Mit dem Mountain Drive auf dem Jakobsweg quer durch die Schweiz Karin Jost

JST Mountain Drive hat seine Feuerprobe bestanden

Über insgesamt 13 Tage hinweg, täglich um die 40 Kilometer Strecke, bei Wind und Wetter hat der JST Mountain Drive seine Feuerprobe bestanden. Auf dem Schweizer Abschnitt des Jakobsweges wurden an 13 Tagen insgesamt knapp 500 Kilometer zurückgelegt und dabei über 6'100 Höhenmeter überwunden.

In Ihrem Reisebericht schildert unsere „Testfahrerin“ Karin Jost eindrucksvoll ihre Erlebnisse mit dem JST Mountain Drive, den Menschen auf ihrer Reise und den Unwägbarkeiten einer Rollstuhl-Wanderung auf dem Schweizer Jakobsweg von Rorschach nach Genf.

17.08.2017

Tag 1 Rohrschach – St. Gallen (20,2 km) (Aller Anfang ist schwer)

Heute startet mein Abenteuer: ich will die Schweiz vom Bodensee bis zum Genfersee auf dem Jakobsweg mit dem Mountain Drive durchqueren. Meine Eltern fahren mich nach Rohrschach. Zugegeben, etwas mulmig ist mir schon, immerhin liegen gegen 500 km mit dem Rollstuhl vor mir und da der Jakobsweg streckenweise auch mit Fahrrädern nicht befahrbar ist, werde ich mich an die Fahrradroute des Jakobsweges halten, wobei ich aber nicht weiss, ob ich die Wege für die Fahrräder auch mit dem Rollstuhl werde befahren können. Weiter muss der Mountain Drive doch ein beträchtliches Gewicht mitziehen (Anhänger mit Ersatzakkus, Ladegeräte, Rucksack mit Kleidern, Schlafsack etc.) und da ich unter diesem schwer beladenen Zustand und solch „steilen“ Bedingungen noch keine Erfahrungswerte bezüglich Reichweite mit den Akkus habe, habe ich auch keine Übernachtungen vorgebucht und werde dies spontan organisieren müssen. Auch bin ich noch nie für längere Zeit alleine gereist und werde viele Entscheidungen alleine treffen müssen, wie werde ich damit zurechtkommen? Nach einem gemeinsamen Mittagessen mit meinen Eltern ziehe ich los. Das Wetter ist super und ich geniesse die ersten Kilometer Fahrt in Richtung St. Gallen. Mein GPS-Track leitet mich einen Weg am Waldrand hinunter, unten angekommen, realisiere ich, dass der Aufstieg auf der anderen Seite voller Stufen ist, mit dem Fahrrad durchaus passierbar, mit dem Rollstuhl und Anhänger habe ich aber keine Chance dort hochzukommen und muss den ganzen Weg wieder zurückfahren. Auf der Karte schaue ich mich nach einer Alternativroute um, mitten auf dieser treffe ich dann auf eine Baustelle, der ganze Weg ist aufgerissen, ein Durchkommen unmöglich. Einer der Bauarbeiter erklärt mir eine weitere Route, für die ich aber ein beträchtliches Stück wieder zurückfahren muss. Dieser Weg ist sehr steil und voll lockeren Kies, die Räder drehen durch, ich komme nicht mehr weiter, muss absteigen und versuche den „durchdrehenden“ Rollstuhl irgendwie den Berg hochzubekommen. Völlig erschöpft komme ich oben an und bereits nach wenigen Kilometern frage ich mich ernsthaft, ob die ganze Aktion wirklich eine gute Idee war und wie ich es so jemals bis nach Genf schaffen soll. Als dann kurz danach auch noch der „grosse“ Akku schon nach etwa 10 km schlapp macht, könnte ich heulen. Mit den beiden anderen „kleinen Akkus“ fahre ich dann bis St. Gallen und beschliesse, in der Pilgerherberge St. Gallen nach einem Bett zu fragen. Glücklicherweise hat es noch Platz und ich werde sehr lieb aufgenommen, lerne zwei andere Pilger kennen und den Rollstuhl kann ich netterweise über Nacht dem benachbarten Velo- und Mofageschäft in Obhut geben.

