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Grenzerfahrungen Besuch auf einer geteilten Insel

Text und Bilder: Vivien Götz, Layout: Pia Sautter

In der neutralen Zone herrscht eine unnatürlich angespannte Ruhe. Stacheldraht, leerstehende Häuser und die gepanzerten Fahrzeuge der Vereinten Nationen sind stille Zeugen eines Friedens, der eigentlich keiner ist. Die neutrale Zone, auch „Buffer Zone“ genannt, macht aus Zypern eine geteilte Insel und ein gespaltenes Land.

Seit 1974 hat die Türkei den Norden der Insel besetzt und dort die „Türkische Republik Nordzypern“ ausgerufen. Zypern selbst ist 2004 der Europäischen Union beigetreten – völkerrechtlich gehört damit die gesamte Insel zur EU. Tatsache ist aber, dass die Republik Zypern im nördlichen Teil der Insel keine Macht hat. Der Norden ist autark, wenn auch stark von der Türkei abhängig, die als einziges Land weltweit die staatliche Souveränität der „türkischen Republik Nordzypern“ anerkennt. In der neutralen Zone, die die gesamte Insel in zwei Hälften teilt, patrouillieren Soldaten der vereinten Nationen. Sie sind seit 1963 in Zypern für eine Friedensmission auf Zypern stationiert um den Konflikt am Überkochen zu hindern. Auch Zyperns Hauptstadt Nicosia ist von der Teilung betroffen:

Eingangstor zu den Baracken der UN-Friedensmission in der neutralen Zone mitten in Nicosia.

Die Fußgängerzone im Herzen von Nicosia ist lebhaft, chaotisch und ein bisschen heruntergekommen. Die Ladengeschäfte in den Erdgeschossen sind schick und modern, tragen aber eher unansehnliche Kronen aus Stockwerken, die schon deutlich bessere Tage gesehen haben. Zwischen den Schaufensterfronten von H&M und Zara stehen Passanten ganz plötzlich vor einem Grenzübergang, der völlig unangekündigt zwischen Souvenirshops und Cafés auftaucht. Einmal den Ausweis zeigen, ein paar Meter gehen und nochmal den Ausweis zeigen. Zyprische und Nordzyprische Grenzkontrollen verlangen ihr Recht.

Parolen für den Frieden, im Niemandsland zwischen den Grenzübergängen.

Der Gehweg zwischen den Grenzübergängen ist ein Teil der neutralen Zone. Parolen wie „one Cyprus“ und „the war is over“ sind hier an die Häuserwände gesprüht. Ein Zeichen, dass zumindest einige Inselbewohner die Teilung und die Erinnerungen an die blutigen Konflikte zwischen griechischen und türkischen Zyprioten gerne hinter sich lassen würden.

Wie schwierig die Verständigung zwischen den beiden Inselteilen ist, zeigt sich in Nicosia an einer anderen Stelle in der neutralen Zone. Gegenüber eines alten Hotels, das UN-Soldaten inzwischen als Baracke dient, steht das „Home for Cooperation“. Entstanden ist es ursprünglich aus einem grenzübergreifenden Forschungsprojekt für Geschichtslehrer. Inzwischen bieten seine Räumlichkeiten verschiedenen Initiativen ein zu Hause, die die Grenze in den Herzen und in den Köpfen der Menschen ein bisschen aufweichen wollen.

as Verhältnis zwischen den griechischen Zyprioten, die im Süden leben, und den türkischen Zyprioten im Norden, ist angespannt. Es gibt unzählige Vorurteile und viele Menschen haben die Grenze seit der Teilung 1974 nicht mehr überschritten. Sich kontrollieren zu lassen, um sich innerhalb ihres eigenen Landes frei bewegen zu können, empfinden viele als Kränkung.

Das „Home for Cooperation“ in der Bufferzone Nicosias ist Heimat zahlreicher grenzübergreifender NGOS und Begegnungsort auf neutralem Boden.

Zypern war lange Jahre britische Kolonie. Erst 1960 wurde die Insel von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen. Die Konflikte zwischen türkisch stämmigen und griechisch stämmigen Zyprioten hatten schon zuvor die Verhandlungen zur Unabhängigkeit bestimmt. Ab 1963 eskalierten die Spannungen in blutigen Konflikten und Putschversuchen gegen die Regierung des Inselstaates. Als Putschisten 1974 versuchten, den Anschluss Zyperns an Griechenland mit militärischer Hilfe aus Athen zu erzwingen, besetzte die Türkei den Norden der Insel, um die türkisch stämmigen Zyprioten vor Massakern durch griechische Militärmilizen zu schützen. Obwohl die Putschisten relativ schnell kapitulierten und der Versuch, Zypern an Griechenland anzugliedern, aufgegeben wurde, weitete die Türkei ihren Militäreinsatz aus und besetze schließlich den wirtschaftlich stärkeren Nordteil der Insel. In der Folge kam es auf beiden Seiten zu Massenfluchten. Zyperngriechen flohen in den Süden und Zyperntürken in den Norden der Insel. Die vereinten Nationen betrachten die dauerhafte Besetzung des Nordens durch die Türkei als Verstoß gegen das Völkerrecht, was die Türkei aber nicht davon abhält auf der Teilung zu beharren.

