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Vor 25 Jahren: Der Genozid von Srebrenica

Es ist ein singuläres Ereignis in der europäischen Nachkriegsgeschichte: Vor 25 Jahren marschierten bosnisch-serbische Einheiten in die UN-Schutzzone von Srebrenica in Bosnien-Herzegowina ein. Es folgte ein Massaker, dem mehr als 8000 Menschen zum Opfer fielen.

Das Massaker von Srebrenica, das später durch Gerichte als Völkermord gewertet wurde, gilt als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Srebrenica steht aber auch heute noch stellvertretend für das Versagen der internationalen Gemeinschaft während der Jugoslawien-Kriege von 1991 bis 1996. Ein paar Hundert leicht bewaffnete niederländische UN-Blauhelme waren mit der kaum lösbaren Aufgabe konfrontiert, die Zivilbevölkerung in der ostbosnischen Stadt zu schützen, die von den Truppen des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić eingekesselt war. Wie konnte es zu der Katastrophe kommen, die Tausenden das Leben kostete und den Ruf der Vereinten Nationen nachhaltig schädigte?

Im Sommer 1995 tobte der blutige Krieg in Bosnien-Herzegowina schon drei Jahre. Bereits zu Beginn des Konfliktes im Mai 1992 gab es Gefechte in Srebrenica und der Umgebung zwischen bosnisch-muslimischen und bosnisch-serbischen Verbänden. Im Laufe der Zeit schloss sich der Belagerungsring um die mehrheitlich von Muslimen bewohnten Stadt immer enger. Immer mehr Bosniaken aus den umliegenden Ortschaften flüchteten in die Stadt. Die Einwohnerzahl lag bei Kriegsbeginn noch bei 6000, bis 1993 hatte sie sich aber fast verzehnfacht und lag bei 50.000 bis 60.000. Die humanitäre Situation der Zivilbevölkerung wurde immer kritischer, Hilfskonvois der UN kamen kaum noch durch.

Im März 1993 besuchte der französische General Philippe Morillon, Befehlshaber der UNPROFOR in Bosnien-Herzegowina, Srebrenica. Morillon wollte sich ein Bild von der Lage verschaffen und mit Verhandlungen erreichen, dass Hilfsgüter in die vollkommen überfüllte Stadt gebracht werden konnten. Kurzerhand erklärte Morillon, umlagert von Zivilisten, dass die Stadt von nun an unter dem Schutz der Vereinten Nationen stünde. „Ich bin freiwillig hierhergekommen und ich habe entschieden, hier in Srebrenica zu bleiben“, sagte Morillon vor laufenden TV-Kameras, und, an die Bevölkerung gewandt: „Sie stehen nun unter dem Schutz der Kräfte der Vereinten Nationen.“ Ob diese zu dem Zeitpunkt überraschende Erklärung abgestimmt war, ist nie ganz klar geworden. Fakt ist: General Morillon konnte sein Schutzversprechen an die Menschen von Srebrenica nicht einhalten.

Daran änderte auch die Resolution 819 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nichts, die am 16. April 1993 verabschiedet wurde und Srebrenica als „safe area“, als Schutzzone definierte. Später wurden weitere Ortschaften wie Bihac, Gorazde, Tuzla und Sarajewo ebenfalls zu Schutzzonen deklariert. Den Schutz sollten UN-Blauhelme gewährleisten, die das Recht hatten, Waffengewalt lediglich zur Selbstverteidigung einzusetzen. In Srebrenica kamen niederländische Soldaten zum Einsatz, das Bataillon wurde als Dutchbat bezeichnet. Teil der Resolution war, dass die Schutzzonen entmilitarisiert werden, so wurden die wenigen schweren Waffen der bosnischen Kämpfer in der Stadt eingesammelt.

Der Vorstoß der bosnisch-serbischen Armee in die Schutzzone von Srebrenica im Juli 1995.

Das Dutchbat errichtete mehrere Beobachtungsposten rund um Srebrenica. Die Bewegungsfreiheit der rund 600 niederländischen Blauhelme war jedoch eingeschränkt. Bosnische Serben kontrollierten noch immer alle Zugänge zur Stadt und ließen immer weniger Material- und Lebensmittelnachschub durch. Dies geschah auf den Befehl des bosnisch-serbischen Führung unter Präsident Radovan Karadžić. Militärischer Befehlshaber der bosnischen Serben war General Ratko Mladić.