18.08.2017

Tag 2 St. Gallen – Wattwil (39,5 km)

Um 08.00 Uhr gehe ich den Rollstuhl aus dem Velogeschäft holen und mache mich gleichzeitig mit dem Radpilger startklar. Er ist von meinem Gefährt begeistert und fragt, ob er Fotos davon machen dürfe. Wir verabschieden uns voneinander und gehen davon aus, dass er mit seinem Fahrrad schneller sein wird als ich. Guten Mutes starte ich in diesen heissen, sonnigen Tag. Der Weg ist hügelig aber sehr schön und es stellen sich mir keine grösseren Probleme. Einzig eine etwas brenzligere Situation: auf einer Passstrasse wird aufgrund einer Baustelle der Verkehr über eine längere Strecke nur einspurig geführt und ist mit Signalanlage geregelt. Ich realisiere, dass ich es nicht schaffe, die ganze Strecke während einer „Grünphase“ zu passieren, die Autofahrer sind aber sehr verständnisvoll, manche winken mir sogar fröhlich zu und wünschen mir einen „Buen Camino“. Über Mittag kann ich sogar einen meiner kleinen Akkus in einem Gasthof nachladen. In St. Peterzell beschliesse ich, den nächsten „Hügel“ auch noch zu fahren, da das Wetter am nächsten Tag nicht so gut sein soll und auf der nächsten Etappe dann der Laadpass auf mich wartet. Ich übernachte im Kloster in Wattwil und mit meiner letzten Batterieenergie fahre ich dort ein. Zu meiner grossen Überraschung treffe ich dort wieder auf den Radpilger, von dem ich mich am Morgen verabschiedet hatte. Ein tolles Wiedersehen und ein schöner Abend. Während der Nacht stürmt es heftig und ich bin froh, dass ich gestern entschieden habe, noch bis hierhin zu fahren.

19.08.2017

Tag 3 Wattwil – Rapperswil (30,9 km)

Der nächste Morgen, es ist deutlich kühler geworden, die Strassen sind nass und es liegen Äste und Blätter vom Sturm letzte Nacht herum, aber es regnet nicht mehr. Gleich nach Wattwil beginnt der Aufstieg zum Laadpass, nach kurzer Zeit muss ich etwas an den Rand fahren damit ein entgegenkommendes Auto durchfahren kann. Als ich wieder losfahren will, geht nichts mehr, ich warte etwas, versuche die Steuerung wieder anzuschalten – nichts, ich ziehe die Batterie etwas heraus und schiebe sie wieder hinein – nichts, ich schaue von aussen bei der Batterie, sie ist noch zu Dreiviertel voll. Ich bin erst etwas mehr als drei Kilometer gefahren und dies mit der grossen Batterie, ich vermute, dass es irgendwie mit einer Über-/Unterspannung in Zusammenhang steht und wechsle die Batterie, mit der anderen funktioniert es glücklicherweise wieder und ich fahre etwas weiter. Der Weg ist sehr steil und ich komme nicht weit, als sich auch diese Batterie verabschiedet. Nun stehe ich da mausbeinallein am Berg, Irgendwo im Nirgendwo, zwei von drei Akkus sind ausgestiegen, weit und breit kein Haus und nichts zu sehen und zu meinem Entsetzen stelle ich auch noch fest, dass ich keinen Handyempfang habe. Ich befürchte, dass auch der letzte Akku aussteigen wird und beschliesse zu versuchen, mit dem letzten funktionierenden Akku das ganze Gefährt elektrisch stossen zu lassen und nebenher zu laufen, vielleicht, so meine Hoffnung, liessen sich die Akkus mit dem Ladegerät und einer Steckdose wieder zum Leben erwecken, dafür musste ich aber erst zu einer Steckdose kommen. Nach gefühlten Stunden gelange ich zu einem Bauernhaus, wo die Akkus zu meiner Erleichterung tatsächlich nach kurzem Einstecken wieder funktionieren. Die Abfahrt verläuft dann problemlos und ich treffe am Seeufer entlang fahrend in Rapperswil ein, wo ich in der Pilgerherberge übernachten werde. Ich warte in der Nähe, da ich noch etwas früh bin und die Herberge noch nicht geöffnet hat, da spricht mich ein Mann an und meint, ich sei doch vor etwa zwei Tagen in St. Gallen gewesen, er sei dort Buschauffeur und er sei sicher, dass er mich dort gesehen habe. Mit dem netten Hospitaliero der Herberge und einem ungarischen Mitpilger verbringe ich einen netten Abend.

