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Die Helden im Kampf gegen den weissen Tod

Zur Sendung: 75 Jahre Lawinenhunderettung

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EIN RETTER BLICKT ZURÜCK AUF DAS LAWINENUNGLÜCK 1992 AM FLÜELAPASS – WIE LAWINEN ENTSTEHEN – ANFÄNGE DES LAWINENHUNDEDIENSTES IN DER ARMEE

Auf der Südseite des Flüelapasses oberhalb von Susch ging am 1. Mai 1992 eine Lawine nieder. Die Nassschneelawine erfasste vier Personenwagen und einen Zürcher Reisecar mit 24 Personen, die auf einer Einkaufsfahrt ins italienische Livigno waren. Vier Busreisende kamen ums Leben, als der Car und ein Auto in die Tiefe gerissen wurden von der Lawine. Diese löste sich um 10 Uhr – eine Stunde bevor die Passstrasse normalerweise aus Sicherheitsgründen für den Verkehr gesperrt wurde. Walter Erni war damals vor gut 25 Jahren zuhause in Scuol im Engadin, als der Lawinenhundeführer zum Rettungseinsatz aufgeboten wurde. Er habe seine Sachen gepackt und sei mit dem Hund im Auto nach Susch gefahren, «wo uns der Helikopter abgeholt hat», erzählt Erni rückblickend.

Ziemliches Durcheinander und ständige Gefahr für die Retter

Wie sich der heute 63-Jährige erinnert, habe beim Eintreffen am Unglücksort «ein ziemliches Chaos» geherrscht. Niemand habe genau gewusst, was passiert sei, «doch den Car unterhalb der Strasse haben wir gesehen», sagt Erni. Die Retter hätten den Befehl erhalten, mit Hund von der Strasse abwärts das Lawinenfeld nach weiteren Verschütteten abzusuchen. «Wir fanden Ausweise und Kleidungsstücke der Carreisenden. Plötzlich hiess es: ‹Pass auf, es kommt noch eine Lawine›, und ich musste mit dem Hund wegrennen», erinnert sich Erni. Zum Glück sei nichts passiert. Doch in der Folge seien die Retter vorsichtshalber nur noch einzeln hinuntergegangen. Das habe jedoch keinen Erfolg gebracht, «sodass wir uns wieder auf der Strasse oben trafen, wo jede Menge Menschen sich versammelt hatten», so Erni.

Auch Feuerwehr und Zivilschutz seien aufgeboten worden, und der Krankenwagen sei eingetroffen. Doch der konnte nicht mehr zurück, weil eine weitere Lawine weiter unten die Strasse blockiert hatte, wie Walter Erni berichtet. Er erinnert sich auch noch gut, dass viele Presseleute mit privaten Helikoptern hergeflogen kamen, für Foto- und Filmaufnahmen über der Unglücksstelle kreisten und danach ausstiegen auf der Strasse, wo das Chaos dadurch nur noch grösser wurde. Auch sei der Funkkontakt total zusammengebrochen, erzählt Erni.

Erinnerungen werden lebendig

Walter Erni (links) erklärt TV-Reporter Renato Barnetta den Hergang des Lawinenunglücks.
Walter Erni zeigt auf die Stelle, wo das Lawinenunglück am Flüelapass stattgefunden hat.
Walter Ernis Lawinenhündin Seela (2 Jahre).
Interviewsituation vor Lawinenabsperrung: mit Walter Erni, Seela, Kameramann Dominic Rupf und TV-Reporter Renato Barnetta.

Rettungseinsatz wurde unterbrochen

Nach einem gut dreistündigen, tubulenten Rettungseinsatz beim Lawinenunglück 1992 am Flüelapass wurde der Pass aus Sicherheitsgründen geschlossen.

Walter Erni mit seiner Seela.
Seela geniesst den Schnee.
Walter Erni mit Hündin Seela vor der Absperrung wegen Lawinengefahr.

«Ohne Hund geht es nicht», ist Walter Erni überzeugt im Rückblick auf 35 Jahre im Lawinenrettungsdienst.

In grosser Sorge um den Hund, als er ihn aus den Augen verlor

Dem 63-jährigen Engadiner ist nach wie vor gut präsent, wie plötzlich noch eine grössere Lawine heruntergekommen ist und er seinen Hund nicht mehr sehen konnte. Die Lawine erfasste auf der anderen Strassenseite einen Wegmacher und verschüttete diesen. «Wir rannten hinüber, um ihn auszugraben. Als wir das geschafft hatten, dachte ich nur: ‹Ich habe es überlebt, aber mein Hund ist weg›», meint Walter Erni rückblickend. Wie ihm Augenzeugen später berichtet hätten, sei der Hund kurz darauf gesichtet worden, wie er auf dem Nassschneefeld hinunterrutschte bis zum Reisecar, der von der Lawine erfasst worden war. «Als ich den Hund wieder lebend bei mir hatte, war ich dann sehr, sehr froh», erzählt Walter Erni.