Ein tanzender Derwish auf einer Hauswand im Norden von Nicosia. Die Wand ist noch gespickt von Einschusslöchern rund um Schießscharten, die von Scharfschützen genutzt wurden.

„Wenn eine Person die Grenze zum ersten Mal überquert und mit Menschen von der anderen Seite spricht – diese Menschen sind keine isolierten Individuen, sie haben Freunde und Familie – dann entsteht schon ein kleiner Effekt der Verständigung“, sagt Hayriye Rüzgrar. Die junge Frau ist beim „Home for Cooperation“ für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und gibt sich keinen Illusionen hin. Die grenzüberschreitende Arbeit, die in der „Buffer Zone“ geleistet würde, sei ein kleiner Beitrag, der seine Wirkung langsam entfalten müsse.

„Wir arbeiten jeden Tag auf den Frieden hin, eine andere Lösung gibt es nicht“

, sagt Marios Epaminondas, der das „Home for Cooperation“ mitgegründet hat.

Die Narben der Konflikte sind im Gedächtnis der Zyprioten fest verankert. Viele haben noch Erinnerungen an die blutigen Teilungskämpfe, haben Nachbarn und Familienmitglieder in Massakern verloren und wurden aus ihren Heimatdörfern vertrieben. Diese Generation stirbt langsam aus – und während die Erinnerungen an die verübten Gewalttaten auf beiden Seiten bestehen, gehen die Erinnerungen an ein friedliches Miteinander verloren. Während eine Generation heranwächst, die ein vereintes Zypern nie gekannt hat, machen viele sich Sorgen, dass mit den Erinnerungen an ein friedliches Miteinander auch die letzte Chance auf ein wiedervereinigtes Zypern stirbt.

Eine europäische Flagge im Umland von Nicosia.

Als Zypern 2004 der europäischen Union beitrat, war die Hoffnung groß, dass Europa ein Katalysator für die Wiedervereinigung des gespaltenen Landes sein könnte. Andreas Theophanous, Politologe, Professor an der Universität von Nicosia, gab seine akademische Karriere in den USA auf, um in seinem Heimatland den Beitritt zur Europäischen Union voranzutreiben. Heute ist der Präsident des zyprischen Zentrums für europäische und internationale Beziehungen enttäuscht von der Europäischen Union. Er macht sich vor allem Sorgen um Erdogans Machtpolitik und das zunehmend aggressive Auftreten der Türkei im östlichen Mittelmeerraum.

Der Konflikt zwischen Griechenland, Zypern und der Türkei ist zwar alt, bekommt aber seit ein paar Jahren eine neue, explosive Facette. Ägypten und Israel haben im östlichen Mittelmeer große Erdgasvorkommen entdeckt und sind gerade dabei, sie lukrativ zu erschließen. Auch in zyprischen Hoheitsgewässern wurde ein Gasfeld gefunden und die Chancen stehen nicht schlecht, dass das erst der Anfang war. Doch die Türkei erhebt ebenfalls Anspruch auf Teile der zyprischen Hoheitsgewässer, will die Interessen der Zyperntürken und ihre eigenen bei der Erschließung der Gasvorkommen gewahrt sehen. Ankara hat unter militärischem Schutz eigene Forschungsschiffe in die zyprischen Gewässer geschickt und kurz vor Weihnachten eine Kampfdrohne in Nordzypern stationiert.

Der türkische Einfluss ist auf Nordzypern deutlich zu spüren. Neben jeder nordzyprischen Flagge weht auch eine türkische.

„Europa muss deutlich machen, dass Zypern und Griechenland seine Grenzen sind und das es bereit ist, diese Grenzen zu verteidigen. Sonst sieht die Türkei in uns nur ein Stück Land, dass sie eines Tages besitzen wird“, sagt Politik-Experte Andreas Theophanous. Er wünscht sich ein stärkeres Europa, das die Aggressionen der Türkei im östlichen Mittelmeer ernster nimmt. „Ich habe eigentlich nur eine Bitte: Vergessen sie Zypern nicht, auch wenn es weit weg ist von Brüssel und vom Rest Europas. Überlassen Sie uns nicht der Türkei.“

Die Recherche für diesen Text fand im Rahmen des deutsch-griechischen Journalistenworkshops „Dialoggers“ des Auslandsbüros Griechenland/Zypern der Konrad-Adenauer-Stiftung statt.

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Campuls Hochschulzeitung
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