20.08.2017

Tag 4 Rapperswil – Einsiedeln (1 9,7 km)

Es ist Sonntagmorgen, alles ist friedlich, vom gestrigen samstagabendlichen Trubel ist nichts mehr zu spüren, von Rapperswil aus starte ich über den Damm nach Pfäffikon. Am Ende des Dammes sehe ich einen Mann mit einem Fotoapparat stehen, erst als ich näher komme, erkenne ich einen Kollegen meines Vaters der dort in der Nähe wohnt – was für eine Überraschung, wir gehen einen Kaffee trinken und unterhalten uns, bevor ich den Etzelpass in Angriff nehme. Der Etzelpass ist relativ kurz aber heftig, will heissen, ich hatte das bekannte Problem mit den Batterien, mit der letzten funktionierenden bin ich dann jeweils ein Stück gelaufen bis zum nächsten Bauernhaus respektive bis zur nächsten Steckdose. Nachdem der höchste Punkt überwunden war, hatte ich dann keine „batterietechnischen“ Probleme mehr. Während der Abfahrt hat mich dann ein Herr angesprochen, es hat sich herausgestellt, dass er den Jakobsweg bis Spanien selbst einmal gelaufen ist und hat mir diverse „Pilgertipps“ mit auf den Weg gegeben. In Einsiedeln angekommen, habe ich mich erst Mal auf einer Bank etwas ausgeruht, da hat sich eine Frau in meine Nähe gesetzt und wir sind ins Gespräch gekommen, nach einer Weile ist sie aufgestanden, hat gesagt sie komme gleich wieder und hat mir einen Kaffee gebracht – einfach so. Da ich einen Teil des Etzelpasses laufen musste, habe ich recht viel Zeit gebraucht und da auf der nächsten Etappe die Haggenegg (der höchste Punkt auf dem Schweizer Jakobsweg) wartete, und der Nachmittag schon recht fortgeschritten war, habe ich beschlossen, mir eine Unterkunft in Einsiedeln zu suchen. Auf dem Weg zur Unterkunft bin ich dann auch noch mit einem Carchauffeur ins Gespräch gekommen. Obwohl ich an diesem Tag „nur“ 19,7 Kilometer geschafft hatte, hatte ich den ganzen Tag über so viele tolle Begegnungen mit einzigartigen Menschen, dass ich darüber überhaupt nicht frustriert war.

21.08.2017

Tag 5 Einsiedeln – Brunnen (32,3 km)

Das Wetter ist heute etwas bewölkt und ich habe mich erkältet. Hustend und schnupfend mache ich mich in Richtung Haggenegg auf. Nach einer Weile unterwegs treffe ich auf meine Eltern, sie bringen mir ein „Batteriespannungsmessgerät“, wir wollen schauen, wie sich die Batteriespannung unter diesen extremen Bedingungen verhält und ob sich die „Batterieausfälle“ damit erklären lassen. Die Haggenegg stellt zwar den höchsten Punkt am schweizerischen Jakobsweg dar, da sich der Aufstieg aber über mehrere Kilometer hinzieht, hatte ich was die Akkus betrifft keine Probleme. Vom höchsten Punkt aus hat man dann eine wunderschöne Aussicht auf die Mythen, Schwyz, den Vierwaldstättersee etc. Die Abfahrt nach Schwyz und dann Brunnen ging sehr gut und unten angekommen war der Blick Richtung Haggenegg sehr eindrücklich. Übernachtet habe ich im Kloster Ingenbohl, dort habe ich auch den ungarischen Pilger, den ich in Rapperswil kennen gelernt hatte, wieder getroffen sowie eine weitere Pilgerin aus Deutschland. Die Nonne, die „Pilgerdienst“ hatte, war sehr lustig, sie hat sich Sorgen gemacht, dass jemand den Rollstuhl stehlen könnte, auch hat sie darauf bestanden, dass ich 2.50 weniger zahlen musste, da ich zum Frühstück mein glutenfreies Brot dabei hatte.