Kurz ans Aufhören gedacht, doch total 35 Jahre Dienst geleistet

Nach dem dramatischen Rettungseinsatz am Flüelapass, der am 1. Mai 1992 um 14 Uhr aus Sicherheitsgründen dann doch gesperrt wurde, durchlebte der Lawinenhundeführer eine schlaflose Nacht und dachte ans Aufhören. «Gott sei Dank kamen dann Unfälle, die nicht mehr so gefährlich waren», sagt Erni mit Blick zurück auf seine 35 Einsatzjahre. In dieser Zeit hätten sich die Bekleidung, Ausrüstung und die technischen Hilfsmittel für die Retter stark verbessert – «ohne Hund geht es aber nicht», betont Walter Erni. Er bedauert, dass er nie jemanden lebend aus einer Lawine zu bergen vermochte. Lobend erwähnt er andererseits die Kameradschaft unter den Lawinenhundeführern und das Gemeinschaftserlebnis, welche ihn geprägt haben. Dies nach dem Motto: «Jede Übung ist ein Ernsteinsatz, und jeder Einsatz ist eine Übung», hält Erni fest.

Lawinenunglücke: Zahlen zur Häufigkeit und ihren verheerendsten Auswirkungen

Das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) mit Sitz in Davos sammelt seit dem Winter 1936/37 alle Daten von Lawinenunfällen in der Schweiz. Pro Jahr werden beim SLF mehr als 100 Lawinenunfälle mit erfassten Personen registriert. Die Statistik besagt, dass über die gesamte Periode im Durchschnitt jährlich 25 Personen in Lawinen ums Leben gekommen sind. In diesem Winter sind bisher zehn Todesopfer zu beklagen (Stand 22.01.2018). Sieben Opfer wurden im Winter 2016/17 gezählt, als dem SLF 99 Lawinen mit 151 erfassten Personen gemeldet wurden. 17 Personen wurden dabei verletzt. Die Gesamtopferzahl von sieben liegt laut SLF um zwei Drittel unter dem langjährigen Mittelwert. Für das ganze hydrologische Jahr, das vom 1. Oktober bis 30. September des Folgejahres dauert, liege der Mittelwert der letzten 20 Jahre bei 23 Lawinentoten, schreibt das SLF.

Der Winter 1950/51 ist mit 1300 Schadenslawinen, 98 Todesopfern sowie schweren Wald- und Gebäudeschäden als Katastrophenwinter in die Geschichte eingegangen. 88 Menschen starben 1965 bei der Mattmark-Katastrophe, als Ende August ein Teil des Allalingletschers abbrach. Die Gletschermassen gingen auf die Baracken nieder, in denen die mehrheitlich ausländischen Bauarbeiter wohnten, die damals einen Staudamm errichteten zuhinterst im Walliser Saastal. Am 24. Februar 1970 zerstört eine Lawine die Militärunterkunft und andere Häuser in Reckingen im Wallis; 30 Personen kamen ums Leben. Im ganzen Winter 1969/70 wurden 56 Lawinenopfer gezählt. Das sind die grössten Unglücke der letzten gut 60 Jahre.

Wie eine Lawine entsteht und wie diese verläuft.

Blick zurück in die Anfänge der Rettung mit Lawinenhunden

Historische Aufnahmen aus Davos

Die Gebirgssoldaten machen sich bereit, ihre Hunde warten.
Die militärischen Retter mit ihren Hunden in der Startaufstellung.
Jetzt kann es gleich losgehen für Herr und Hund.

Einsatz im Gelände bei Rettungsübung

Kleine Pause für Herr und Hund.
Die Hunde warten geduldig beim Skidepot.
Ein Lawinenhund in Alarmbereitschaft.

Bergungseinsatz für einen Verschütteten

Retter und Hund wühlen sich durch den Schnee.
Retter und Hund posieren nach der Übung für den Fotografen.
Danach geht es auf rasanter Fahrt wieder hinunter ins Tal.

Quelle: Fotos aus dem Schweizerischen Bundesarchiv (Kennzeichen E5792#1988/204#1198*, Gebirgsdienst Lawinenhunde; Davos, 1939-1945)

75 Jahre Rettung mit Lawinenhunden

«Kind» des Zweiten Weltkriegs

Seit 1943 werden Lawinenhundeteams in der Schweiz systematisch ausgebildet. Nach der erstmaligen Vorführung der Arbeit seiner Lawinenhunde 1940 vor General Guisan und dessen Stab (Bilder siehe unten) trainierte der Kynologe Ferdinand Schmutz ab dem vierten Kriegsjahr mit Unterstützung der Armee Hunde für den Rettungsdienst: Das Lawinenhundewesen war geboren. Nach dem Krieg führte Schmutz die Hundeausbildung im Auftrag des Schweizer Alpen-Clubs (SAC) weiter.

