Ein "Greenhorn" gibt Vollgas Faszination Stock-Car: Ein TAg mit einem Neueinsteiger

"Stock-Car" kann in Luxemburg auf eine langjährige Tradition zurückblicken. Es ist waschechter Rennsport - der auch mit einem kleineren Budget zugänglich ist. Für eine Teilnahme in der offenen Klasse reicht es, ein fahrtüchtiges Auto zu haben, das nur minimal verändert werden darf. Vorrangig gilt es beim Umbau den Fahrer zu schützen. Beispielsweise, indem der Wagen mit einem Überrollkäfig verstärkt und der Benzintank gut geschützt in die Fahrgastzelle verlegt wird. In der Spitzenklasse werden aber auch schon mal 25.000 Euro in einen selbst aufgebauten Rennwagen mit leistungsstarkem Motor und vollverstärkter Karosserie investiert.

"Stock-Car" ist entgegen seinem Ruf weit mehr als nur "Knuppautoen" für Erwachsene. Es ist Rennsport mit klaren Regeln. Über Sieg und Niederlage entscheidet die Punktzahl, die Fahrer während einem zwölfminütigen Lauf auf dem auf nacktem Boden angelegten Rundkurs erzielen. Punkte gibt es für jede gefahrene Runde. Darüber hinaus gibt es Punkte dafür, einen Konkurrenten durch gezielte Berührung dazu zu bringen, dass dessen Fahrzeug sich querstellt, umkippt oder sich überschlägt.

In den 1970er-Jahren waren "Stock-Car"-Rennen in Luxemburg wahre Volksfeste. Heute ist es eine Randsportart, die ums Überleben kämpft. Wenn helfende Hände fehlen und Zuschauer fernbleiben, dann wird es zunehmend schwieriger Rennveranstaltungen auf die Beine zu stellen. Doch es gibt Hoffnung, und die wird von jenen getragen, die sich seit Jahren mit viel Herzblut und Hingabe ihrem Automobilsport widmen.

Wir werden einen Neueinsteiger, ein sogenanntes "Greenhorn", einen ganzen Renntag lang begleiten. Auch wenn der reine Spaß im Vordergrund steht, wird es ein sehr langer und anstrengender Tag mit viel Nervenkitzel sein.

Guy Pelletier ist 49 Jahre alt, als er in diesem Jahr zum ersten Mal in einen eigenen Rennwagen steigt. Dabei war ihm "Stock-Car" eigentlich in die Wiege gelegt. Denn als er noch ein kleiner Junge war, waren seine Onkel bereits Legenden in der Luxemburger "Stock-Car"-Szene. Auch heute ist der Name Pelletier noch sehr eng mit diesem ganz besonderen Rennsport verbunden: Seine Cousins sowie deren Familien und Freunde brennen für die Rennen in Staub und Schlamm.

Für die Pelletiers beginnt der Renntag bereits gegen 8 Uhr am Morgen, obwohl der Wettkampf erst am Nachmittag stattfinden wird. Ihre Rennwagen stehen im nahen deutschen Grenzgebiet. Guy fährt einen für die Einsteigerklasse umgebauten alten BMW der 5er Serie.

An diesem Morgen ist er etwas nachdenklich. Sohn Loris ist immer voller Begeisterung mit dabei. Tochter Lena hingegen findet das neue Hobby ihres Vaters weit weniger toll. "Sie macht sich immer Sorgen, dass mir etwas passieren könnte", meint Guy. Durch seine Familie war er eigentlich immer schon am "Stock-Car" interessiert. Den Schritt in den Rennwagen hat er dennoch erst jetzt gewagt. "Mein Vater war immer strikt dagegen", erzählt der 49-Jährige. "Alle durften fahren, nur ich nicht."

Nun hat ihm einer seiner Cousins einen Wagen vorbereitet und der letzte Widerstand war schnell gebrochen. Es war auch nicht nur das Renngeschehen, das ihn dazu gebracht hat, sich doch noch hinters Steuer zu setzen. "Die Rennen werden von langer Hand vorbereitet, es wird geschraubt und es wird gebastelt", erzählt er. "Alle fassen mit an. Die Solidarität und Kollegialität beim 'Stock-Car' ist beeindruckend."

An Guys Wagen sticht ein Detail ins Auge: An der Vorderseite des BMW steht eine römische Ziffer. Darauf angesprochen, grinst Guy etwas verschmitzt. Erst auf weiteres Nachhaken rückt er mit der Sprache heraus. "Das ist meine ganz persönliche Wette", lacht er. "Beim 'Stock-Car' laufen immer irgendwelche Wetten. Diese römische Zahl entspricht der Startnummer eines Konkurrenten, den ich heute ganz besonders im Visier habe". Warum? "Weil der Fahrer mit dieser Nummer bei meinem ersten Rennen mir gegenüber nicht ganz fair war."

Im Korso bricht der Familientross dann nach Hellingen auf. Hier steht der zweite von vier Renntagen der aktuellen "Stock-Car"-Saison an.

In Hellingen ist es sehr laut. Die Motoren dröhnen. Im Fahrerlager wird an allen Ecken und Enden gebastelt und unüberhörbar gefachsimpelt.