22.08.2017

Tag 6 Brunnen – Lungern (58 km, davon ca. 17 mit Schiff)

Für das Frühstück am nächsten Morgen war eine andere Nonne für die Pilger zuständig. Sie sagte, ihre Mitschwester hätte ihr erzählt dass ich mit einem elektrischen Rollstuhl auf dem Jakobsweg unterwegs sei, ob das stimme, und ob ich den damit ernsthaft über die Haggenegg gekommen sei. Als ich dies bejahte, schaute sie mich ganz erstaunt an, etwas später fragte sie dann, da müsse ich aber gute Bremsen haben, als ich ihr dann sagte, dass ich gar keine Bremsen habe, schaute sie mich völlig ungläubig an. Ich habe ihr dann versucht zu erklären, dass dieser Rollstuhl ein Schneckengetriebe besitzt, welches selbsthemmend ist und deshalb keiner Bremsen bedarf. Der „Wandertag“ beginnt mit einer wunderschönen Schifffahrt von Brunnen nach Buochs. Über Stans, Kerns uns Sachseln gelange ich nach Giswil, wo ich bei einem Bauern netterweise die Akkus wieder etwas aufladen kann. Weiter geht der Aufstieg über Guggendossen nach Bürgeln und schliesslich nach Lungern. Dort übernachte ich bei einem Bauern im Stroh, das habe ich vorher auch noch nie gemacht. An diesem Abend übernachtet noch eine andere Pilgerin dort, sie kommt auf mich zu und sagt: „Gell, du bis die Karin aus Bern“?, ich schaue sie erstaunt an und sie erzählt, dass sie auf einer vorderen Etappe den Radpilger getroffen hat, der mit mir in St. Gallen und Wattwil war, er hat ihr von mir erzählt und ihr ganz begeistert die Fotos von mir und dem Mountain Drive gezeigt. Wir essen zusammen zu Abend, unterhalten uns über Gott und die Welt und verstehen uns super. Morgen steht die Überquerung des Brünigpasses an, diese bereitet mir etwas Sorgen, nicht unbedingt wegen der Höhe, aber ich weiss, dass ich für die Abfahrt auf die stark befahrene Passstrasse ausweichen muss, da der Fussweg unter keinen Umständen befahrbar ist.

23.08.2017

Tag 7 Lungern – Matten (51,3 km, davon ca. 17 mit dem Schiff)

Ich habe sehr gut geschlafen in diesem Stroh, hätte ich nicht gedacht. Die andere Pilgerin ist schon sehr früh aufgebrochen, im Vorraum zum Stall finde ich auf einer Serviette eine Notiz von ihr, daneben ein gekochtes Ei, sie wünscht mir alles Gute zum Geburtstag (wieso weiss sie dass ich heute Geburtstag habe?), das Ei möge mir Kraft für die Überquerung des Brünigpasses geben – ich bin sehr gerührt. Für den Aufstieg zum Brünigpass kann ich den Veloweg benützen, der ist zwar steil und hat viel lockeren Kies, so dass das Batterie-Management-System der Akkus wieder etwas Mühe hat. Den letzten Teil des Aufstieges laufe ich dann halt wieder ein Stück. Beim Bahnhof auf der Passhöhe kann ich die Akkus wieder „aktivieren/laden“. Die Abfahrt auf der Brünigpassstrasse gestaltet sich dann trotz des hohen Verkehrsaufkommens nicht so schlimm wie befürchtet, ich bin aber trotzdem froh, als ich heil in Brienzwiler eintreffe. Von dort aus fahre ich in Richtung Giessbachfälle. Dort angekommen, habe ich ein Problem: der ausgeschilderte Veloweg nach Iseltwald ist gemäss den hochkommenden Velofahrern keinesfalls mit dem Rollstuhl befahrbar, sie regen sich sogar darüber auf, dass sie das Fahrrad über Steine etc. hieven mussten und dieser Weg überhaupt als Fahrradweg gekennzeichnet ist. Auch der Weg an die Schiffländte bei den Giessbachfällen sei laut den Wanderern nicht befahrbar, wäre ich nur mit dem Rollstuhl unterwegs gewesen und hätte nicht noch den Anhänger mit dabei gehabt, hätte ich es wohl einfach mal probiert, so war mir aber das Risiko doch zu gross. Die letzte Variante, mit der Bahn zur Schiffländte hinunterzufahren scheiterte am Unwillen des Bahnpersonals, so bin ich halt wieder nach Brienz runtergefahren um von dort mit dem Schiff weiterzukommen. Die Frau, die mir das Schiffticket verkaufte, fraget mich interessiert, ob ich den eine Reise durch die Schweiz mache, als ich bejahte, fragte sie: „also mit dem Postauto?“ Sie konnte sich wohl nicht ernsthaft vorstellen, dass ich den ganzen Weg über all die Pässe wirklich nur mit diesem Rollstuhl gefahren bin. In der Zwischenzeit habe ich die Nachricht erhalten, dass die beiden grossen Akkus eingetroffen sind und habe mit meinen Eltern in Bönigen für die Akkuübergabe abgemacht. Mit den neuen Akkus bin ich dann noch bis Interlaken/Matten gefahren wo ich dann auch übernachtet habe. Am Abend sind wir zur Feier des Tages noch Essen gegangen und ich habe einen schönen Abend mit meinen Eltern verbracht.

