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Wohnen im Wohnwagen: Zwischen Vorurteilen und Freiheit

Das Ehepaar Sabine und Christian Moser* wollte ein freieres Leben führen und entschied sich vor fünf Jahren dafür, alles hinter sich zu lassen und in einem Wohnwagen zu leben. Seitdem hat sich ihre Definition von Luxus verändert. Was in einer Wohnung als selbstverständlich angesehen wird, weiss das Paar jeden Tag neu zu schätzen – wie fliessendes Wasser, funktionierender Strom und eine Heizung im Winter. Sabine Moser und ihr Ehemann Christian erzählen von ihrem Leben auf dem Camping Prêles im Berner Jura.

* Namen von der Redaktion geändert

Text und Fotos: Susanne Grädel

«Wir wohnten in einer grossen Wohnung, die sehr teuer war. Und irgendwann wurde uns klar: Wieso sollten wir so viel Geld für eine Wohnung bezahlen?» So entschied sich das Ehepaar Moser für das Leben im Wohnwagen. «Klar, hatten wir am Anfang eine romantische Vorstellung. Ein freieres Leben führen, das klang verlockend», sagt Sabine Moser. Damit fing alles an. Sie liessen ihre grosse Wohnung hinter sich, verkauften alle Möbel, minimierten ihr Hab und Gut auf das Nötigste.

Romantik? Weit gefehlt!

«Das Leben auf dem Campingplatz ist wie eine eigene Philosophie. Wir erleben die Umgebung ganz anders als zuvor. Der Bezug zur Natur erhält wieder einen höheren Stellenwert. Wasser wird enorm wichtig für das Überleben. Wenn hier beispielsweise der Strom mal aussteigt, merke ich, wie abhängig wir von diesen Dingen eigentlich sind», sagt Sabine Moser. Das Leben im Wohnwagen sei bewusster. Am Anfang sah sich das Paar jedoch auch mit Herausforderungen konfrontiert. «Die Bequemlichkeit einer Wohnung fiel weg – das war eine grosse Umstellung. Du musst dich für alles bewegen und alles selber machen. Wir mussten umdenken.»

Im ersten Jahr hatten sie beispielsweise keinen Anschluss an den Wassertank – das bedeutete für Sabine und Christian Moser, dass sie jeden Tag 20 Liter am nächsten Brunnen holen mussten, ob im Winter oder im Sommer. «Du musst jeden Tag rausgehen, ob es regnet oder hagelt, ob du krank bist oder gesund.» Romantisch sei dieses Leben ganz und gar nicht. «Wir sind sehr wetterabhängig. Wenn hier ein Sturm tobt, müssen wir raus und alles sichern. Wir leben ein Leben mit der Natur.» Auf die Toilette gehen und einfach spülen? Das Ehepaar Moser muss seine chemische Toilette jeden Tag selber leeren.

Abwaschen muss das Ehepaar Moser in der gemeinschaftlichen Waschküche. Auch die Duschen teilt es sich mit den anderen Bewohnern und Bewohnerinnen.

Das Leben auf dem Camping als Politikum

Am Anfang zogen die Eheleute jedes halbe Jahr auf einen anderen Campingplatz. In der Schweiz sei es schwierig, einen Platz zu finden, auf dem man das ganze Jahr über wohnen dürfe, sagen sie. Offiziell meldeten sie sich zu dieser Zeit an der Adresse ihrer Tochter an – so machen es viele auf dem Camping. Dann fanden sie den Platz in Prêles und wohnen nun im vierten Jahr offiziell auf dem Campingplatz. «Immer mehr Menschen entscheiden sich aus verschiedenen Gründen für dieses Leben. Doch die Politik will das verhindern. Das ist klar – den Hausbesitzern und Verwaltungen ist das ein Dorn im Auge. Doch das Leben in der Schweiz ist einfach überteuert.»

Viele Gemeinden verbieten das Wohnen auf dem Campingplatz jedoch. Ein Grund dafür ist, dass die Campingplätze nur touristische Zwecke erfüllen dürfen und nicht als günstige Wohnalternative dienen sollen. Denn die allgemeine Meinung sei, dass auf dem Campingplatz viele Sozialhilfebezüger oder gar Kriminelle wohnen. «Das ist ein weit verbreitetes Vorurteil. Hier auf dem Camping in Prêles sind gut 90 Prozent von den etwa 80 Dauermietern jedoch voll arbeitstätig. Der Patron entscheidet, wer hier dauerhaft mieten darf.» Seit 2017 ist es auch in Prêles nicht mehr erlaubt, sich an der Adresse des Campingplatzes anzumelden, da die Gemeinde dies verboten hat. Neue Dauermieter müssen sich an der Adresse von Bekannten oder der Familie anmelden.

Der Kampf mit den Vorurteilen

Mit so manchen Vorurteilen wurden auch Sabine Moser und ihr Mann Christian konfrontiert. «Als ich meine neue Arbeitsstelle antrat, wusste niemand, dass ich auf dem Camping wohne», sagt Sabine Moser. Nur ihren engsten Bekannten hat sie erzählt, wie sie lebt – diese hätten positiv reagiert. Aber überwiegend begegnen ihnen und anderen Campern negative und abschätzige Reaktionen. «Aber mittlerweile ist es uns egal, was andere denken. Wir sind zufrieden mit unserem Leben.» Immer wieder hören sie auch Geschichten von anderen Campern, die aufgrund ihres Lebensstils stigmatisiert werden.

«Eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern entschied sich aus finanziellen Gründen, auf dem Camping in Prêles zu wohnen. Das eine Kind war im Kindergartenalter – so wollte sich die Familie auf dem Camping anmelden und das Kind in den Kindergarten schicken. Die Gemeinde Prêles weigerte sich jedoch. Sie wollte nicht, dass die Kinder vom Campingplatz in ihren Kindergarten kommen. Mittlerweile ist die Familie umgezogen – wahrscheinlich wieder in eine Mietwohnung. So, wie es eben erwünscht ist.» Man müsse sehr aufpassen, wem man erzählt, dass man auf dem Campingplatz wohne. Die Vorurteile seien einfach immer noch zu gross. «Einer anderen Nachbarin wurde einmal der Service in einem Laden verweigert, nachdem sie ihre Adresse angeben musste und klar war, dass sie auf dem Campingplatz wohnt», so Sabine Moser.

«Mittlerweile ist es uns egal, was andere denken. Wir sind zufrieden mit unserem Leben», sagen Sabine Moser und ihr Ehemann Christian.

Zwischen Ruhe und Gemeinschaftsleben

Trotz all dieser Kämpfe hat das Leben auf dem Campingplatz auch seine besinnlichen und ruhigen Seiten. Das Schönste an diesem Leben sei für Sabine Moser die Natur. «Die Natur ist wie Heilung. Das entschädigt mich für die Entbehrungen, die dieses Leben mit sich bringt.» Während des Corona-Lockdowns war die Ruhe des Campingplatzes besonders heilsam. «Es war herrlich! Die Luft war besser, alles war ruhig, und wir genossen die Natur umso mehr.» Von den Restriktionen des Lockdowns haben Sabine Moser und ihr Ehemann nicht viel gespürt. «Das Zusammenleben unter den Bewohnern war wie immer – man hilft sich, wo man kann. Das war auch schon vorher so.»

Das Restaurant des Campingplatzes musste zwar schliessen, aber die Besitzerin Milly Imer und der Patron Roland Matti kochten mehrmals in der Woche für die Bewohner und Bewohnerinnen des Campings und verteilten das Essen kostenlos, unter Einhaltung der Schutzmassnahmen. «Viele alte Menschen leben hier alleine.» Auf dem Campingplatz wird aufeinander Acht gegeben. «Wir sind wie eine Gemeinschaft. Die Solidarität wird hier grossgeschrieben. Wenn irgendetwas passiert, stehen gleich fünf Leute da und wollen dir helfen. Eine Nachbarin von uns beispielswiese bestellt jeden Winter Holz zum Heizen. Und wenn der Lieferwagen kommt, halten wir schon unsere Handschuhe bereit und helfen ihr, das Holz aufzustapeln. Und dann gibt’s einen Apéro!»

Einerseits funktioniere dieses enge gemeinschaftliche Zusammenleben sehr gut – andererseits entstehen auch manchmal Reibungspunkte. «Das Leben ist anders als in einem anonymen Wohnblock. Wenn Probleme auftauchen, musst du diese direkt klären. Du kannst dich aber auch raushalten, wenn du nicht involviert bist. Das ist das Schöne hier.» Der Umgang mit den Touristen sei jedoch die grössere Herausforderung. «Du merkst, dass sie ein ganz anderes Lebensgefühl haben als jene, die dauerhaft hier wohnen. Sie hinterlassen die sanitären Anlagen schmutzig und machen sich keine Gedanken darüber.»

Für immer im Wohnwagen?

Würde denn ein Leben in einer Wohnung je wieder in Frage kommen? Sabine Moser hat oft darüber nachgedacht, wie das wäre. «Einerseits kann ich es mir vorstellen. Ich werde auch nicht jünger. Und irgendwann werde ich vielleicht nicht mehr so agil sein. Aber in einen Block würde ich nicht mehr ziehen. Wenn, dann aufs Land, auf einen Bauernhof.» Für Christian Moser kommt ein Leben in einer Wohnung jedoch nicht mehr in Frage. «Du musst hier zwar alles selber machen und viel daran arbeiten, aber schlussendlich hast du dein eigenes Heim mit 200 Quadratmetern Umschwung. Wo gibt es so was schon zu diesem Preis?»

Für Sabine und Christian Moser ist das Leben im Wohnwagen eine eigene Philosophie.

Dauercampen als Politikum

Der Campingplatz in Prêles hat 180 Plätze für Dauermieter und nur 40 für Touristen. Gemeinden in der ganzen Schweiz verbieten jedoch vermehrt das dauerhafte Wohnen auf dem Campingplatz. Oliver Grützner, Leiter Tourismus und Freizeit beim Touring Club Schweiz (TCS), sagt in einem Artikel von www.swissinfo.ch: «Die Gemeinden wollen keine Trailerparks für Randständige und Alkoholiker.»

Weitere Informationen zum Thema:

Artikel auf swissinfo.ch

Artikel im St. Galler Tagblatt

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