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Andere Wälder, andere Sitten FSC-Zertifizierung in Schweden

Oft werden die holzverarbeitenden Betriebe in Schweden kritisiert. Sie betrieben Kahlschlag, zögen Monokulturen heran und gefährdeten die Tierwelt. Der FSC arbeitet seit Jahren daran, Standards zu etablieren: Er treibt Innovationen voran und verpflichtet Unternehmen zu nachhaltigem Arbeiten. Mit Erfolg.

Es ist Ende März in Umea. In der Hauptstadt der Provinz Västerbottens län herrscht dichtes Schneetrieben. Autos rubbeln mit ihren Spikes über die vereisten Straßen, und die Nadelwälder am Stadtrand tragen ein weißes Kleid.

Jenny Wik Karlsson steigt die Treppen zu ihrem Arbeitszimmer hinauf, das sich in einem Gewerbegebiet am Rande der Stadt befindet. Im Foyer hängt eine meterbreite Collage von Schwarz-Weiß-Bildern mit Aufnahmen aus dem Leben des einzigen noch verbliebenen indigenen Volkes in Europa: Herden von Rentieren, deren Felle im Morgendunst glänzen. Mutige Männer, die sich im Gewimmel der gen Himmel gereckten Geweihe mit wachen Augen um ihre Tiere kümmern.

„Rentiere zu hüten, das steckt in jedem Samen drin. Es gehört einfach zu uns, es ist Teil unserer Kultur. Rentiere zu hüten ist ein Lebensstil“, sagt Karlsson, die als Juristin für den Verband der Samen arbeitet und in der Sozialkammer des schwedischen FSC vorsitzt.

Der natürliche Weidegrund für die Rentiere, der etwa 50 Prozent der schwedischen Festlandfläche einnimmt, ist aber auch ein Wirtschaftsraum, in dem Unternehmen Gewinne erwirtschaften und Arbeitsplätze schaffen. Die Vereinbarkeit der verschiedenen Interessen führt seit Jahrhunderten zu Konflikten in dieser Region.

Auch deswegen engagiert sie sich im schwedischen FSC-Prozess. „Der Vorteil für uns ist, dass die Forstfirmen die Rechte der Samen auf Wintergrasland anerkennen müssen. Das schwedische Waldgesetz regelt das nicht“, sagt Karlsson. Außerdem bietet nur der FSC den Samen die Möglichkeit, direkt Einfluss auf die Forstwirtschaft zu nehmen. Gerade deshalb, weil alle an einem Tisch sitzen.

Das letzte indigene Volk Europas kämpft um seine Rechte und den Erhalt seiner Kultur. Jenny Wik Karlsson kämpft als Juristin für ihr Volk. Durch FSC bekommen die Samis Einfluss auf die Waldbewirtschaftung, den ihnen das schwedische Waldgesetzt bisher verwehr.

Schwedens Waldwirtschaft ist ein heiß diskutiertes Thema. Das Beispiel zeigt, wie kompliziert die Interessenlage ist.

Einerseits sind Forstwirtschaft, Papier- und Sägeindustrie einflussreiche Arbeitgeber in Schweden. Andererseits produziert die starke Stellung der Betriebe Konflikte, die Natur, Menschen und das gesamte Zusammenleben betreffen.

Immer wieder wird internationale Kritik laut. Es wird der Vorwurf geäußert, dass Unternehmen die Wälder mit Methoden des „Kahlschlags“ bewirtschafteten. Gemeint ist damit, dass in einem bestimmten Gebiet – vereinfacht gesagt – alle verfügbaren Bäume auf einmal geschlagen werden.

Uno Brinnen und seine Kollegin, auf einer FSC-zertifizierten Waldfläche die vor 10 Jahren mit Kahlschlag abgeernetet wurde.

Die Schwedische Gesellschaft zum Schutz der Natur (SSCN) veröffentlichte 2011 einen Bericht mit dem Titel „Under the Cover of the Swedish Forestry Model“. Die SSCN ist die größte Naturschutzorganisation des Landes, in der sich auch viele FSC-Akteure engagieren. Den Autoren zufolge habe seit dem frühen 20. Jahrhundert die intensive Bewirtschaftung der schwedischen Wälder drastisch zugenommen. Die Vielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt sei deshalb in Gefahr geraten. Auch in Deutschland fand die Debatte ein Echo.

Das Zertifikat des FSC wurde in dem SSCN-Bericht zwar grundsätzlich gelobt. Doch es wurde ebenso Kritik laut: Verstöße gegen die Regeln des FSC würden oft nur halbherzig sanktioniert.

Der FSC in Schweden setzte sich in einer 2014 erschienen Studie offen mit den Vorwürfen auseinander, die das Sanktions- und Meldesystem betreffen. Anhand von drei Fallbeispielen beschreibt der Forest Stewardship Council, wie er mit Beschwerden in Bezug auf die Methoden der Waldwirtschaft umgeht. Dabei wurden auch Schwachpunkte identifiziert.

Mittlerweile ist die SSCN eine der Hauptnutzerinnen des Beschwerdesystems.

Uno Brinnen ist Vizepräsident von BillerudKornäs AB, einem Papier- und Verpackungskonzern mit Sitz in der nördlich von Uppsala gelegenen Stadt Gävle. Gleichzeitig amtiert er als Vorstand der FSC-Wirtschaftskammer. Er kennt die Kritik, die der schwedischen Waldwirtschaft seit Jahren entgegen gebracht wird, und den öffentlichen Druck, der dadurch entstanden ist.