24.08.2017

Tag 8 Matten – Wattenwil (41,1 km)

Von Matten/Interlaken fahre ich dem Thunerseeufer entlang nach Spiez, Zwieselberg, komme gut voran und bin bereits gegen Mittag in Amsoldingen, ich beschliesse noch ein wenig weiterzufahren. In Wattenwil sehe ich, dass es bis Riggisberg einige Höhenmeter zu bewältigen gilt und da meine Akkus alle ziemlich aufgebraucht sind, beschliesse ich, bei einem Bauernhaus zu fragen, ob ich die Akkus etwas laden darf. Ich klingle beim Bauerhaus, aber es scheint niemand zu Hause zu sein, da kommt eine Frau und fragt, ob ich auch zu der Soundso wolle wegen den Zwetschgen, als ich verneine und ihr mein „Stromproblem“ schildere, sagt sie, ich solle doch zu ihr die Akkus laden kommen, sie wohne nur ein paar Häuser weiter. So bin ich dann zur ihr gegangen und wir haben die Akkus an die Ladegeräte gehängt. In der Zwischenzeit hat sich der Himmel überzogen und es war offensichtlich ein Gewitter im Anmarsch. Die Frau hat gesagt, ich solle doch den Rollstuhl mitsamt Anhänger in den Garten zügeln, wir haben ihn dann in die Pergola verbracht. So kam es, dass ich bei wildfremden Menschen im Garten gesessen habe, mit Ihnen über Gott und die Welt geplaudert, Tee getrunken und dem Gewitter zugeschaut habe. Nach etwa drei Stunden haben wir auf dem Regenradar gesehen, dass es wohl noch zwei, drei Stunden so weiterregnen wird, ich habe dann herausgefunden, dass ein paar Häuser weiter, eine B&B-Unterkunft ist und beschlossen, heute nicht mehr weiterzufahren und dort zu übernachten.

25.08.2017

Tag 9 Wattenwil – Fribourg (44,1 km)

Nach den gestrigen Regenschauern ist das Wetter heute wieder gut. Über Riggisberg, Schwarzenburg, Heitenried, Tafers gelange ich nach Fribourg. Die Strecke ist wunderschön und obwohl eher hügelig treten keine Probleme auf. Ich übernachte in der Pilgerunterkunft des Franziskanerklosters und der Rollstuhl und der Anhänger nächtigen im frisch renovierten Gang des Klosters. In der Unterkunft treffe ich auf ein deutsches Pilgerpaar, auch sie wollen bis nach Genf pilgern.

26.08.2017

Tag 10 Fribourg – Curtilles (41,9 km)

Vorsichtig mache ich mein Gefährt mit Anhänger startklar. Es ist ein spezielles Bild, der dreckige, staubige Rollstuhl und der Anhänger stehen im frisch renovierten Gang des Klosters und ich gebe mir Mühe, ja nichts zu beschädigen. Ich fahre durch Fribourg und gelange über schöne Wege zu einem Kloster, dort ist der ausgeschilderte Weg für mich leider nicht befahrbar, ich schaue mich mit meinem Smartphone nach einer Alternative um, da kommen drei ältere Damen auf mich zu und fragen mich, ob ich „perdu“ sei. Als ich grundsätzlich verneine, aber sage dass ich mit meinem Gefährt einen anderen Weg suchen müsse, reden sie gleichzeitig zu dritt auf Französisch auf mich ein, jede hat einen anderem „chemin“ den sie für den Geeignetsten hält. Als ich wohl etwas hilflos dreinschaue, können sie sich auf einen Weg einigen, den sie mir dann erklären. Eine der Damen besteht darauf, dass ich mir ihre Handynummer aufschreibe, soweit ich verstanden habe, ist ihr Mann zwischen Romont und Genf für die Unterhaltung des Jakobsweges zuständig und ich solle sie unbedingt anrufen falls ich „perdu“ sei, irgend un problèm habe oder etwas mit dem „chemin“ nicht in Ordnung sei. Wir verabschieden uns und schon bald bin ich wieder auf dem „richtigen Weg“, treffe unterwegs auch noch das deutsche Pilgerpaar wieder mit dem ich in Fribourg übernachtet habe und gelange nach Romont. Von dort fahre ich noch etwas weiter nach Curtilles, wo ich bei einer sehr netten Frau übernachten kann. Es stellt sich heraus, dass wir nur ein paar Dörfer entfernt voneinander aufgewachsen sind, wir können uns daher auf Deutsch unterhalten. Sie hat die Grosskinder zu Besuch und wir verbringen einen schönen Abend zusammen. Gegen Abend ruft mich noch mein Bruder an, er will mich morgen (Sonntag) eine Etappe mit dem Fahrrad begleiten, wir verabreden uns für den nächsten Morgen am Bahnhof in Moudon.

