Saurer in Madagaskar alt aber stark

Der Schweizer Nutzfahrzeughersteller Saurer stellte in den 1980er Jahren seine Produktion stufenweise ein. Damit fanden rund 80 Jahre wegweisende Ingenieurskunst im Fahrzeugbau ein Ende. Doch dies war nicht das Ende der Fahrzeuge selber. Heute noch sind Saurer als geachtete und zuverlässige Fahrzeuge weltweit im tagtäglichen Einsatz. So auch im fernen Madagaskar.

Mitte der 2000er Jahre gelangten ein oder zwei Dutzend Saurer aus Armee-Beständen auch nach Madagaskar. Wieviele es genau waren und wie der Verteilschlüssel war, ist unbekannt. Selten zwar, aber hier und dort sind in Madagaskar Saurer noch immer zu sehen.

Nun ist der Saurer in blau gekleidet. Aber er mag wohl aus Armeebeständen stammen und ursprünglich armeegrün gewesen sein. Niemand kennt seine Geschichte. Aber seit wohl einem guten Dutzend Jahren ist dieser Saurer 2DM in Madagaskar im Einsatz.

Dieser Saurer ist ein Einzelkind. Er versorgt eine abgelegene Landesgegend abseits der Hauptachse.

Unklar, wann dieses Chassis mit Nummer 201218341 in Arbon gebaut wurde. Aber das interessiert in Madagaskar niemand. Wichtiger ist das garantierte Gesamtgewicht: 12'000 kg. Eigentlich interessiert das in Madagaskar auch niemand. Das Gefährt wird beladen, bis alles, was beladen werden muss, auf der Ladepritsche ist.

Alles an diesem Fahrzeug weist darauf hin, dass sich der Saurer noch im Originalzustand befindet. Zudem ist er tagtäglich noch im Einsatz. Die Leute kennen den blauen Lastwagen, kennen aber weder die Fahrzeugmarke noch die Firmengeschichte. Wichtig für sie ist, dass hier ein zuverlässiges Transportfahrzeug verkehrt.

Der Saurer bringt's: er transportiert Waren aller Art abseits der RN2, der Hauptstrasse zwischen der Hauptstadt Antananarivo und der Hafenstadt Tamatave. An der RN2 finden sich Waren, die die Dorfbevölkerung weitab wünscht: Speiseöl, Treibstoff, Seife, Getränke, Stoffe, Kerzen. Und der Saurer bringt's hin und nimmt zurück, was es dort zu verkaufen gibt: Reis, Holz, Maniok.

Natürlich reisen auch Leute mit. Auf den Gütern der Ladepritsche. Die Touren dauern mehrere Tage. Alle wissen das, sind aber froh, mitfahren zu können. Der Fahrer Solofo hat zwei Mitarbeiter: sein Helfer und der Helfer des Helfers. Er selber ist das, was man früher den König der Landstrasse nannte: er fährt und die Anderen machen den Rest. Solofo geniesst den Respekt der Bevölkerung, denn er transportiert, was die Leute brauchen. Die Leute schätzen das.

Solofo, der Fahrer, ist stolz auf sein Fahrzeug. Denn der Saurer schafft Strecken, die kein anderes Fahrzeug bezwingt. 'Da waren andere Camions', sagt er und speit die Worte aus: 'Mercedes, Berliet und auch ein DAF haben sich auf der Strecke versucht. Alle sind gescheitert. Doch mein Saurer quält sich tapfer durch Morast und Schlamm. Er hat mich noch nie im Stich gelassen'.

Es kam vor, dass Solofo auch Krankenwagen war. Über kaputte Holperpisten. Aber noch immer besser als mit Tragebahren - oder sterben. 'Einmal hat eine Frau auf meinem Saurer ein Kind geboren. Mitten in der Nacht. Sie hat das Baby nach meinem Namen genannt.'

Das Fahrerhaus ist nicht das, was man sich als Trucker wünscht. Aber für den Buschfahrer Solofo ist es sein Arbeitsplatz und sein Übernachtungsort. Seine Touren dauern mehrere Tage und er weiss aufgrund des misslichen Pistenzustandes nie, wo er jeweils übernachten wird.

'Ich vermeide Nachtfahrten. Die klapprigen Holzbrücken sind schwer einzuschätzen und es gibt Krokodile. Wenn möglich campieren wir abends und kochen unseren Reis auf einem Holzfeuer'. Die Mitreisenden schlafen irgendwo auf dem Feld oder auf der geladenen Fracht. Ich mache es mir in der Kabine wohnlich'.

Original Saurer-Motor. Bosch ebenso. Damals war Qualität eben noch nicht einfach nur ein Werbeslogan. Solofo liebt das stille Tuckern seines 6-Zylinder-Reihenmotors. 'Noch nie', sagt er: 'hat der Motor versagt'.

'Ich kenne das Geheimnis nicht, aber der Motor verbraucht kaum Öl. Er startet auch beim ersten Dreh. Die heutigen Lastwagen mit dieser Elektronik bleiben dauernd stehen. Das ist nichts für ein Land wie Madagaskar. Mein Saurer fährt immer'.

Natürlich sieht auch Solofo die schönen Trucks, die an der RN2 vorbeidonnern. Meist sind es Occasion-Sattelschlepper aus Europa. 'Aber dort draussen im Busch vertraue ich auf meinen Saurer', sagt der 32-Jährige, der früher auch auf Asphalt gefahren ist: 'Ich mag die Herausforderung von Laterit, Schlamm und unwegsamen Pisten'.