Aber da ist noch etwas anderes: Auch die Kunden seines Unternehmens, einem der weltweit führenden Produzenten von Rohkarton für Getränkekartons, legen heute mehr Wert auf Nachhaltigkeit als früher. „Der FSC ist das glaubwürdigste Zertifizierungssystem, sowohl für unsere industriellen Abnehmer als auch für deren Kunden.“

BillerudKornäs erlebt diesen Wandel auch im Tagesgeschäft. Kürzlich hat das Unternehmen an einer Ausschreibung teilgenommen. Mit dem teuersten Preis aller Wettbewerber. Doch weil die Schweden in Sachen Nachhaltigkeit führend waren, haben sie den Zuschlag bekommen.

Die Holzindustrie und angeschlossene Verarbeitungsindustrien sind wichtiger Wirtschaftsfaktor für Schweden. Bei BillerudKornäs wird Rohkarton für Getränkekartons hergestellt, diese werden dann auch in Deutschland befüllt.

Wichtige Kunden bei BillerudKornäs sind u.a. die Hersteller von Getränkekartons. Die Branche hatte sich bereits 2007 festgelegt und das Ziel ausgegeben, dass alle holzbasierten Rohstoffe bis spätestens 2017 aus FSC-zertifizierten Wäldern kommen müssen.

Was bei der Diskussion in Deutschland ein wenig untergeht: Die schwedische Waldindustrie ist schon seit Jahrzehnten im Umbruch. „Bis in die 1970er-Jahre war die Waldwirtschaft in Schweden flächendeckend und intensiv“, sagt Per Larsson vom schwedischen WWF.

„Ein echter Game-Changer war, dass schwedische Umweltorganisationen sich einer ausländischen Öffentlichkeit zugewandt haben und Kritik geübt haben“, sagt Larsson. „Es gab zum Beispiel am Rande der Rio-Klimakonferenz im Jahr 1992 ein Pressebriefing, über das selbst der schwedische König entsetzt war.“

Die kritische Öffentlichkeit in den Abnehmerländern von schwedischen Waldprodukten habe zu Fortschritten im Umweltschutz geführt, so der WWF-Forstexperte. Der aufmerksame Blick von außen auf die Verhältnisse in der schwedischen Waldwirtschaft ist also keineswegs kontraproduktiv.

Auch heute gibt es noch Kahlschläge in den schwedischen Wäldern, wenn auch in weit geringerem Maße als früher. Wälder in Schweden sind anders strukturiert als in Deutschland: Sie befindet sich meist weit außerhalb der Siedlungsgebiete und sind außerdem viel größer.

Naturschutzverbände wie BirdLife Schweden sehen in den Kahlschlägen auch nicht das Hauptproblem der heimischen Wälder, sondern eher in Baumplantagen, auf denen nur noch wirtschaftlich verwertbares Holz wächst.

Die Stärke des FSC liegt dabei darin, dass er alle Beteiligten zusammenbringt. „Der Fokus in der Waldwirtschaft liegt darauf, Geld zu verdienen. Das wird sich auch nicht ändern. Was wir aber erreichen können ist, Maßnahmen durchzusetzen, die im Rahmen dessen Biodiversität und Nachhaltigkeitsziele fördern“, sagt Henrik von Stedingk, der als Waldbereichsleiter beim schwedischen FSC arbeitet.

Der FSC stellt Regeln auf, die auch für Kahlschlagsgebiete gelten: Besonders wertvolle Lebensräume und schützenswerte Natur werden ausgespart, Pufferzonen sichern Rückzugsräume für Tiere. Und fünf Prozent der Waldfläche müssen stillgelegt und der natürlichen Entwicklung überlassen werden.

Und er leistet noch mehr: Wenn Unternehmen die Regeln des FSC akzeptieren, müssen sie alte Gewissheiten über Bord werfen und innovativer werden.

In der Nähe von Gävle liegt an einem idyllischen, typisch schwedischen See eine große Baumschule. Hier werden jene Setzlinge gezogen, mit denen später die von BillerudKornäs AB bewirtschafteten Wälder wieder aufgeforstet werden. Kleine Baby-Bäume, deren Nadeln noch hellgrün und weich sind.

Um zu verstehen, wie der FSC mit seinen Bestimmungen die schwedische Forstwirtschaft zu Innovationen antreibt, lohnt ein Blick in die Nachbarhalle: Dort bekommen die Setzlinge in einer Spezialmaschine einen ökologisch abbaubaren Wachsanstrich, auf den Sandkörner gesprüht werden. So sind sie vor Insektenbissen geschützt. Denn die Kauwerkzeuge der Tiere scheitern an der Sandschicht, die auf den kleinen Ästen und Zweigen liegt.

Es ist eine kreative Lösung, um den Einsatz von Insektiziden zu vermeiden. Mittlerweile haben auch andere Unternehmen diese Idee übernommen.

Vielleicht sind es diese kleinen Details, die größere Zusammenhänge verständlicher werden lassen. Der Weg in eine ökologischere Zukunft beginnt oft nicht am Ende der Geschichte. Sondern mit vielen kleinen Ideen, die am Anfang von allen stehen.

Autor: Sebastian Christ

Credits:

FSC Deutschland, Sebastian Christ, Carl-Johan Utsi - FSC® F000213 – Zeichen für verantwortungsvolle Waldwirtschaft. www.fsc-deutschland.de

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