27.08.2017

Tag 11 Curtilles – Lausanne (37,8 km)

Nach einem gemütlichen Frühstück mache ich mich auf den Weg von Curtilles nach Moudon wo ich mit meinem Bruder abgemacht habe. Ich freue mich sehr, für eine Etappe Begleitung zu haben und so ziehen wir los. Gegen Mittag halten wir langsam Ausschau nach einem Ort wo wir etwas Essen können. Wir sind auf einer geteerten Nebenstrasse unterwegs, da überholt uns ein älterer Mann mit dem Fahrrad, komischerweise wird der plötzlich langsamer und fällt dann kurz vor uns um wie ein gefällter Baum. Aufgrund der Art wie der gefallen ist, wird mir sofort klar, dass er ein gravierendes medizinisches Problem haben muss, die Strasse ist topfeben geteert, kein Hindernis weit und breit und es sieht auch nicht danach aus als hätte er das Gleichgewicht verloren oder wäre ausgerutscht. Ich eile zu ihm hin und bemerke, dass er nicht bei Bewusstsein ist, weder Atmung noch Puls hat und beginne sofort mit Herzdruckmassage. Mein Bruder alarmiert währenddessen die 144, leider haben wir keine Ahnung wo wir sind, glücklicherweise kommt ein ortskundiges französischsprechendes Pärchen dazu, welches die Alarmierung übernimmt/weiterführt. Ich sage meinem Bruder, dass er das Fahrrad, welches noch halb unter dem Mann liegt, entfernen soll, so kann ich ihn noch ein bisschen optimaler positionieren, was aber leider auch dazu führt, dass ich ihm mit einem hässlichen Geräusch noch ein paar Rippen mehr breche/brechen muss. Mittlerweile sind ein paar Minuten vergangen, langsam gehen mir die Kräfte aus, es ist sehr anstrengend über längere Zeit alleine eine suffiziente Herzdruckmassage durchzuführen. Der Mann röchelt Mann komisch, zum Glück weiss ich, dass ich weiter reanimieren muss und dies keineswegs Ausdruck wiedergewonnener Vitalfunktionen ist. Nach etwa zehn Minuten kommt ein weiterer Mann hinzu, der mit CPR vertraut ist und wir können uns jetzt abwechseln. Nach etwa 15 Minuten kommt endlich die Sanität und kurz darauf auch noch zwei Notarztwagen, jetzt geht die Reanimation mit Beatmung und Defibrillator auf Französisch weiter, nach der zweiten erfolglosen Schockabgabe durch den Defibrillator, befürchte ich, dass die Reanimationsmassnahmen bald abgebrochen werden und wir den Mann definitiv verloren haben. Erst als der Defibrillator nach der dritten Schockabgabe wieder eine elektrische Aktivität des Herzens registriert, schöpfe ich wieder etwas Hoffnung. Als er dann einige Zeit später auch wieder spontan zu atmen beginnt und die Gesichtsfarbe wieder etwas rosiger aussieht, macht sich bei mir etwas Erleichterung breit. Der Mann wird intubiert, in ein künstliches Koma versetzt, wir helfen noch, ihn in die Ambulanz zu verladen und mit Blaulicht und Sirene wird er abtransportiert. Mit einem der Notarztteams warten wir auf die Polizei, die das Fahrrad abholen kommen soll. Während wir warten, kommt ein Mann mit dem Fahrrad auf uns zu und fragt, ob wir ihm eine Pumpe hätten, sein Hinterrad hätte etwas wenig Luft, wir helfen ihm sein Velo zu pumpen, er dankt uns freundlich und fährt zufrieden davon. Der Schreck sitzt uns natürlich noch gewaltig in den Knochen und angesichts der hochdramatischen Szenen die sich nur wenige Minuten zuvor an dieser Stelle abgespielt haben, erscheint uns diese Situation unglaublich surreal. Wir warten weiter und nun fängt es auch noch an zu regnen, das Notarztteam hat keine Ahnung wo die Polizei steckt und wie lange das noch dauern wird, so nehmen sie meinen Namen und die Handynummer auf, sagen, dass sie die Daten der Polizei weiterleiten werden und lassen uns weiterziehen. Überwältigt vom eben Erlebten fahren wir weiter und beschliessen, obwohl mittlerweile mitten im Nachmittag, doch noch einen Ort zu suchen wo wir etwas Essen können, den finden wir dann auch. Während wir versuchen, unseren erhöhten Adrenalinspiegel etwas abzubauen, kriegt mein Bruder einen Anruf von der Polizei, da wir die ersten vor Ort waren, wollen sie uns noch ein paar Fragen stellen, seine Nummer hatten sie, weil er den Notruf abgesetzt hatte. Sie sind dann zu uns gekommen und wir haben mit meinen GPS-Daten rekonstruieren können, wo sich das Ganze abgespielt hat und die Ereignisse auf Englisch/Französisch zu Protokoll geben können. Wie die Geschichte ausgegangen ist/sich weiterentwickelt hat, wissen wir leider nicht. Wir haben unser Möglichstes getan, da der Mann grundsätzlich einen sportlichen, gesunden Eindruck machte und wir sofort reagieren konnten, hoffen wir fest, dass er es, abgesehen von den gebrochenen Rippen, gut überstehen wird. Am Bahnhof in Lausanne verabschiede ich mich von meinem Bruder und beziehe meine Unterkunft in Lausanne.

