto unten: «Coopi»-Mitarbeiter vor dem Lokal im Jahr 1930 (Fotos: Italienische Genossenschaft Zürich)

Drei Kellner des «Coopi», Flüchtlinge aus der damaligen Tschechoslowakei, nach dem Fall der Berliner Mauer, zirka 1990 (Foto: Klaus Rozsa).

Berühmte Namen

Es ist schwer vorstellbar, dass die Politiker Benito Mussolini und Wladimir Iljitsch Lenin am selben Ort verkehrten. Doch am 1. Mai 1913 trafen sie sich in der Genossenschaft, als der spätere italienische Diktator, der noch Chefredaktor der Tageszeitung «Avanti!» war, in Zürich die offizielle 1.-Mai-Rede hielt. Vier Jahre später, am 9. April 1917, warteten Lenin und sein Gefolge im Sitzungsraum des «Coopi», bevor sie in den Zug nach St. Petersburg einstiegen. Die Redaktion der Zeitschrift «L’Avvenire dei Lavoratori» (ADL), in der Staatsmänner wie Pietro Nenni, Sandro Pertini und Giuseppe Saragat ihre Schriften gegen die Mussolini-Diktatur publizierten, war schon immer Teil der Genossenschaft.

Weitere berühmte Personen, die im Restaurant ein und aus gingen, waren der deutsche Dramatiker Bertolt Brecht, der Schriftsteller Ignazio Silone, der Schweizer Schauspieler und Regisseur Ettore Cella und der Autor und Architekt Max Frisch, der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder sowie die Schweizer Bundesräte Ernst Nobs, Moritz Leuenberger, Ruth Dreifuss und Simonetta Sommaruga.

Ein Fest der Zürcher SP im «Coopi»-Versammlungsraum, zirka 1990: Ursula Koch, damalige Vorsteherin des Hochbaudepartements, und Josef Estermann, damaliger Stadtpräsident von Zürich (Foto: Klaus Rozsa).

Der neuste Umzug, Wettbewerb und Relaunch

Das Restaurant «Cooperativo» an der St.-Jakob-Strasse 6. (Foto: Barbara Burzi)

Seit 2008 befindet sich das «Coopi» in der Nähe des Stauffachers an der St.-Jakob-Strasse 6 im Kreis 4. «Nach dem letzten Umzug haben wir uns mit der Umstrukturierung des Restaurants und den ADL-Ausgaben auseinandergesetzt», erklärt Andrea Ermano, seit 2002 Genossenschaftspräsident. «Die Kündigung des Mietvertrags an der Strassburgstrasse 5 erfolgte aufgrund einer Erhöhung der Miete auf 200 000 Franken pro Jahr.» Dies und die Liberalisierung des Gastgewerbes, die in den frühen 2000er-Jahren zu einer starken Zunahme der Anzahl Gastronomiebetriebe in Zürich führte, stellten das Überleben des «Coopi» auf eine harte Probe. Nach mehr als einem Jahrhundert Tätigkeit an fünf Standorten ist die Genossenschaft bereit für eine neue Herausforderung: «Jetzt möchten wir die Leitung des Restaurants einer Gruppe von Gastronomen anvertrauen, die in der Lage ist, die Tradition der italienischen Küche weiterzuführen und den sozialen Charakter des ‹Coopi› auf der Grundlage von Echtheit und erschwinglichen Preisen zu bewahren.»

Foto links: «Sonntag» ist ein Ölgemälde des Tessiner Malers Mario Comensoli aus dem Jahr 1954 und stellt ein typisches Landfest von Arbeiterfamilien dar (Foto: Italienische Genossenschaft Zürich)

Am Tisch mit der Geschichte

Das Restaurant bietet derzeit zehn Teilzeitstellen und rund hundert Plätze für die Gäste an. Die Speisekarte umfasst Vorspeisen, erste Gänge, Hauptgänge und Pizzen, die streng nach italienischer Tradition zubereitet werden. «Die Büsten von Dante Alighieri und des Politikers und Juristen Filippo Turati unterstreichen die Treue zu den Idealen von Humanismus, Gerechtigkeit und Freiheit», erklärt Ermano. Neben den Porträts des deutschen Philosophen Karl Marx, des Opfers des Faschismus Giacomo Matteotti, des legendären Arbeiters Pietro Bianchi und der Frauenrechtlerin Angelica Balabanoff hängen an den Wänden die Meisterwerke des Malers Mario Comensoli, der im «Coopi» zu Hause war. Sie erzählen von der italienischen Einwanderung in die Schweiz.

Foto links: «Drei Mädchen mit einem jungen Arbeiter» ist ein Gemälde des Tessiner Malers Mario Comensoli, der eine Reihe von Bildern schuf, die von der italienischen Einwanderung in die Schweiz erzählen. Foto rechts: Das Bild ziert eine Wand im «Coopi» in der Zürcher St.-Jakob-Strasse. (Fotos Italienische Genossenschaft Zürich und Barbara Burzi)

Andrea Ermano wurde 1957 in Tolmezzo, Italien, geboren und ist schweizerisch-italienischer Doppelbürger. Er lebt und arbeitet seit 1978 in Zürich. Er ist ehemaliger Dozent für Philosophie sowie Autor und Übersetzer. Seit 1996 leitet er die Editionen der «L’Avvenire dei Lavoratori», die neben einem wöchentlichen Newsletter regelmässig Bücher publiziert. (Foto: Barbara Burzi)

Impressum: Konzept, Text und Produktion: Barbara Burzi – Fotos: Die Italienische Genossenschaft Zürich, Klaus Rozsa und Barbara Burzi – Textübersetzung: Iwon Blum – Multimediacoaching: Simone Gloor - Gesamtverantwortung: Robert Hansen, Chefredaktion – redaktion@derarbeitsmarkt.ch – www.derarbeitsmarkt.ch