'Ich war vorher als Fahrer eines Sattelschleppers unterwegs und habe Container transportiert. Das war eine gute Arbeit, aber meine Frau hat mich selten gesehen. Zudem war ich nur ein Sklave, der jederzeit überall sein sollte und immer zu spät war. Jetzt bin ich hier in der Region der 'transporteur de brousse' (Buschtransporteur) und wohin ich auch komme sind die Leute froh, mich und meinen Saurer zu sehen'.

Das Stahlseil ist immer dabei. Die Seilwinde funktioniert aber nicht mehr. 'Aber mit dem Seil ziehe ich liegengebliebene Fahrzeuge aus Schlammlöchern. Mich selber mussten schon Zebuochsen aus dem Morast befreien', sagt Solofo und fügt bewundernd an: 'Nichts kann dieses knüppeldicke Stahlseil brechen. Zum Glück wurde es mit dem Saurer geliefert.'

'Wenn ich stecken bleibe, dann müssen auch die Passagiere mithelfen. Auf Fahrt sind wir ein Team. Es gibt nicht Passagiere und LKW-Mannschaft. Alle müssen ran. Aber wir teilen beim nächtlichen Camp und beim Abendessen das, was wir haben'.

Wie alle Leute in Madagaskar mag auch Solofo Reis: am Morgen, am Mittag und am Abend. Unterwegs gibt's als Zwischenverpflegung Bananen oder Mofo Ravina: ein in Bananenblättern eingewickelter Reis-Bananen-Brei. Er hat immer auch eine Aluminiumpfanne dabei, um auf Holzfeuer Reis zu kochen.

'Wir haben immer genügend Essen mit dabei. Wasser finden wir in den vielen Bächen. Auch für den Saurer, falls er mal Durst hat. Wir sind unkompliziert. Wenn jemand unterwegs mal muss, dann halte ich an - und alle müssen dann auch'.

Das Fahrgebiet von Solofo und seinem Saurer liegt abseits der geteerten Strassen. Hier sind die kleinen Bäche und Flüsse das Hauptproblem. Oft muss er die Holzbrücken ausbessern. Während der Regenzeit (November bis März) werden auch die Naturpisten zu üblen Schlammwegen, durch die Solofo seinen Saurer mit hohen Drehzahlen durchpeitscht. Dann liegt der Spritverbrauch bei 100 Litern.

'Ich kenne meine Route. Aber bei ein paar dieser Holzbrücken muss mein Helfer erst schauen gehen, ob alles ok ist. Manchmal gehe ich auch selber kontrollieren. Und manchmal lasse ich die Mitfahrenden absteigen und fahre allein über die Brücke. Oft habe ich 20 oder 30 Leute hintendrauf. Ich will kein Risiko für sie eingehen'.

Draussen in den Dörfern ist der Saurer ein gern gesehener Gast. Er bringt Nachschub und Solofo hat auch was zu erzählen von der grossen Welt hinter den Hügeln. Die Leute lassen sich gern mit dem Saurer fotografieren: er ist Symbol für Technik und Fortschritt.

'Unterwegs gibt es keine Motoren. Nicht mal Generatoren für Strom. Für viele Dörfer bin ich wie Vogelgesang. Sie kennen den Sound meines Saurer-Motors von Weitem und erwarten mich im Dorf'.

Dort, wo der Saurer nicht mehr weiterfährt, arbeiten Lastenträger und allenfalls noch Fahrradtransporteure. Sie machen die Feinstverteilung der Waren. Auch sie sind tagelang unterwegs, um beispielsweise das Luxusprodukt Bier in die entlegenen Dörfer zu transportieren. Tagesleistung eines Lastenträgers: 20 Flaschen Bier über 20 Kilometer. Alles auf einer Bambusstange über der Schulter getragen. Und barfuss natürlich.

'Wenn ich nicht mehr weiterkomme, dann gibt es nur noch Fusswege. Das wissen die Leute und akzeptieren es. Der Staat macht ja in Sachen Strassenbau hier im Hinterland nichts. Die Politiker fördern nur jene Strassen, wo sie dann auf dem Asphalt mit ihren Allradfahrzeugen noch bequemer fahren können. Hier auf den Ochsenkarrenwegen geschieht nie was.'

Solofo wartet auf die Rückfracht. Das kann dauern.

'Manchmal warte ich mehrere Tage auf Rückfracht. Treibstoff für den Rückweg habe ich immer dabei. Es stört mich nicht, auf die Waren zu warten. Aber wenn geladen ist, dann fahre ich. Auf die Leute warte ich nicht. Aber die sind ja meist auch schon da und begleiten meine Wartezeit'.

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Die Reiseorganisation PRIORI wurde in Madagaskar vom (ehemaligen, aber im Herzen immer noch) Fernfahrer Franz Stadelmann gegründet. Er ist Autor des Orientfahrer-Romans Dieselstrasse. In Madagaskar organisiert er auch Truck-Spotting-Touren wie kommenden September: Reisen mit dem Ziel, Lastwagen zu sehen und zu fotografieren. Infos dazu unter info@priori.ch

Credits:

Franz Stadelmann, PRIORI Madagaskarhaus Basel

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