Gelegenheit für Guy uns sein Auto mal genauer zu erklären: "Die Basis ist ein 5er BMW. Der Motor, sechs Zylinder mit zwei Litern Hubraum, wurde an gleicher Stelle belassen, wie beim Serienfahrzeug. Da ich in der Einsteigerklasse mitfahre, ist die Leistung begrenzt und sind nur eingeschränkte Modifizierungen zugelassen. Ein Überrollkäfig aus Stahl ist Pflicht. Zudem kann ab dieser Rennklasse neben dem Tank auch der Kühler in die Fahrgastzelle platziert werden. Auch Benzin- und Stromleitungen werden besser abgeschirmt und neu verlegt. Die Karosserie und die Stoßfänger werden nicht verstärkt. Das ist den höheren Rennklassen vorbehalten."

Es ist mittlerweile kurz nach 11 Uhr. Neffe Joé Pelletier nimmt Guy mit auf die Piste - zu Fuß. Auch das gehört zur Rennvorbereitung. Dabei ist Joé gerade mal 15 - alt genug, um in der Einsteigerklasse mit an den Start zu gehen. Das Reglement sagt, dass Fahrer an den Rennen teilnehmen dürfen, wenn sie im Laufe der Saison ihr 16. Lebensjahr erreichen. Trotz seines jungen Alters beeindruckt Joé durch ausgeprägtes Fachwissen in allen Bereichen des Automobilsports. Daran sicher nicht unschuldig ist Joés Vater, Gilles Pelletier. Ein Urgestein der "Stock-Car"-Szene und gefürchtet für seinen Ehrgeiz.

Joés Erklärungen sind kurz und präzise: "Die Piste in Hellingen ist sehr schnell, denn sie wurde für die Autocross-Veranstaltung vor wenigen Wochen hart gewalzt. Sie wurde oberflächlich gewässert. Dadurch ist der Boden nur wenige Zentimeter tief aufgeweicht und darunter steinhart. Das macht sie in der Schräglage des Hangs auch sehr rutschig, was im unteren Bereich sicher einigen Fahrern Schwierigkeiten bereiten wird. Es gibt nur zwei Stellen, an denen es wirklich Sinn macht, den Gegner anzugreifen, um ihn zu drehen. Vor der oberen Kurve und gleich danach. Dabei ist der Bereich hinter der Kurve besonders interessant, denn hier ist die Piste am breitesten."

Guy hört aufmerksam zu. Er weiß, das sind die Dinge, die nachher den Unterschied machen werden.

Kurz vor 13 Uhr meldet sich die Kontrollkommission zur Fahrzeugkontrolle an. Hierbei stehen zwei Punkte im Mittelpunkt: Sicherheit und Fair-Play. Um letzteres zu garantieren, ist die Gruppe der Kontrolleure aus je einem Fahrer aus jedem Team zusammengesetzt. Nur wenn alle einverstanden sind, gibt es die für den Start erforderliche Plakette.

13.15 Uhr, Fahrerbriefing: Der Präsident des "Stock-Car"-Verbands erläutert noch einmal den Rennverlauf und erinnert an wichtige Regeln. Zudem ermahnt er in strengem Ton zum Respekt gegenüber der Rennleitung und der Streckenposten. Offensichtlich gab es beim ersten Rennen der Saison - Anfang Juni in Alzingen - Fahrer, die sich einfach über direkte Anweisungen hinweggesetzt hatten und gar beleidigend gegenüber den Schiedsrichtern wurden. "Das will ich hier nicht mehr sehen", bekräftigt Marcel Kirsch. Dann folgen väterliche Töne: "Passt gut auf euch und die anderen auf."

Wenige Minuten später wird es für Guy ernst. Sein erster Lauf steht bevor. Beim "Stock-Car" fällt übrigens kein Startschuss. Der Rennleiter gibt das Startzeichen mit einer rot-weiß-blauen Flagge.

Und Neffe Joé sollte Recht behalten: Guy hat in jeder Runde Schwierigkeiten mit dem rutschigen Belag und der Hanglage im unteren Bereich des Parcours. Im oberen Teil sticht er jedoch deutlich wegen seiner offensiven Fahrweise heraus. Auch das Duell mit der Startnummer CCXLVII - kurz 247 - kann er zumindest in diesem Rennlauf zu seinen Gunsten entscheiden.

Joé Pelletier erreicht den 1. Platz, Guy wird Zweiter. Während der Onkel sich einem obligatorischen Alkoholtest unterziehen muss, darf Joé bereits eine Ehrenrunde mit Pokal und Blumenstrauß auf einem Autodach rund um den Rennparcours an den Zuschauern entlang drehen.

Fast wie in einem Videospiel mutet das Rennen aus seiner Perspektive an:

Guy wird indes von Rennlegende Gilles Pelletier ins Gebet genommen. "Als du gleich in der ersten Runde in den Erdhaufen gefahren bist, dachten wir schon, das war's für heute, da kommt der nie wieder raus", meint Gilles. Guy noch immer etwas aufgedreht: "Wir müssen etwas tun. Als ich aus der ersten Kurve raus war, hatte ich plötzlich den Schaltknüppel in der Hand. Keine Ahnung, wo der jetzt hin ist." - Das geht schon, hält Gilles dagegen. "Mir si jo net vun der Dominiksmillen." Auf wen die beiden damit anspielen, bleibt ihr Geheimnis.

