#5 Hochtor
Skifahren, wo man zwischendurch lieber mal den Pickel zückt? Nicht jedermanns Sache. Nicht zu jederzeit. Am Faschingsmontag haben wir uns als wilde Steilwandskifahrer verkleidet und uns am höchsten Gipfel im Gesäuse versucht: auf dem Hochtor, 2369 Meter über dem Lei-Lei-Geschrei.
Sowohl Wegbegleiter Eddi als auch ich (Marlies) kennen das Hochtor nur von seiner Nordseite, von einem Tag im Sommer. Beide hatten wir schon einmal getrennt von einander die Idee einer Solobegehung der Jahn-Zimmer umgesetzt, einer leichten und langen Kletterei auf das Gesäuse-Oberhaupt. Eines wurde auch hier klar: Das Hochtor ist ein ernster Berg - von allen Seiten. Auch im Fasching ist mit ihm nicht zu scherzen.
Zurück zum Start, wieder einmal zum Kölblwirt. Heute ist unser Auto das erste, das hier parkt. In zwölf Tagen seit dem letzten Besuch bei der Tour auf den Festkogel hat die Sonne ihre Wirkung gezeigt. Ohne Abschnallen kommen wir diesmal nicht durch das erste Wald- und Wiesenstück. Ein Warmlaufen für das Ziel auf 2369 Meter - ohne viele Worte zu wechseln. So eine Ruhe hat man hier selten. Den bereits bekannten Weg vom Festkogel verlassen wir in einem Rechtsschwung mit Blick in die felsdurchsetzten Flanken des Hochtors. Zwei Wochen davor hatte ich mich noch gefragt: Wie und wo soll man hier bloß skifahrend durchkommen...
Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt
Das Wandfoto und die Tourenbeschreibung genau studiert, Infos einer Begehung (wenn auch nicht Befahrung) der letzten Tage eingeholt - so stoßen wir die Türe zum Hochtor auf.
In guter Stapfspur kommen wir kraftsparend voran - und liebäugeln bereits mit einer Abfahrt. Wolke, Wolke, Sonne, Wolke, Sonne, Wolke: Mit dieser Formel könnte sich doch ein fahrbarer Firn ergeben. Doch am Gipfelgrat begrüßt uns erstmal ein eisiger Wind. Huiiii... Das Bauchkribbeln steigt, je näher wir der Abfahrt kommen. Das Gipfelkreuz kommt mir als Hochspannungs-Leitung vor. Doch erst noch Staunen. Vom Höchsten im Gesäuse ins grüne Herz der Steiermark und ins heimatliche Oberösterreich. In die Tiefe. In die Weite. In uns selbst. Wow, ist das Bauchkribbeln heftig.
Bitte anschnallen. Der erste Blick führt über einen weißen Rücken ins Nichts. Ein kalter, harter Rücken, über den der Wind hinweg peitscht. Eddi setzt an - einen Schwung ins Leere. Ich hinterher, herantastend über die Stapfspur hinweg.
Nach dem erfolgreichen Annäherungsversuch strömen neben Adrenalin auch Endorphin und Serotonin durch den Körper. Steile Schwünge in der Kletterarena - die machen heute richtig Spaß!
Spulen wir das Kopfkino zurück: Wir nähern uns der engen Rinne. Im Aufstieg hätte ich nie an eine Abfahrt gedacht. Steilheit? Knapp 50 Grad. Breite? Hier passen an der engsten Stelle doch nie unsere Skier durch! Also Eddis zumindest nicht (meine Zwutschkerl vielleicht schon). Eddi fährt an. Tauscht vor der Engstelle den Skistock gegen den Pickel. Er tastet sich hinunter. "Das geht schon!", ruft er hinauf. Geht schon? Stürzt doch! Lieber doch die Steigeisen anziehen und absteigen? Schalten wir das Kopfkino ab. Eddi kann mich einschätzen nach ein paar steileren gemeinsamen Skitouren wie der Bosruck-Gipfelrinne zum Beispiel, der Pyhrgas-Südwest-Flanke. Bauchkribbeln. Trau ich mich? Nichts wie hinterher.