28.08.2017

Tag 12 Lausanne – Gland (41,3 km)

Ich erwache mit üblem Muskelkater von der gestrigen Reanimationsaktion und habe grosse Mühe vom Hochbett im Hostel runterzukommen. Da ich mich ja aber bald in den superbequemen Rollstuhl setzen kann, bin ich darüber nicht weiter beunruhigt. Von Lausanne geht der weitere Weg Mal durch kleine schöne Dörfer mitten in den Rebbergen, mal wieder am Seeufer entlang. Unterwegs treffe ich einen Pilger, der mich anspricht, er kennt mich und mein Gefährt bereits von Fotos und Erzählungen und freut sich sehr, dass er mich jetzt auch noch in Natura trifft, er hat die Informationen vom Radpilger, den ich am Anfang meiner Reise in St. Gallen und Wattwil getroffen habe. Unter den Pilgern, die momentan auf dem Weg sind, scheint bekannt zu sein, dass da eine mit einem elektrischen Rollstuhl unterwegs ist – Radio Camino funktioniert und da ich zwar langsamer unterwegs bin als die Radpilger aber etwas schneller als die Fusspilger treffe ich immer wieder neue Leute auf dem Weg. Ich gehe, respektive fahre ein Stück mit ihm und bei jedem Hindernis geht er etwas vor in der Erwartung und der Absicht, mir helfen zu wollen. Nachdem ich verschiedenste Hindernisse problemlos und ohne Hilfe mit dem Mountain Drive mitsamt Anhänger überwunden habe, ist er einfach nur noch sprachlos und begeistert. Später treffe ich dann noch auf einen anderen Pilger, er geht aber noch etwas weiter während ich in Gland übernachte. Ich habe dort ein ganzes Gîtes für mich allein.

29.08.2017

Tag 13 Gland – Genf (40,7 km)

Etwas wehmütig starte ich bei prächtigstem Wetter zu meiner (vorläufig) letzten Etappe nach Genf. Die Route führt wieder durch kleine schöne Dörfchen mitten in den Rebbergen und da hole ich auch den Pilger, der gestern noch etwas weiter gegangen ist, wieder ein. Wir freuen uns über das Wiedersehen und gehen noch zusammen einen Kaffee trinken. Kurz darauf sehe ich von weitem den Jet d’Eau, mein heutiges Ziel. Bis ich jedoch vom Hügel runter bin, dauert es noch eine Weile. Als ich dann unten bin, befinde ich mich noch auf der „falschen“ Seite des Jet d’Eau und muss noch ein ganzes Stück fahren bis ich auf die andere Seite komme wo meine Eltern bereits auf mich warten.