Ganz am Anfang stand eine Inspektion durch General Guisan

General Henri Guisan besucht 1940 Gebirgssoldaten, steigt auf Schneeschuhen hoch zur Übung mit Hunden. Diese wurde organisiert vom Kynologen Ferdinand Schmutz (auf zwei Bildern in der mittleren Reihe mit dem General). Guisan beobachtete die Arbeit der Hunde und ging näher zu diesen und ihren Führern, bevor er sich nach seinem Ausflug in den Schnee auf dem Bahnhof von den Gebirgssoldaten wieder verabschiedete. (Quelle: Standbilder aus dem Film "Tag im Leben von General Guisan" des Armeefilmdienstes von 1940. © ZEM im VBS/DDPS)

Absprung mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug in 50er-Jahren

Anfang der Fünfzigerjahre begann die Rettungsflugwacht (Rega), Fallschirmspringer einzusetzen, auch vierbeinige. Die Hunde sprangen zuerst mit ihrem eigenen Schirm ab, was sie aber derart verängstigte, dass sie nach der Landung für die Sucharbeit auf der Lawine nicht mehr zu gebrauchen waren. Etwas besser wurde es, als man Hund und Führer am selben Schirm abspringen liess (siehe Archivbilder unten). Richtig effizient wurde der Lawinenhundeeinsatz aber erst mit dem Helikopter.

Absprung eines Retters mit Hund aus dem Flugzeug. (Quelle: Bilder aus dem Archiv der Schweizerischen Rettungsflugwacht Rega)

Gesamtschweizerisch sind heute etwa 150 Gespanne im Einsatz

Aus 14 Teams im Jahr 1945 wurden im Lauf der nächsten 50 Jahre deren 300. Seither ging ihre Zahl wieder zurück, aktuell sind gesamtschweizerisch etwa 150 Gespanne einsatzfähig. Darunter ist auch Marcel Meier mit seinem vierten Hund Taro. Mit dem Labrador leistet der Fachleiter Hunde selber Einsätze oder ist auf Pikett als Lawinenhundeführer. Das Alterslimit dafür liegt bei 65. Für Nachwuchs ist jedoch gesorgt. Nach Auskunft von Meier treten dieses Jahr 17 Führer (von 27 Kandidaten, die den Eignungstest machten) neu in den Dienst der Alpinen Rettung Schweiz (ARS) ein. Diese wurde 2005 gegründet als gemeinnützige Stiftung durch die Rega und den SAC. Die ARS ist Ansprechpartnerin der Kantone, die – mit Ausnahme des Kantons Wallis – ihr die Rettungsaufgaben übertragen haben.

Seit 1992 gibt es auch Spezialisten für Geländesuche mit Hund

Von 86 Rettungsstationen in sieben Regionen in den Voralpen/Alpen und im Jura können rund 3000 Retterinnen und Retter in kürzester Zeit eingesetzt werden. Dies als Fachspezialisten Helikopter, Medizin, Canyoning und Hund (Lawine oder Gelände). Für die Geländesuche mit Hund gibt es einen separaten Ausbildungsgang. Dieser wurde 1992 lanciert, erst zusammen mit dem Schweizerischen Verein für Such- und Rettungshunde (Redog), später getrennt geführt. Marcel Meier war ab 2001 Technischer Leiter für Geländesuchhunde, übernahm 2007 die Co-Leitung des Hundebereichs und wurde 2014 Fachleiter Hund bei der ARS.

Retter feiern ihr Jubiläum im August im Verkehrshaus Luzern

Diese wird finanziell getragen durch die Stifter Rega und SAC, durch Kantonsbeiträge, Einnahmen aus Einsätzen und Spenden. Das Jubiläum 75 Jahre Rettung mit Lawinenhunden wird am 18. August im Verkehrshaus Luzern gefeiert, informiert Marcel Meier, der auch die Subkommission Hunde präsidiert in der Internationalen Kommission für alpines Rettungswesen (ICAR) und im Februar für Ausbildungskurse ins Ausland reisen wird.

Impressum

Credits:

Susanne Goldschmid, Nicole BOEKHAUS, Schweizerisches Bundesarchiv, Gebirgsdienst  Lawinenhunde; Davos, 1939-1945 (Armeestab: Fotosammlung Zweiter Weltkrieg)

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