Dann wird Gilles schlagartig ernst: "So Jungs, jetzt sofort tanken und Radmuttern nachziehen." Eine klare Ansage. "Ja, sofort", entfährt es Joé und Guy wie aus einem Mund und beide setzen sofort, wie befohlen, an.

Während die anderen Rennklassen ihre Kämpfe austragen, machen Guy und Joé sich kurz vor 16 Uhr bereit für ihren zweiten Lauf. Der Himmel über Hellingen verdunkelt sich zudem zunehmend.

Als ob die dunkeln Wolken ein Unheil angekündigt hätten: Bereits in der ersten Runde platzt Guy ein Reifen. Doch dessen Ehrgeiz ist ungetrübt. Auf drei Rädern pflügt er wie ein Besessener durch den Acker. Seine Konkurrenten nutzen die Gunst der Stunde. Und auch Nummer 247 nimmt ihn mehr als einmal ins Visier.

"Interessanterweise hatte ich den Plattfuß erst bemerkt, nachdem der Reifen ab war", meint Guy. Für einen erneuten zweiten Platz hat es trotzdem gereicht. Punkte hat er diesmal ausschließlich durch die Rundenzahl erzielt. "Schade, dass es mir nicht gelungen ist, jemanden zu drehen", meint er. "Dennoch war es eine sehr interessante und lehrreiche Runde."

Dann öffnen sich schlagartig die Schleusen des Himmels. Binnen Minuten verwandelt sich das ganze Areal in ein riesiges Schlammbad.

Doch vom Schlamm lassen waschechte "Stock-Car"-Fahrer sich nicht abschrecken. Doch Guy hat ein Problem. Die Radmuttern sitzen so fest, dass er sie nicht mehr lösen kann.

Doch seine missliche Lage bleibt nicht lange unbemerkt. Zwei Männer, Guy kennt sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal beim Namen, sind sofort und ungefragt zur Stelle, um ihm zu helfen. "Lass uns das mal machen", meint einer und drückt Guy sanft mit einem Augenzwinkern zur Seite.

Binnen weniger Minuten ist Guys Problem keines mehr.

"Jetzt bekommst du mal richtige Reifen", meint Cousin Gilles und verschwindet. Minuten später taucht er mit einem riesigen Reifen mit einem sehr groben Profil auf. Ein Gegenstück ist auch bald gefunden.

Doch obwohl Guy jetzt noch motivierter ist, werden ihm die neuen Reifen kein Glück bringen.

Nach einem sehr rasanten Start, fährt Guy seinen BMW gleich nach der ersten Kurve in die Böschung am Fahrbahnrand. Nichts geht mehr. Für ihn ist das Rennen bereits nach wenigen Sekunden gelaufen. Währenddessen schlägt die Stunde des 15-jährigen Neffen Joé. Als gäbe es für ihn keinen besseren Untergrund, dreht er Runde um Runde mit hoher Geschwindigkeit - bis zum Sieg. Auch der Konkurrent mit der Nummer 247 hat das Nachsehen. Genau wie Guy kann er nur mit Hilfe eines Traktors zurück ins Fahrerlager.

Die vergeblichen und kraftraubenden Versuche, das Auto noch während dem Rennen aus dem Graben zu retten, haben Guy den Rest gegeben. Dennoch lässt er nicht zu, dass die Enttäuschung Oberhand gewinnt.

"Der Boden war sehr schmierig und das Auto ging ab wie eine Rakete", erklärt Guy. "Dann in der ersten Kurve fehlte mir vorne der Grip. Der Wagen ließ sich kaum noch steuern. Ich rutschte in ein Loch und dann war es vorbei". Das seien nunmal die Anfängerfehler, aus denen man lerne.

Doch Grund zum Feiern hat die Pelletier-Clique dennoch: Drei Siegerpokale nimmt sie nach diesem Renntag mit nach Hause.

Joé Pelletier ist Tageszweiter in der Einsteigerklasse. Guy wird trotz seines schlechten dritten Laufs Dritter unter sieben Konkurrenten in der Punktwertung. Im Gesamtklassement liegt Joé vorne und Guy an vierter Stelle - und es stehen noch zwei Rennen bevor.

Während in Hellingen gegen 20 Uhr ein langer Tag zu Ende geht, schmiedet Guy bereits Pläne für die nächste Saison.

"Ich will ein neues Auto aufbauen", sagt er. "Mit mehr Eigeninitiative. Und ich will mich noch mehr ins Team einbringen. Diese Leute sind einfach toll. Es ist ein sehr schönes Gefühl, dazu zu gehören." Und auf Freunde und Familie wird er sicher dabei zählen können.

Fotoreportage: Steve Remesch

Credits:

Fotoreportage: Steve Remesch für wort.lu

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