Am 6. Juli begannen die Einheiten des bosnisch-serbischen „Drina-Korps“ auf Befehl von General Mladić mit ihrem Vormarsch in die Enklave. Die niederländischen Truppen hatten dem Vorstoß militärisch wenig entgegenzusetzen: Zahlenmäßig weit unterlegen, waren sie zudem nur leicht bewaffnet. Sie verfügten über wenige Panzerabwehrwaffen und ebenso wenige gepanzerte Truppentransporter. In dieser unmöglichen Lage forderten die Niederländer unter dem Kommando von Oberstleutnant Thomas Karremans mehrfach Nato-Luftunterstützung an. Bis auf einen Luftschlag durch zwei niederländische F-16-Kampfjets, bei dem ein Panzer der Vojska Republike Srpske (VRS), der Armee der Republika Srpska, außer Gefecht gesetzt wurde, blieb weitere Unterstützung aus der Luft aus. Die bosnischen Serben drohten, als Geiseln festgehaltene Blauhelm-Soldaten zu töten, sollten die Luftangriffe fortgesetzt werden.

Praktisch ohne auf Widerstand zu stoßen, rückten die Einheiten der VRS in Srebrenica ein, an ihrer Spitze General Mladić. Unmittelbar danach begann die Selektion: Viele Menschen hatten sich am Rande der Stadt beim Hauptquartier der UN-Truppen versammelt, in der Hoffnung, dort sicher zu sein. Die Soldaten der VRS fingen am Morgen des 12. Juli an, Männer und männliche Jugendliche von den Frauen zu trennen. Busse standen schon bereit, um die Frauen an einen anderen Ort zu bringen. Die Männer wurden gesondert abtransportiert und in den folgenden Tagen exekutiert. In den Jahren nach dem Krieg wurden mehr als 20 Massengräber identifiziert, in denen mehr als 8000 Opfer lagen.

General Ratko Mladić (l.) und Oberstleutnant Thomas Karremans (2.v.r.) am 12. Juli 1995 in Srebrenica. Foto: picture alliance/AP Photo

In der Folge wurde das Dutchbat scharf kritisiert. Bilder des eingeschüchterten Oberstleutnant Karremans, auf denen zu sehen ist, wie er mit General Mladić anstößt, hatten eine fatale Wirkung auf die Öffentlichkeit. Doch hatten die Niederländer eine Wahl? Bis heute ist ihr Verhalten in Srebrenica umstritten. Überdurchschnittlich viele von Ihnen leiden heute an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, einige ehemalige Soldaten haben sich das Leben genommen. Sicher ist eines: Die Soldaten des Dutchbat wurden von ihrer Führung, von der Politik im Stich gelassen. Die Nato hätte die Mittel gehabt, den Vorstoß der bosnisch-serbischen Einheiten zu stoppen, jedoch blieb die Zustimmung der Vereinten Nationen für umfassende Luftschläge aus. Das zögerliche Verhalten führte zum schlimmsten Genozid in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Soldaten des niederländischen Dutchbat mit Zivilisten aus Srebrenica. Kurz darauf begannen in der Umgebung der Stadt die Exekutionen der männlichen Bevölkerung. Foto: picture alliance/AP Photo

In gewisser Weise war Srebrenica dann auch ein Wendepunkt im Bosnienkrieg. Noch unter dem Eindruck des Massakers in der UN-Schutzzone – das gesamte Ausmaß wurde erst später bekannt – und einem verheerenden Artillerieangriff auf einen Markt in Sarajewo, bei dem 37 Zivilisten getötet wurde, reagierte die internationale Staatengemeinschaft im Spätsommer 1995 schließlich doch noch entschlossen: Mit der Operation „Deliberate Force“ flog die Nato vom 30. August bis 14. September massive Luftangriffe auf Stellungen der VRS in Bosnien-Herzegowina. Am 21. November 1995 endete der Krieg in Bosnien mit dem Abkommen von Dayton.

Mladić und Karadžić mussten sich schließlich für ihre Taten vor Gericht verantworten. Karadžić wurde 2008 in Belgrad festgenommen und an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert. Im März 2019 wurde der ehemalige Präsident der Republika Srpska zu lebenslanger Haft verurteilt. 2011 wurde Mladić festgenommen. Auch der Ex-General wurde wegen Völkermordes und weiterer Anklagepunkte zu lebenslanger Haft verurteilt.