Haltungsnoten gibt's keine guten. Aber das ist mir so wichtig wie einem Atheisten das Amen im Gebet. Gar nicht. Den Pickel versenkt, geht's Schritt für Schritt hinunter. Halleluja, geschafft... Nach der Engstelle wird's nicht flacher, aber die Moral ist nicht mehr zwischen Felsen gepresst. Wir wagen einen Schwung im Ansatz. Wohooooo, läuft wieder! Noch ein paar Schwünge, bei denen Stürzen keine Variante ist. Durch den letzten Durchschlupf. Durchatmen. Kurz geht's mühsam über den aufgeweichten Lawinenkegel hinweg. Wir bleiben wir mit Kurs im Schneeloch. Das fährt sich wieder lässig! Wir queren zurück zur Aufstiegsspur. Eine Stunde früher dran als beim letzten Mal schmiert der Firn unter den Skiern so wie wir es uns nur wünschen können.
Nach kurzer Tragepassage im Waldstück flitzen wir die letzten Schneereste nützend über Felder, ehe wir zu guter Letzt durch einen Vorgarten zurück zum Auto stapfen. Der sachdienliche Hinweis der supernetten Besitzerin, die uns bereitwillig und ausdrücklich durch ihren Garten spazieren ließ: Beim Kölblwirt ist heute Kinderfasching...
Machen wir ausnahmsweise ein Bogerl um den Xeis-Wirt unseres Vertrauens - und den Einkehrschwung noch voll verkleidet in der Konditorei Stockhammer in Admont. Jetzt haben wir unsere Krapfen.
∗∗∗∗∗ Das war's: So viele Sternlein stehen ∗∗∗∗∗
Endorphin: ∗∗∗∗ Einsamkeit am Höchsten im Xeis - schöne, steile Schwünge - wilde Flanken - kurz zum Fürchten, lange zum Freuen
Adrenalin: ∗∗∗∗∗ Bauchkribbeln im Aufstieg, Höchstspannung in der Abfahrt
Nichts wie hin: ∗ Eine Befahrung nur für (nerven)starke Skifahrer ratsam - eindrücklich, dass sich die Wand doch so gut auflöst - Lawinenkegel im Auslauf störend - auf gute Verhältnisse hinpassen - vor dem Abmarsch besser zweimal den Rucksack kontrollieren, ob Pickel und Steigeisen vorhanden sind
UNSERE SKITOUREN-AUSLESE ZUM NACHLESEN
1) Kreuzmauer - die Prinzessin der Haller Mauer: Immer wieder ein majestätischer Anblick: Ist das Gesäuse der König, sind die Haller Mauern die Prinzessin. Die Kreuzmauer ist einer der schönsten Zacken ihrer Krone - und ein Skitourenberg, der Frühlingsgefühle weckt.
2) Hexenturm - mystisch auf der Nordseite: Diesmal steigen wir von Norden auf die Haller Mauern und lassen uns verzaubern: vom Hexenturm. Sein Rosskar finden wir zum Wiehern, dessen schneidiger Sattel zum Gipfel ist umwerfend schön. Hex, Hex!
3) Lugauer, das steirische Matterhorn?! Wo Zermatt Radmer heißt, das Hörnli Lugauer und man ohne finanzielle Sorgen beim Wirt Nachschub bestellt. Verdient hat man sich's ja. Ein Marathon-Matterhorn.
4) F wie Firn, Frühling, Festkogel: Teil 4 unserer Xeis-Auslese führt uns ins Herz des Gesäuses und mit Skiern auf einen unserer liebsten Kletterberge: den Festkogel. Ein Wow-Effekt, dass der Sommer-Abstieg als Winter-Aufstieg so wunderschön möglich ist.
Credits:
www.hochzwei.media / Marlies Czerny & Gerhard Sulzbacher