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Vom Know-how zum Know-why Von Michael Ertel

„Stille Revolution“ in einem mittelständischen Unternehmen: Ein Film in Bayreuth zeigt den notwendigen Kulturwandel in der Arbeitswelt 4.0.

Ein Segelboot zieht langsam seine Bahnen. Stürmische See ist in den seichten Gewässern vor der ostfriesischen Küste nicht zu erwarten, doch es fehlen die Wegmarken. Der Kapitän steht an Deck, hält das Steuer umklammert – aber wo ist das Ziel? Bodo Janssens Blick geht, nachdenklich und ernst, suchend in die Ferne. Auf dem Deck steht ein Mensch, der letztlich sich selbst finden will und im Innersten einen tiefen Wandel verspürt. In den nächsten 92 Minuten wird er ihn vollziehen – und seine Miene wird sich Stück um Stück aufhellen.

Das metaphorische Bild liefert die Einleitung eines Films, der sich „Die stille Revolution“ nennt. Das Segelboot ist Janssens Firma, die norddeutsche Hotelkette „Upstalsboom“. Das Unternehmen liefert bei weitem mehr als eine aus der ursprünglichen Namensbedeutung abzuleitende „altfriesische Versammlungsstätte“. Mit über 600 Mitarbeitern betreibt es entlang der Nord- und Ostseeküste Hotels und Ferienwohnungen. Seit 2005 hat Bodo Janssen das Kommando. Von den Eltern hat er das Steuer übernommen – und zunächst setzt er den Erfolgskurs fort. Allerdings mit Managementmethoden, die sich als Irrweg erweisen sollen.

„Ich war ein Flop-Manager“

Als er zusehends Loyalität, Engagement und Motivation bei seinen Angestellten vermisst, lässt er sie 2010 in einer Mitarbeiterbefragung anonym über die Führungsqualitäten des Managements urteilen – mit einem katastrophalen Ergebnis: Seine Mitarbeiter wollen ihn am liebsten loswerden. Ein Rauswurf, der in einem inhabergeführten Unternehmen zwar nicht vollzogen werden kann, aber der damals 36-Jährige entlässt sich quasi selbst aus seiner bisherigen Rolle. Der Schock setzt die Erkenntnis frei, dass sein aktuelles Führungsverhalten Firma und Belegschaft an den Abgrund führt. Janssen wird die ethische Dimension dieser niederschmetternden Analyse bewusst – und sein Weg führt ihn ins Kloster. „Ich war ein Flop-Manager“, sagt er heute.

Den tiefgreifenden Prozess vom grundsätzlichen Reflektieren und persönlichen Umsteuern hin zu einem Kulturwandel im Unternehmen möchte nun der Film des Regisseurs Kristian Gründling beschreiben. Seit März läuft er in deutschen, österreichischen und Schweizer Kinos. Spielstätte war kürzlich auch das Bayreuther Cineplex, die Vorführung initiiert vom studentischen Organisationsteam der „Bayreuther Dialoge“. Wir sehen Bodo Janssen zusammen mit seinem moralischen Mentor Pater Anselm Grün wandelnd in den Mauern des Klosters Münsterschwarzach. Der durch Bücher und Vorträge populär gewordene Benediktinermönch leitet den einst als „Millionärssöhnchen“ und „Lebemann“ verschrienen Unternehmer auf dem Pfad des Erwachens, der Erkenntnis und der Achtsamkeit an – eine bis heute andauernde Reifeprüfung, der Janssen sich selbst und seine Mitarbeiter unterzieht.

Selbsterkenntnis und Sinnstiftung

Der Plot der Dokumentation reiht Sequenz an Sequenz, Bilder an Bilder: im Team meditierende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Yoga-Gruppen, junge Auszubildende auf dem Gipfel des Kilimanjaro, lachende „Upstalsboomer“ vor den Kindern einer Schule in Ruanda oder Führungskräfte und Angestellte, die von den aufgebrochenen hierarchischen Strukturen und den neuen Entfaltungsmöglichkeiten jeder einzelnen Persönlichkeit in der Firma erzählen. Mit immer neuen sozialen und Selbsterkenntnis generierenden Projekten und Leitbild-Workshops möchte Janssen Sinn stiften – und seinen Leuten Sinnstiftung geben.

