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Die Sorge um die Alten Wer passt in Israel auf die Sabas und Saftas auf?

Text und Fotos: Charlotte Krause, Layout: Leonie Thiel.

Das Jahr 2019 ist vorbei und 2020 hat noch nicht einmal richtig begonnen. Zeit für einen Rückblick. Greta Thunberg segelte 15 Tage vom südenglischen Plymoth nach New York, der Grüne Knollenblätterpilz ist Pilz des Jahres geworden und international wurden 100 Jahre Bauhaus gefeiert. Mein persönliches Highlight 2019 bestand darin, in Israel, genauer gesagt in Tel Aviv, der by the way größten Bauhaus-Stadt der Welt, ein paar Monate gelebt und mir dabei insgesamt nur zweimal einen fiesen Sonnenbrand eingefangen zu haben.

Blick vom Atarim Square auf den Gordon Beach, Tel Aviv.

Einen Reisebericht über Israel zu verfassen, ist nicht leicht. Kaum ein Land ist allein bei Nennung des Namens mit derart vielen Emotionen behaftet. Jede und jeder hat meist eine – mehr oder weniger – fundierte Meinung zu dem Nationalstaat des jüdischen Volkes, der seit seiner Gründung am 14. Mai 1948 innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen von zahlreichen Konflikten durchflochten ist. Die Geschichte dieses jungen Staates ist vor allem von den andauernden israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen geprägt. Vorab: Darüber möchte ich heute nicht berichten, da es diesbezüglich viel fundiertere Texte bereits gibt. Eine Rätselfrage stattdessen am Anfang: Was haben Israel und die Philippinen gemeinsam?

Ich konnte mich glücklich schätzen. Nur eine Woche nach Ankunft in Tel Aviv hatte ich eine Wohnung gefunden. Viel länger hätte ich es auch in dem 6er-Zimmer im Winz-Hostel nicht mehr ausgehalten. Grundsätzlich gilt: Urlaub im Hostel – immer gerne. Wohnen im Hostel mit all deinem Hab und Gut für mehrere Monate – nein danke. Meine neue Wohnung lag nur drei Minuten zu Fuß vom Strand entfernt, in der Nähe des Independence Parks und des Hilton Hotels. Alle paar Tage ging ich dort joggen, entlang der Shlomo-Lahat-Promenade in Richtung des Alten Hafens und des Flusses Nachal haYarkon. Vor allem auf dieser Strecke wurde ich nach wenigen Wochen auf etwas aufmerksam: viele alte Frauen und Männer, des Öfteren im Rollstuhl, wurden an Ausguck-Plattformen und an den Strand gebracht – doch offensichtlich nicht von ihren Angehörigen. Filipinas und Filipinos standen hinter ihnen, reichten ihnen Getränke mit Strohhalmen und setzten den gebrechlichen Menschen behutsam Sonnenhüte auf den Kopf. Jüdinnen und Juden, die vom Rückkehr-Gesetz Gebrauch machten, waren dies wahrscheinlich nicht, da mehr als Dreiviertel der philippinischen Bevölkerung Katholiken sind. Warum pflegten sie also hier in Israel die immer älter werdende Bevölkerung?

Rückkehr-Gesetz: Das ist ein Gesetz von 1950, das es Menschen jüdischen Glaubens und/oder jüdischer Herkunft sowie deren Ehepartnern erlaubt, nach Israel einzuwandern.

Ein Blick nach Manila. Eine gute Freundin von mir aus Abiturzeiten ist inzwischen in die Hauptstadt der Philippinen ausgewandert. Sie bestätigt, dass die Arbeitskraft der/des Einzelnen das größte Exportgut auf den Philippinen ist. Die Oversea Filipino Workers (OFWs) arbeiten im Ausland in allen Sektoren: im Tourismus, Service-Bereich, als Care-Workers und auf Kreuzfahrtschiffen.

Filipinos/Filipinas sind dabei neben Nepales_innen und Moldauer_innen die wichtigsten Gastarbeiter_innen im Bereich der Altenpflege im jüdischen Staat Israel. Inzwischen stellt Israel jedes Jahr Zehntausenden Gastarbeiter_innen Visa für die Arbeit in der Altenpflege aus. Da die Philippinen selbst keine großen Industrien besitzen und Ressourcen stattdessen für die Verarbeitung ins Ausland verkauft und dann wiederum teuer importiert werden, wird anstelle dessen auf das wichtigste Exportgut, die Human Ressources, gesetzt. Dazu kommen noch Arbeitsmangel und Überbevölkerung, die das Arbeiten im Ausland für Filipinas und Filipinos sehr attraktiv machen.

