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Der Zerfall eines Hotels in Heiden Die Pension Nord steht seit sieben Jahren leer. Ein Rundgang mit dem ehemaligen Eigentümer. Er hofft, dass hier eines Tages wieder Gäste einziehen.

Wäre nicht das P für Parkplatz, man könnte die Einfahrt hinter Sträuchern und Bäumen leicht übersehen. Andres Stehli und seine Frau Anne empfangen herzlich vor der Pension Nord in Heiden. Sie sind es gewohnt: 35 Jahre lang haben sie das Hotel geführt. «Mit Leib und Seele», wie er sagt. Sieben Tage die Woche, jeden Abend bei den Gästen. Ins Pensionsalter gekommen, verkaufte das Paar vor sieben Jahren sein Lebenswerk. Seitdem steht es leer. Und zerfällt.

Anne und Andres Stehli auf dem Balkon ihres Hotels.

Die Fassade des alten, weissen Appenzellerhauses blendet – nicht nur wegen der Mittagssonne. Den Balkon zieren Schnitzereien, am Giebel steht noch immer schnörkellos «Pension Nord».

Das Grundstück um das ehemalige Hotel umfasst rund 12'500 Quadratmeter.

Pflanzen erobern langsam die Fassade des Hotels.

Der Eingang zur Gartenanlage ist mittlerweile selbst ein kleiner Garten.

Doch die Idylle hat buchstäblich Risse: Ein paar Fenster sind notdürftig mit Klebeband geflickt. Von der Holzbank im Garten blättert die verblichene rote Farbe ab.

Der Blick geht weit über den Bodensee.

Nur eine Fliegenklatsche hängt noch an der Wand

Andres Stehli öffnet die Tür. Es ist kühl, es riecht nach Keller. Er geht die schmale Treppe hinauf in einen der ehemaligen Wohnräume. Am Fenster steht ein Lavabo, in dem Holzspäne liegen. Daneben hängt eine Fliegenklatsche. Sonst sind die Räume kahl. Das gesamte Grundstück umfasst 12'500 Quadratmeter – an bester Lage mit Blick über den Bodensee.

Stehli, Jahrgang 1944, ist hier aufgewachsen, als jüngstes von vier Kindern. Sein Vater hatte einen Kunstverlag in Zürich, fühlte sich aber zu einem sozialen Dienst berufen. Als er das Inserat «Christliche Pension in Heiden an schönster Lage zu verkaufen» las, kaufte er 1946 spontan die Pension Nord.

Familie Stehli zu Beginn ihrer Zeit in Heiden. Andres Stehli in der Mitte auf dem Schoss seiner Mutter.

Stehli muss sich ducken, wenn er vom einen Raum in den nächsten geht. Dieser älteste Teil des Hauses ist über 400 Jahre alt. Er wurde als Bauernhaus gebaut, gleich nebenan stand noch eines, dazwischen ein Stall. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts übernachteten hier Gäste, um 1900 wurde der Stall abgebrochen, um mehr Platz zu schaffen.

Stehli geht die Gänge zu den ehemaligen Hotelzimmern entlang, Drähte ragen aus den Wänden. Auch diese Zimmer: kahl. Nur hier und da eine Dusche und Toilette. Tapeten hängen in Fetzen von der Wand, dazwischen Zeitungspapier mit einem Inserat für «Pariser und Berliner Confection».

Die Zimmer im ältesten Teil des Hauses sind mehrere hundert Jahre alt.

Zwischen den Tapeten dienten Zeitungen zur Isolation.

Bis auf Lavabos, Toiletten und Duschen ist das Innere des Gebäudes ausgehöhlt.

Einsprachen verhinderten einen Neubau

Möbel, Böden, Tapeten, alles kam raus, nachdem die Investorenfamilie der Dr. Bettina Muhr AG die Pension Nord Anfang 2012 gekauft hatte.

Sie wollte das Haus zu einem Hotel mit 50 Zimmern um- und ausbauen. 2015 sollte Eröffnung sein. Stehli zeigt ein Bild des Modells mit einem gläsernen Neubau. Realisiert wurde das «Hotel Muhr» nicht. Ein Hauptgrund war die Strasse, die zur Pension führt. Sie ist so eng, dass kaum zwei Autos aneinander vorbeikommen. Bereits vor über 20 Jahren sollte sie mit der Erschliessung des Quartiers Nord erneuert werden. Doch es gab Einsprecher und letztlich einen Entscheid des Verwaltungsgerichts: Ohne die Sanierung des Einlenkers darf bei der Pension Nord nur um-, aber nicht neu gebaut werden. Dann blockierten Einsprecher die Sanierung des Einlenkers. 2015 gab die Familie Muhr auf. Seitdem sucht sie einen Käufer.

Die letzten Einsprachen sind seit bald einem Jahr vom Tisch, man könnte wieder etwas aus der Pension Nord machen. Welches Interesse hat die Gemeinde? Gemeindepräsident Gallus Pfister beteuert, sie sei «sehr daran interessiert, dass eine attraktive neue Nutzung gefunden werden kann, die möglichst auch öffentliche Angebote beinhaltet». Das Gebäude liege in der Kurzone, eine reine Nutzung als Wohngebäude sei weder vorgesehen noch im Interesse der Gemeinde.

Neubaupläne für das Hotel aus dem Jahr 2012.

Stehli geht die Treppe hinab ins Herz der Pension, den Speisesaal. Zwischen Jalousien und Fenstern drängt sich Efeu. Ein Heizkörper hängt durch, andere sind geborsten. Wo die Orgel stand, ist heute Gebälk. Stehli schwärmt von den Lesungen und Musikabenden, die er hier organisiert hat. Die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross war zu Gast und, zur Zeit seines Vaters, der Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler.

Früher war der grosse Spiesesaal der ganze Stolz des Hotels.

Hier wurden Buffets aufgetischt.

Der Saal war geräumig und hatte grosse Fenster.

Heute gleicht der Saal eher einer Ruine.

Die verlassene Grossküche zeugt davon, dass hier einst für viele Gäste gekocht wurde.

Vor einem Jahr öffnete das Hotel noch einmal

Wie Fremdkörper hängen im Speisesaal drei goldgerahmte Spiegel. Erst seit einem Jahr sind sie wieder hier, als die Pension für den Kulturerbetag noch einmal öffnete. «Es sollte nach etwas aussehen», sagt Stehli. Als er das erste Mal wieder hier gewesen sei, ohne Möbel und alles – er macht eine Pause – «ja, das hat schon weh getan».

Die ehemalige Eingangstür zum Hotel.

Das Beste bewahrt er sich für den Schluss auf: das Familienzimmer im neuen Teil von 1987. «Extrem beliebt» sei es gewesen. Als Stehli die Tür mit der Nummer 60 öffnet, wird klar, warum: Drei Fenster mit Seesicht, ein Raum über zwei Etagen, oben das Schlaflager für die Kinder. Noch hat Stehli Hoffnung, dass die Pension Nord eines Tages wieder Gäste empfangen wird. Bis dahin bleiben Marder die einzigen Besucher.

Die Zukunft des Hotels ist ungewiss.

Credits:

Text: Katharina Brenner / Bilder: Ralph Ribi / Online: Raphael Rohner

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