Ich schaue hinaus auf den Jet d’Eau und kann es noch nicht wirklich glauben. Vor 13 Tagen haben mich meine Eltern in Rorschach „ausgesetzt“ und nun holen sie mich, so braungebrannt wie noch nie, am anderen Ende der Schweiz wieder ab. Ich bin einerseits wahnsinnig froh, hat alles so gut geklappt, andererseits bin ich auch etwas traurig, da die Reise hier vorläufig zu Ende ist, aber wer weiss, bis Santiago gibt es ja noch ein paar Kilometer Jakobsweg ;-)

Erkenntnisse betreffend des Mountain Drive

Unterwegs war ich mit einem Mountain Drive Prototypen, der ausser einem anderen Getriebe (40:1-Übersetzung im Vergleich zu 100:1) in den Grundzügen gleich aufgebaut ist wie die „Stockhornrollstühle“ und mit diesem Getriebe/ dieser Übersetzung eine Maximalgeschwindigkeit von 12,5 km/h erreichte. Am Anfang und über die Pässe bis Bönigen hatte ich einen „grossen“ Akku (53 Ah) und zwei „kleine“ Akkus (30 Ah) dabei, ab Bönigen dann drei „Grosse“.

Die „Probleme“ mit den Batterien waren auf eine Über-/Unterspannung und die damit verbundenen Reaktionen des Batterie-Management-Systems zurückzuführen. Fairerweise muss man sagen, dass die Batterien natürlich extreme Bedingungen aushalten mussten und es ist gut vorstellbar, dass, hätte ich bereits zu Beginn drei „grosse“ Akkus gehabt, diese Probleme nicht oder weniger aufgetreten wären. Weiter wäre aufgrund der Erfahrungen dieser Reise, für eine allfällige „schnelle“ Version des Mountain Drive wahrscheinlich ein Getriebe mit einer 50:1-Übersetzung optimal, die Maximalgeschwindigkeit würde zwar rein rechnerisch „nur“ 10 km/h betragen, (wobei ich jetzt im „Alltag“ aufgrund der Umstände und Weggegebeneheiten ohnehin nur selten die Maximalgeschwindigkeit fahren konnte). Der Rollstuhl hätte so auch 20% mehr „Kraft“ und die Batterien würden so vielleicht auch weniger belastet.

Fest steht jedenfalls: 13 Tage lang bin ich täglich während mehrerer Stunden insgesamt fast 500 Kilometer über Stock und Stein etc. gefahren und habe dabei mehr als 6100 Höhenmeter zurückgelegt. Dabei hatte ich kein einziges Mal eine Panne – meiner Meinung nach hat der Mountain Drive den ultimativen Härtetest mit Bravour bestanden.

Persönliche Erkenntnisse dieser Reise

  • Reisen erweitert den Horizont. Die Schweiz ist landschaftlich unglaublich schön und vielfältig. Da ich meistens auf mich alleine gestellt war, habe ich mehr Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten bekommen und bin froh, dass ich dieses Abenteuer gewagt habe. Die Schweiz ist landschaftlich unglaublich schön und vielfältig.
  • Auch Umwege erweitern den Horizont. Während dieser Reise habe ich häufig erfahren, dass mir der „direkte, ursprüngliche“ Weg verwehrt geblieben ist und ich eine Alternativroute oder einen Umweg in Kauf nehmen musste. Was im ersten Moment jeweils etwas ärgerlich oder frustrierend war, stellte sich im Nachhinein oft als grosses Glück heraus. Häufig waren es gerade diese Umwege, die mich an einen besonders schönen Ort oder mir eine besondere Begegnung beschert haben.
  • Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machenObwohl ich alleine gereist bin, habe ich mich nie einsam gefühlt. Ich habe auf dieser Reise so viele tolle, herzliche und hilfsbereite Mitmenschen kennenlernen dürfen und bin sehr dankbar für diese wertvollen Begegnungen.
  • Man soll versuchen, jeden Augenblick zu geniessen, man weiss nie wann es vorbei ist.

Dank

Liebes JST-Team, vielen Dank, dass ihr mir für dieses Projekt einen Mountain Drive anvertraut habt, ohne den hätte ich diese Reise nicht realisieren können. Ich möchte mich herzlich bei Allen bedanken, die in irgendeiner Form zum Gelingen und zur Bereicherung dieser für mich einzigartigen und unvergesslichen Reise beigetragen haben!

Created By
BEAT AMBORD
Appreciate

Credits:

Mit dem Rollstuhl JST Mountain Drive auf Pilgerreise über den Jakobsweg. Ein Reisebericht mit vielen Facetten.

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