Was die durchaus auch als Imagefilm aufzufassende Dokumentation offen lässt, ist die Methodik des Kulturwandels bei „Upstalsboom“. „Wir wollen zeigen, dass es nicht nur um die einzelnen Maßnahmen geht, sondern um den Mind-Switch und die grundsätzliche ethische Haltung, aus der sie sich ableiten“, sagt Regisseur Kristian Gründling. Der einstige Werbefilmer hat Janssen auf einem Kongress für positive Psychologie kennengelernt. Seitdem liefert Gründling das Handwerk, Janssen die Vision, um imageträchtig – zusätzlich zu den erfolgreichen Buchveröffentlichungen und zahlreichen Talkshow-Auftritten – auch filmisch vom „Upstalsboom Weg“ zu erzählen. Dieser wird gezielt vermarktet und lebt von der Inszenierung des geläuterten Firmenchefs, was durchaus funktioniert: Das Unternehmen ist wiederholt mit Preisen für sein Employer Branding dekoriert und in die beliebtesten Arbeitgeber Deutschlands eingereiht worden.

Bodo Janssen (links) mit Anselm Grün

Jeder Mensch will Gutes und Sinnvolles tun

Natürlich ist diese Vorgehen nicht verwerflich – wenn man weiterhin glaubhaft aus seiner Haltung der Sinnstiftung heraus agiert. Damit dies keine bloße Behauptung bleibt, streut das Filmdrehbuch in zigfacher Einblendung prominente Kronzeugen ethischer Unternehmensführung ein. Etwa den früheren Investmentbanker und Szeneaussteiger Rainer Voss, der deklamiert: „Wir haben in der Vergangenheit viel Know-how gewonnen. Aber wir haben das Know-why verloren.“ Oder der Neurobiologe Gerald Hüther, der allen Menschen den Willen zugesteht, dass sie etwas Gutes und Sinnvolles tun wollen. „Schwierig wird es in der Arbeitswelt, wenn wir täglich handeln müssen, dies aber nicht unserem Selbstbild entspricht.“

Bodo Janssen (rechts) mit Regisseur Kristian Gründling

Weiter spricht der frühere Personalvorstand der Telekom, Thomas Sattelberger, von der „Teilhabe als neue Wertschöpfung“. So dürften neue Personalkonzepte und Führungsstrategien nicht lediglich den Sinn haben, „glückliche Kühe zu erzeugen, die noch mehr Milch geben“. Am radikalsten nimmt sich der Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, aus. Immerhin Chef von 60.000 Beschäftigten gilt er in Deutschland als einer der bekanntesten Fürsprecher eines bedingungslosen Grundeinkommens. „Man muss den Sinn erfassen können bei dem, was man tut.“ Menschen müsse die Möglichkeit geschaffen werden, sich die Arbeit auszusuchen, die ihnen entspricht. „Mit dem Grundeinkommen als Menschenrecht kommt jeden Monat Geld auf das Konto. Dann kann man Nein sagen. Nein zu allen Menschen, die Druck ausüben wollen. Man wäre freier.“

Mehr Freiheit hat Bodo Janssen den Menschen in seiner Organisation gegeben. Gegen Filmende watet er naturalistisch durch den Schlick des Wattenmeers. Er blickt einem eine gerade Linie ziehenden Frachtschiff nach, das einst sein ziellos umherfahrendes Segelboot war. Er hat die Kommandobrücke verlassen – in dem Vertrauen, dass seine Crew notfalls auch ohne ihn den richtigen Kurs hält.

Anfang Mai wird „Die stille Revolution“ auch im Rahmen des Projektes „Verantwortungskompass“ in Lichtenfels gezeigt. Der genaue Termin ist noch nicht bekannt. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Created By
Michael Ertel
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