Zum Vergleich: Das durchschnittliche Gehalt von Altenpfleger_innen, Nannys und Fahrer_innen liegt auf den Philippinen bei etwa 6.000 philippinischen Pesos (PHP) im Monat, also ungefähr 105 Euro. Neben der Stellung von Kost und Logis verdienen die philippinischen Pflegekräfte in Israel zwischen 350 bis 420 Euro im Monat. Hinzu kommen allerdings die Schulden, die sie zurück auf den Philippinen den Agenturen schuldig sind, die sie nach Israel an die entsprechenden Familien vermittelt haben. Bilaterale Abkommen zwischen dem Staat Israel und den Philippinen sollen diesem Problem Abhilfe schaffen und private Vermittlungsagenturen ersetzen.

Man muss verstehen: Die Familien in Israel befinden sich in einer Zwickmühle. Pflegekräfte aus näher gelegenen Nachbarstaaten können aufgrund der politischen Lage nicht angeworben werden. Hinzu kommen die hohen Lebenshaltungskosten in Israel, die es notwendig machen, dass oftmals beide Parteien einer Partnerschaft Vollzeit (oftmals mit mehreren Jobs gleichzeitig) arbeiten müssen. Durchschnittlich bekommt eine israelische Familie außerdem drei Kinder, um die es sich ebenfalls zu kümmern gilt. Wer soll daher die inzwischen durchschnittlich mindestens 82 Jahre alt werdenden Sabas und Saftas pflegen?

Die hebräischen Begriffe "Saba" und "Safta" stehen für Großvater und Großmutter.

Blick vom Abrasha Park auf die Skyline Tel Avivs.

Auf ein weiteres Problem wurde ich nur durch Zufall aufmerksam. Auf dem Weg zu meinem abendlichen Hebräisch-Sprachkurs fuhr ich mit dem Fahrrad immer am Habima Square, gelegen vor dem Habima Theater und den Rothschild Boulevard eröffnend, vorbei. Am 24. Juni versammelte sich auf besagtem Platz eine bunte Protestbewegung. Neugierig blieb ich stehen. Mich wunderte, dass vor allem viele Kinder in der Protestmenge versammelt waren. Viele der Demonstrierenden waren Filipinos und Filipinas. Leider war mein Hebräisch noch zu schlecht, um den wirklichen Inhalt der Ausrufe verstehen zu können. Nur auf manchen Transparenten und Schildern konnte ich die Worte ha-jeladim schel israel (Kinder Israels) entziffern. Wogegen demonstrierten sie?

Philippinische Pflegerinnen und Pfleger sind während ihrer Arbeitszeit im Ausland jahrelang von ihren Familien getrennt. Pflegekräfte sind in Israel dabei übrigens von dem 5-Jahres-Visum ausgenommen und können bleiben, so lange ihre zu betreuende Person lebt. Während ihres Aufenthalts in Israel dürfen sie jedoch keine Kinder bekommen. Wird eine Filipina schwanger, bleibt ihr entweder nur die Ausreise oder illegal im Land zu bleiben. Wenn man sich vorstellt, dass viele Pflegekräfte jahre-, teilweise jahrzehntelang an ihre Arbeit in Israel gebunden bleiben und sich dabei ein komplett neues soziales Umfeld aufbauen, ist es sehr wahrscheinlich, dabei auch Partnerschaften einzugehen und Familien zu gründen. Diese in Israel geborenen Kinder haben jedoch kein Bleiberecht, wachsen zwar in Israel auf, sprechen perfekt Hebräisch und haben israelische Freundinnen und Freunde; sie und ihre Mütter und Väter leben jedoch auch dauerhaft in Angst vor einer Abschiebung. NGOs und Menschenrechtsorganisationen wie United Children of Israel (UCI) kämpfen gegen die Ausweisung und Verhaftung von Kindern und ihren Eltern.

Street Art in Tel Avivs Szene-Viertel Florentine.

Zwei Staaten – Israel und die Philippinen – treffen sich also aufgrund der jeweiligen diametralen wirtschaftlichen Herausforderungen. Einzelne leiden jedoch aufgrund diverser Schieflagen in diesem vertraglichen Gebilde. Israel wird sich zukünftig derlei Problematiken stellen müssen.

Israel ist dabei übrigens nicht das einzige Land, was in Bezug auf Pflegearbeit auf philippinische Arbeitskräfte setzt. Zuletzt erst warb die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit dem Slogan „Wenn alle gewinnen – internationale Pflegekräfte für Deutschland. Triple Win vermittelt qualifiziertes Pflegepersonal aus dem Ausland an deutsche Arbeitgeber.“ Aufgrund der Überalterung der Bevölkerung und des Fachkräftemangels sind Arbeiter_innen im Care-Bereich auch in Deutschland ein seltenes Gut. Ob dabei wirklich alle gewinnen werden, kann an dem Beispiel Israel-Philippinen in Frage gestellt werden.

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Campuls Hochschulzeitung
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Erstellt mit einem Bild von Cristian Newman - "untitled image"