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Einem -Ismus auf der Spur: Pazifismus

Text: Julius Kasperger, Layout: Ramona Schön

Pazifismus also. Anders als andere -ismen, die lediglich theoretisch in den verschiedensten Nischen der Geisteswissenschaften diskutiert werden, ist dieser -ismus im Alltag allgegenwärtig:

Als Thema in der Popkultur, als leitendes Motiv bekannter Figuren aus Geschichte und Gegenwart, häufig öffentlich gelebt und gepredigt von religiösen Autoritäten. Landläufig verknüpft wird er mit den jährlichen Ostermärschen und der Friedensbewegung gegen den Nato-Doppelbeschluss in den 80er Jahren, aber auch mit dem “gandhischen” Weg Indiens in die Unabhängigkeit, John Lennons Botschaft universeller Liebe, Martin Luther Kings gewaltfreiem Protest und dem Friedensnobelpreis. Mit dieser Aufzählung ist das Reservoir an möglichen Assoziationen nicht mal angezapft, weshalb der Pazifismus mit Fug und Recht zu den „Evergreens“ der -ismen-Landschaft gezählt werden kann.

Zum großen Teil liegt dies daran, dass die Idee der unbedingten Ablehnung von Krieg und das Eintreten für Gewaltverzicht und Frieden Menschen mit den verschiedensten Gesinnungen hinter sich versammelt. Mit Blick auf die Auswirkungen von Gewalt und Krieg, das wohl Niederträchtigste und Leidvollste, was unsere Zivilisation zu Stande bringt, gehört eine Haltung für Frieden wohl zu dem, auf was sich viele als Minimalkonsens einigen können.

Den Erfolgen des Pazifismus steht die fundamentale Kritik an seinen konzeptionellen Schwächen gegenüber.

Kritik am pazifismus

Besonders kontrovers diskutiert wird dabei die Frage, ob ein zur Wehr setzen bei einer Gewaltanwendung, die auf die eigene Person abzielt und ungerechtfertigt ist, unter dem Pazifismus legitim sein kann. Die totale pazifistische Person würde den Angriff wohl über sich entgehen lassen, um die Angreifenden und deren moralische schwächere Position zu entlarven, auch wenn die Folge schwere Verletzungen oder der eigene Tod sind. Nur ein weiteres Dilemma betrifft den Vorwurf, Pazifismus gehe zu Lasten Dritter. Gegeben die Situation, dass ein Angriff das Leben einer/-s Außenstehenden gefährde, die pazifistische Person die Person schützen könnte, jedoch unbeirrt ihre Linie verfolgt, wird der/die Dritte zum Opfer von dessen Inaktivität.

Kritiker_innen behaupten weiter, dass in einer nichtidealen Welt eine gewaltlose Konfliktbearbeitung nicht immer greift und Frieden unter bestimmten Bedingungen mit Waffen erkämpft werden muss. In dieser Logik ist Pazifismus eine Leugnung von Realitäten, naiv und als Idee zwar vorbildlich, als “Rezept” aber zu unterkomplex und den Problemen nicht gewachsen. Vertreter_innen dieser Position ist etwa der Moralphilosoph Winfried Hinsch, Autor von Büchern wie “Menschenrechte militärisch schützen” oder auch “Die Moral des Krieges”.

Pazifismus in Zeiten des Friedens?

Nimmt man sich, ungeachtet der Kritik, eine Bestandsaufnahme des Pazifismus vor, kann gefragt werden, wo der Pazifismus von heute, außerhalb seines “klassischen” Metiers, anknüpfen kann. Äußerlich betrachtet lebt Deutschland seit bald 76 Jahren im Frieden. Pazifismus scheint in gewissen Maßen in der DNA der Bundesrepublik eingeschrieben zu sein, Hinsch spricht hier sogar von einer “heimlichen Staatsideologie”. Auslandseinsätze werden hier von lauten Debatten begleitet und tendenziell zögernder entschieden als anderswo. Andererseits: Mit deutschen Waffen wird in Kriegen gekämpft, autoritäre Herrscher, die Menschenrechtstandards verletzen, profitieren von deutschen Waffenexporten.

Zoomt man weiter nach innen, in die Gesellschaft hinein, kann man in den Sozialen Medien, beispielsweise in den Kommentarbereichen, neue „Schlachtfelder“ finden.

Die Kriegsmittel: Von Beleidigungen über Diffamierungen bis hin zu Morddrohungen. Ein Beispiel: Der Epidemiologe und Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach machte auf Twitter öffentlich, wie ein Nutzer forderte, ihn “nullkommaplötzlich” zu erschießen. Das hat keinen Seltenheitswert. Und nicht nur das: Dass diese Form von Diskurs sich in Taten übersetzt, beweisen nicht zuletzt der Fall Lübcke und die Nachereignisse der Präsidentschaftswahl in Amerika. Nicht wenige prophezeiten Bürgerkriegsgefahren, es kam schlussendlich zum gewaltsamen Sturm des Kapitols. Es gilt anzuerkennen, dass auch Kommunikation gewalttätig sein kann, bleibende Schäden und verbrannte Erde hinterlässt. Sollte die Diagnose lauten, dass die Polarisierungen im Austausch von Meinungen so weit gehen, dass der Maßstab der Gewaltfreiheit verloren geht, wäre dies alarmierend.

Pazifismus weiter gedacht

Pazifismus ist existent in der Frage, wie wir miteinander reden, was allein schon der Begriff “verbale Kriegsführung” belegt. Seine Wirkung aber reicht noch weiter, in die individuelle Ebene hinein. Auch im Verhältnis zu sich sind gewaltsame Auseinandersetzung ein Phänomen. Auf Schönheitsideale, Werbung, gesellschaftlichen- und Leistungsdruck kann der Eindruck von Ungenügsamkeit sich selbst gegenüber folgen, der sich in seelische Verletzungen übersetzen kann.

Abhängig davon, wie weit die Begriffe “Krieg” und “Gewalt” gefasst werden, kann Pazifismus uns eine Handlungsschnur im Umgang mit unserem Planeten und seinen Lebewesen inklusive uns selbst an die Hand geben. Erzählt uns nicht eine Reihe von Indikatoren, dass wir die Lebensgrundlage diverser Ökosysteme bekriegen?

Ist übermäßige Ressourcenabschöpfung und menschlich verursachter Klimawandel nicht auch eine Art Gewaltakt?

Die Auseinandersetzung mit dem Pazifismus trägt in verschiedenen Bereichen Früchte, weshalb sie sich lohnt.

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Campuls Hochschulzeitung
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Erstellt mit einem Bild von SutoriMedia - "peace graffiti street art"